Mittwoch, 23. Dezember 2015

Flüchtige Momentaufnahmen, Provokationen und Gedankenspiele XII

Auch die zu den s.g. "Naturwissenschaften" konstruierten Forschungsbereiche bilden keine "Realität" oder schon gar nicht in einem umfassenden Sinne "alles" ab, sondern erzählen uns von einer Wirklichkeit als begrenzte Perspektive, als Ausschnitt, als eine eigene bedeutungshafte Erzählung, die sie selbst mitschaffen. "Realität" abzubilden, würde voraussetzen, sie außerhalb von Wahrnehmung zu erfassen, da jede Wahrnehmung, gleich durch welche "Brille" oder durch welche "Instrumente" sie erfolgt, bereits eine Konstruktionsleistung ist, die von der jeweiligen vorhergehenden Wirklichkeit abhängig ist. Da uns nur die Wahrnehmung bleibt, durch die wir Welt und immer nur ausschnitthaft, eingebettet in sinnhafte Erzählungen erfahren können, bieten uns auch die Naturwissenschaften nur Konstrukte an, die sie mit Bedeutung ausstatten, zu Narrativen machen. Nur wenn wir den Glauben an die "Wahrheit" der Naturwissenschaften endlich auch allgemein aufbrechen, haben wir auch eine Chance die Geisteswissenschaften wieder aufzuwerten, die in ihrer Selbstreflektion bereits weiter vorangeschritten zu sein scheinen, um mit Hilfe dieser auch die kapitalistische Welt des Technisch-Strebenden-Funktionierens als Wahrheit aufzulösen und uns zu befreien...Was dabei entsteht muss keine Verunsicherung sein, sondern eine Wissenschaft, die das Mögliche außerhalb ihrer bisherigen Narrative zu denken imstande ist und überhaupt allererst fähig, sich selbst zu reflektieren. Auch entsteht daraus kein Chaos, sondern die Möglichkeit des Schaffens, wenn wir uns nicht mehr auf je spezifische Wahrheiten als Natürlichkeiten berufen können, mit denen wir mit dem Schwert des Zeitgeistes gegen das "Andere" zu Felde ziehen.

Wie schon Hitler, ist auch Trump der unterschätzte Vollidiot, der ungebildete Hampelmann, dem man jede schwachsinnige Theorie einreden kann, damit er sie medienwirksam rausposaunt, ganz hitleresque inszeniert er sich selbst und seinen Pöbel als den armen, marginalisierten und bedrohten Weißen Mann, in einer Welt der "fremden, volkszersetzenden Horden", ganz im stile faschistischen Aufbruchs schreien seine Anhänger nach Rache, nach Härte nach Gnadenlosigkeit und rekrutieren sich aus einer vermeintlichen "Mitte" der Gesellschaft, die nur schlicht, bieder und mit dem üblichen konservativen Mangel an Bildung erscheint und ganz wie 1933 ist genau das eine explosive Mischung...die Welt hingenen muss diesmal frühzeitig handeln...

Sonntag, 6. Dezember 2015

Markus Gabriels nicht existierende Welt und seine qualitativ ebenso wenig existente Konstruktivismuskritik

