Dier kurze Text, stellt eine einführende Skizze meiner momentan Forschung dar und ist als solche zu lesen. Weder beanspruche ich hier Vollständigkeit, noch ist das als endgültiges Ergebnis anzusehen. Es ist vielmehr ein prozesshafter Ausschnitt, eine erste, einführende Bestandsaufnahme. Zitieren ist wie immer erlaubt, alles andere Bedarf meiner ausdrücklichen Zustimmung.
Gefühlsräume und
gefühlte Räume – räumlich strukturiertes Fühlen und seine
Funktion in der Frühen Neuzeit
Emotionen
und Räume sind in der Geschichtswissenschaft als Themen mittlerweile
akzeptiert und etabliert. Zunehmend geraten diese aber nicht nur als
Einzelthemen, sondern als Wechselbeziehung, in ihrer gemeinsamen
Bedingt- und Verbundenheit und in ihrem konstruierten und
wirklichkeitskonstruierenden Charakter in den Blick. Dies soll auch
den Rahmen dieser Arbeit vorgeben.
Fühlen
wird sozial erlernt und sozial abgesichert.1
Im gemeinsamen Fühlen bestätigt sich eine Gesellschaft als solche,
wie auch ihre Werte und Weltkonstruktion. Fühlen schafft und erhält
die je spezifische Wirklichkeit. Der Lern- und Kontrollprozess von
Gefühlen findet zugleich nicht im „leeren Raum“ statt, sondern
ist auch räumlich strukturiert. In und zu unterschiedlichen Räumen2
wird unterschiedlich Fühlen und dies kommunizieren erlernt, um die
Räume in ihrer Bedeutung und Handlungsanweisung zu schaffen und zu
bestätigen. Die Lebenswelt ist somit emotional kartografiert. Die
Kontrolle dieser Prozesse ist dabei zugleich Machtinstrument und
Ordnungsinstanz.
Wie
das Fühlen sind auch Räume sozial erlernt. Diese sollen verstanden
werden als Wahrnehmungs-, Handlungs- und damit Ordnungsstrukturen,
die im engen Zusammenhang zu Emotionen, bzw. mit zu Gefühlen
konzeptionalisierten Emotionen stehen. Der Raum ist hierbei sowohl
raumanalytisch im Sinne Löws zu betrachten, also als relationale
(An)Ordnung verschiedenster zentraler und peripherer Elemente, die
einzeln und als Gesamtensemble mit Bedeutung versehen sind, als auch
als Herum des Selbst, als „Container“ innerhalb der
lebensweltlichen Wahrnehmung, die Denk-, Handlungs- aber auch
Fühlmuster anzeigen. Sowohl die unbewusste Konstruktion, als auch
der als bedeutungshaftes Ganzes wahrgenommene Raum müssen betrachtet
werden, um das Gesamtphänomen erfassen zu können.
Emotionen
und Gefühle sind räumlich bezogen und bedingt. Ebenso sind Räume
durch Emotionen und Gefühle bedingt. Diese sind Teil des Raumes, an
dessen Entstehung und Reproduktion beteiligt und Teil seiner
Bedeutung innerhalb einer Gesellschaft und ihrer Teile, die sie
anzeigen. Aus dieser Bedingtheit ergibt sich nach ersten Überlegungen
ein gegenseitig bezogenes Erlernen von Räumen und Gefühlen. Diese
können somit als eine gemeinsame Struktur der Lebenswelt, der
jeweiligen Wirklichkeit gedacht werden. Inwieweit dies zutreffend ist
und es sich an konkreten Beispielen zeigt, gilt es im Zuge dieser
Arbeit herauszufinden.
Ausgehend
von der theoretischen Erarbeitung des Zusammenhangs von Raum und
Emotion, nicht nur als jeweils eigenständige Strukturen der
Wirklichkeit(en), sondern als gemeinsame, bezügliche Struktur, soll
im Anschluss der Zusammenhang exemplarisch in seiner Funktion und
Bedingtheit (und damit auch Nutzung) untersucht werden. Dafür sollen
ausgewählte Räume, „alltägliche“, wie „außeralltägliche“
in ihrer Konstitution und Wahrnehmung, sowie vor allem in Bezug auf
ihre emotionale Strukturierung, Schaffung und Bereitstellung von
emotionalen Mustern, wie auch ihre Rolle in Bezug auf den Lernprozess
von Gefühlen betrachtet werden. Ziel ist es, die Lebenswelt als
emotional kartografiert, den gegenseitig bedingten Aneignungsprozess
und die Funktion dieser Verbindung, vor allem im Sinne der
Sozialdisziplinierung (in einem weiten Sinne) aber auch Devianz,
spezifisch zu beleuchten. Zentrale Räume, bzw. Raumkomplexe sind
dabei beispielhaft „die“ Schule, „der“ Kerker, „die“
Straße, zu denen im Laufe der Untersuchung weitere hinzukommen
können.