Markus Gabriel, Philosoph und Autor, hat wie man das so tut, ein Buch geschrieben. Es nennt sich „Warum es die Welt nicht gibt“ und wird als Spiegel Bestseller deklariert, das heisst also, es haben womöglich viele Leute gelesen und als Freund einer, wie ich es nenne, „Gossenphilosophie“, die sich nicht in sprachlicher Vereinfachung verliert, sondern deren Programmatik die Verbreitung und Anwendung philosophischen Denkens ist, eben weil damit die Komplexität der Welt, die sich sprachlich eben nicht einfach fassen lässt, zum Alltag dazugehören soll, sah mich freilich auch gezwungen ein so breit rezipiertes Machwerk anzuschauen. Das folgende schreibende Sprechen dient jetzt nicht als Buchrezension, es gibt vielmehr eine Prozess des Lesen wider, eine kleine Perspektive innerhalb der Perspektive auf das Buch und wird evtl. nach einigen weiteren Seiten des Lesens fortgesetzt. Das Buch ist also nicht zu Ende gelesen und trotzdem erlaube ich mich mir hier bereits einige Worte, nicht zuletzt als kleiner Seitenhieb einer ebenso fragmenthaften Kritik des Konstruktivismus, die Gabriel damit betreibt.
Was nun als charmant-narzisstisches Philosophieren in Buchform begann (und ich hoffe sehr, dass Gabriel der entgegenspringende Narzismus bewusst ist und dieser als Stilmittel fungiert), welches zugleich „verständlich“ sein wollte, also „allen“ verständlich, wie auch immer das ohne einen zur Unkenntlichkeit reduzierten Verstehensbegriff zu leisten sein könnte, findet seinen ersten Höhepunkt in Gabriels Beschäftigung mit dem Konstruktivismus, die er als Kritik versteht, sich aber als wohl mit „Verständlichkeit“ begründete oberflächlich-vereinfachende Überheblichkeit zeigt, der ich mich hier widmen möchte. Dabei will ich gar nicht auf das Offensichtlichste eingehe, nämlich das Problem, dass es DEN Konstruktivismus gar nicht gibt, sondern eine Vielheit an Ansätzen (einzig den Neurokonstruktivismus erwähnt er explizit aber ebenso unzulässig verkürzt), noch will ich mir anmaßen in gleicher Weise wie er als „Kritiker“, selbst als „Advokat“ all dieser Spielarten aufzutreten, vielmehr möchte ich „meine“ Variante des Konstruktivismus gegen seine Kritik ins Feld führen und dies so kurz und knapp wie möglich.
Wie man das als Philosoph nun so gern macht um nicht der Zuschreibung eines arroganten Elfenbeinturmberwohners anheimzufallen, arbeitet sich Gabriels Kritik an Beispielen ab. Ein zentrales Beispiel und damit einen zentralen Kritikpunkt möchte ich nun aufnehmen. Es handelt sich dabei um folgendes Gedankenspiel:
„Nehmen wir an, wir sitzen in gerade im Zug und erkennen, dass Passagiere einsteigen. In diesem Fall ist es eine Tatsache, dass Passagiere in einen Zug einsteigen. Vorausgesetzt, wir unterliegen keiner optischen Illusion, was möglich, aber wohl die Ausnahme ist, vermittelt uns unsere Registratur (unsere Augen) ein zutreffendes Bild der Tatsachen. Die so erkannte Tatsache besteht an sich, was in diesem Kontext bedeutet: Die Passagiere wären auch dann in den Zug eingestiegen, wenn niemand an Bord des Zuges sie dabei beobachtet hätte.“ (S. 58)
Die wichtige Punkte hierbei sind „Tatsache“, „zutreffendes Bild“ und „an sich“. Es geht also darum, dass unabhängig von einem Beobachter, genau dies vor sich geht: Passagiere steigen in einen Zug ein. Der Konstruktivismus gehe nun fehl, weil er genau dies leugne. Den Fehler, den Gabriel nun macht, benennt er dabei selbst, jedoch ohne es zu merken und zeigt dabei, dass erstens nicht der Konstruktivismus „Tatsachen“ leugnet, sondern nur sein ziemlich verqueres Bild von diesem und zweitens, dass Gabriel dem Leser hier mit einer ziemlich primitiven Vereinfachung sein Weltbild logisch unterjubeln will und sich dafür einer aristotelischen Rhetorik des „allgemein Wahrscheinlichen“ bedient, nämlich der „Tatsache“, dass ja wohl jeder seiner Behauptung folgen würde, es sei denn, er ist einer jenen“verkopften“ und „fehlerhaften“ Konstruktivisten.
Was ist nun dieser Fehler? Wenige Seiten weiter spricht Gabriel von den Bedingungen des Erkenntnisvorgangs, zu denen z.B. Sinnesorgane gehören, mit denen wir diese „Tatsachen“ wahrnehmen können, diese sind aber unterschieden von den Bedingungen des Erkannten, die Passagiere steigen also nicht ein, weil ich sie sehe, sondern trotz allem, ihre „Tatsache“ kann also von mir erkannt werden, wird aber nicht durch das Erkennen produziert. Kurz darauf dringt er nun zu des Pudels Kern vor, in dem er schreibt: „Kein anderes Tier auf diesem Planeten ist imstande zu erkenne, dass Passagiere in den Zug einsteigen, da die anderen Tiere kein Konzept von Zügen oder Passagieren haben.“ (S. 62) Was haben wir hier nun? Genau das, was viele Konstruktivisten behaupten würden, die dabei aber gerade eine Unterscheidung im Begriff „Tatsache“ vornehmen. Einen grundsätzlichen erkenntnistheoretischen Skeptizismus außen vor gelassen, kann man so etwas wie „Tatsachen“ annehmen, also eine Realität, die abseits aller Beobachtung existiert aber davon verschieden sind die „Tatsachen“, die die Beobachtung generiert und die eben in diesem Fall zum Beispiel Konzepte von „Bahnhof“, „Zug“, „Passagier“ und „Einsteigen“ benötigt um eben jene „Tatsache“ „Passagiere steigen am Bahnof in einen Zug ein“ zu schaffen. Bei dieser „Tatsache“ handelt es sich also nicht um einen „objektiven“ Fakt, sondern um eine „soziale Tatsache“ wie es Searl beschreiben würde, also um eine sozial verbindliche und institutionalisierte Vereinbarung von Handeln und Deuten dieser Handlung. Das heisst auch, dass wir eben nur einen Ausschnitt aus all dem wahrnehmen, was wahrnehmbar wäre, z.B. eben gerade im Moment nicht die Person, die am Bahnhofskiosk ein Eis kauft und es heisst ebenso, dass wir dieses Interpretationsmuster eben nicht nur anhand „markanter“ Elemente abrufen (die das Bild zugleich um Handlungsanweisungen, Gefühle, Erinnerungen usw. erweitern), sondern dies auch nur können, weil wir das für uns Sichtbare bereits eingeteilt haben, ihm eine Struktur gegeben. Man könnte also sagen, was „wirklich“ passiert, ist nur die Änderung der Relation und Zustände von ein paar Billiarden Strings. Dies wäre dann die „eigentliche Tatsache“, die wir aber aufgrund unserer Sinnesorgane aber auch aufgrund unserer sozialen und habitualisierten Vereinbarungen in einer andere „Tatsache“ überführen, die uns „sinnvoll“ erscheint. Damit ist diese „Tatsache“ beobachterabhängig. Ohne all diese Vereinbarungen und Personen, die diese vollführen, gibt es die Tatsache schlicht nicht. Genauso verhält es sich nun aber auch mit der Beschreibung durch die Strings. Auch hier handelt es sich in der Beobachtung um einen temporären, lokalen und narrativ zusammengefassten Ausschnitt (wir haben ja ein „Anfang“ und ein „Ende“ des Vorgangs, den wir als zielgerichtet beschreiben) mit Hilfe bestimmter Konstrukte, die in einen Diskurs, ein Bedeutungsnetzwerk und vieles mehr eingebunden sind. Und auch die Veränderung der Strings ist keine umfassende Beschreibung der „Tatsache“, denn sowohl die menschliche Person, als auch der Hund konstruieren mit Hilfe ihrer Wahrnehmung weitere, beobachterzentrierte „Tatsachen“, die wiederum das Handeln bestimmen und damit auch die „physikalische Realität“ beeinflussen, sie zeitigen Wirkungen. Ganz im Sinne der Theorie Gabriels, ist also dies alles „tatsächlich“, dies alles sind konstruktions- und damit beobachterbedingte „Tatsachen“, die freilich auf etwas „reales“ verweisen, sich an ihm abarbeiten, es aber nie erfassen können. Alle „Tatsachen“ sind damit dem was er „Gegenstansbereiche“ nennt zuordenbar und als solches „Tatsachen“ aber sie sind deswegen nicht „real“ oder eine Abbildung von „Realität“, noch sind sie nicht konstruiert. Der Konstruktivismus wie ich ihn hier vertrete behauptet damit eigentlich etwas ganz ähnliches (aber man muss sich ja im Wissenschaftsbereich auch freilich immer schön abgrenzen, geht ja um Forschungsgelder und Positionierungen). Es gibt wahrscheinlich eine Realität, die unabhängig aller Beobachtung ist. Zu eben dieser haben wir aber keinen Zugang. Alles was wir haben ist die Konstruktion von sinn- und musterhaften Ausschnitten, geprägt durch Vorstellungen, Vereinbarungen, Begriffe, aus denen komplexe Wirklichkeiten hervorgehen können, die sich von anderen unterscheiden. Sie alle sind „Tatsachen“ aber sie alle sind auch konstruiert.
Dies bedeutet freilich keinen zwangsweisen „heillosen“ Relativismus, nur verändert es das Verständnis der Welt und muss andere Grundlagen des „Richtigen“ finden als eine primitive Übereinstimmung mit den „Fakten“ der „Tatsachen“ der „einen“ „Welt“.

#Markus Gabriel #Konstruktivismus #warumesdieweltnichtgibt #Neuer Realismus