Welche
Modelle des Fühlens werden zur Bewältigung alltäglicher und
außeralltäglicher räumlicher Situationen bereit gestellt,
kultiviert und in Bezug auf diese erlernt und wie schaffen diese die
Räume mit? Gibt es dabei situations-, milieu- oder
schichtspezifische, konkurrierende Konzepte und Normen und damit
eventuell zusammenhängende Identitäten. Mit anderen Worten, folgt
aus der spezifischen emotionalen Bewältigung und Aneignung
räumlicher Situationen, bzw. dem Erlernen unterschiedlicher
emotionaler Konzepte in und zu Räumen eine spezifische Rolle oder
gar Wirklichkeit, die nicht nur unterschiedliche Räume und Gefühle,
sondern auch unterschiedliche Zusammenhänge produziert? Oder
umgekehrt, bieten spezifische Rollen spezifische (emotionale)
Wirklichkeiten und emotionale Muster an, die zur Bewältigung
angeeignet werden können? Was bedeutet das raumbezogene Erlernen von
Gefühlen für beide Strukturen? Wird und wenn ja, wie, dieser
Zusammenhang aktiv genutzt?
Erste
Anzeichen für eine aktive Aneignung von Rollen in Form und durch
spezifische räumlich-emotionale Muster liefert die Betrachtung „des“
Kerkers, in welchem mit zugeschriebener, bzw. normativ verlangter
Gefühle verbundene Wirklichkeiten mit anderen, aus der räumlichen
Situation sich ergebenen, vor allem auch emotionalen Rollen
konterkariert werden (können), die in Bezug auf den Raum normiert
und erlernt und in seinem Erleben angewendet und je unterschiedlich
spezifisch angeeignet werden. Auf diese Weise existiert nicht eine
emotional kartografierte Welt, sondern spezifische Welten in und mit
Hilfe verschiedener Identitäten.
Um
diesen Zusammenhang und seine Funktionen, bzw. Wirkungen zu
untersuchen, ist es nötig, die Räume in ihrer Konstitution und
ihrem Erleben zu untersuchen. Ebenso müssen die jeweiligen Gefühle,
ihrer Norm nach aber auch in ihrem kommunizierten Erleben betrachtet
werden. Welche Gefühle tauchen in und zu den jeweiligen Räumen auf,
wie werden diese (raumbezüglich) erlernt, angeeignet, eingeübt und
kommuniziert. Hängen diese mit spezifischen Rollen zusammen? Es gilt
also sowohl normative Quellen im weitesten Sinne, also
wissenschaftliche Literatur, Policeygesetzgebung, Ratgeber usw. zu
analysieren, wie vor allem auch Selbstzeugnisse, die das Erleben in
erlernten Bahnen spiegeln. Dabei sind in letzterem jedoch die
kommunizierten Gefühle nicht (automatisch) als tatsächlich
empfunden zu denken, sondern vor allem als Kommunikationsmittel zu
betrachten, als Begründungen und Erklärungen für konformes oder
nonkonformes Handeln oder als Mittel der Bedeutungsübertragung, bzw.
Wirklichkeitsanpassung, sowie als Mittel der Durchsetzung der eigenen
Sichtweise (so kann Mitleid erweckt werden, um die eigene Position
bei den Lesern zu verändern, bzw. Eigen- und Fremdbild anzupassen
oder den Wahrheitsanspruch zu unterstreichen).
Wichtig
ist in diesem Zusammenhang, die Gefühle vor allem in ihrer Wirkung
auf das Denken und Handeln zu betrachten. Wo es nötig wird, ist
zudem eine metasprachliche Untersuchung der Gefühle nötig, um
besonders in Fällen gleicher oder ähnlicher Vokabeln nicht
gegenwärtige Bedeutungen, Inhalte und Handlungskonsequenzen in diese
hinein zu transportieren und so das Ergebnis zu verfälschen, bzw. zu
„verunzeitigen“. Gleiches gilt für die jeweiligen Räume, die
trotz gleichem oder ähnlichem Namen anders konstituiert sein können.
Dies gilt in beiden Fällen auch für zeitgenössisch verschiedene
Ausprägungen, die durch verschiedene Milieus bestimmt sind.
Zur
Beschränkung des Umfangs soll die Arbeit auf schriftliche Zeugnisse
fokussieren und allenfalls ergänzend bildliche Quellen hinzu ziehen.
Eine dezidierte Analyse von Bildquellen muss zum jetzigen Standpunkt
weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben.
Auf
diese Weise soll sich ein freilich unvollständiges Bild der
emotional kartografierten Lebenswelt ergeben, der historischen
Zusammenhänge von Raum und Gefühl in der gemeinsamen Aneignung und
der diesem Prozess zugewiesenen Funktion und lebensweltlichen
Wirkung, basierend auf den theoretischen Vorüberlegungen, die
selbstredend aktuelle Forschungen rezipieren müssen.
Die
Arbeit geht damit einen doppelten Weg. Zum Einen soll anhand neuester
Forschung der Zusammenhang von Emotion und Raum als gemeinsames
strukturbildendes Merkmal untersucht werden und zum Anderen soll
anhand der sich daraus ergebenden Frage, dem sich ergebenden
„Brennglas“, die frühneuzeitliche Welt in Bezug auf die konkrete
Ausprägung und konkrete Zusammenhänge betrachtet werden.
Die
Arbeit will einen Beitrag zum Verstehen des Zusammenhangs von Emotion
und Raum beitragen, sowie die emotionale Kartografierung, so und wie
sie sich fassen lässt, in ersten Zügen beispielhaft erfassen.
1Vgl.
dazu u.a. Jutta Stalfort, Die Erfindung der Gefühle. Eine Studie
über den historischen Wandel menschlicher Emotionalität
(1750-1850) (Bielefeld: transcript, 2013), insbesondere 106f, sowie
generell Christian von Scheve, Emotionen und soziale Strukturen. Die
affektiven Grundlagen sozialer Ordnung (Frankfurt am Main/New York:
Campus 2009). Beide Arbeiten sind für diese Untersuchung von großem
Wert.
2Das
hier vertretene Raumkonzept basiert zum großen Teil aus
Weiterführungen von raumsoziologischen Ansätzen wie jenen Martina
Löws, als auch phänomenologischen. In dieser Hinsicht ist die
Ebene der Konstruktion von Räumen, die weitgehend unbewusst
abläuft, von jenen der Raumerfahrung in der alltäglichen
Lebenswelt zu unterscheiden und muss für die Untersuchung
grundsätzlich beachtet werden. Prinzipiell sind Räume als soziale
Ordnungssysteme und Handlungsmuster zu verstehen, die nur in der
Wahrnehmung als Ganzes und Gegebenes (bzw. fraglos Gegebenes)
erscheinen, in der Konstitution aber aus verschiedenen Elemente
zusammengesetzt sind und die jeweils einzeln als auch als Ganzes mit
Sinn und Handlungsanweisungen belegt sind. Vgl. dazu Martina Löw,
Raumsoziologie (Franfurt am Main: Suhrkamp, 2001), sowie Sebastian
Ernst, „Inueni portam spes et fortuna valete!“. Der Hafen als
kulturelles Konstrukt in der Frühen Neuzeit (Potsdam:
unveröffentlichte Magisterarbeit an der Universität Potsdam),
11ff.
Hallo Herr Ernst, vielen Dank für diesen interessanten Überblick. Mir kamen beim Lesen beispielhafte Situationen in den Sinn, bei denen Räume und Gefühle Einfluss auf eine Gruppe von Menschen und deren Sozialverhalten haben. Und inwieweit es sinnvoll ist, sozial erlernte und abgesicherte Gefühlsräume zu durchbrechen. z.B. in Unterrichtssituationen hat jeder Teilnehmer nach sehr kurzer Zeit seinen "Stammplatz" im Raum. ist es nun sinnvoll bei dieser erlernten Raumaufteilung zu bleiben, oder diese aufzubrechen... ich werde das mal in meinen eigenen Unterrichtssituationen ausprobieren. Sozusagen als Feldstudie ohne akademischen Anspruch ;-) Liebe Grüße aus Frankfurt am Main, julia
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