Markus Gabriel, Philosoph und Autor,
hat wie man das so tut, ein Buch geschrieben. Es nennt sich „Warum
es die Welt nicht gibt“ und wird als Spiegel Bestseller deklariert,
das heisst also, es haben womöglich viele Leute gelesen und als
Freund einer, wie ich es nenne, „Gossenphilosophie“, die sich
nicht in sprachlicher Vereinfachung verliert, sondern deren
Programmatik die Verbreitung und Anwendung philosophischen Denkens
ist, eben weil damit die Komplexität der Welt, die sich sprachlich
eben nicht einfach fassen lässt, zum Alltag dazugehören soll, sah
mich freilich auch gezwungen ein so breit rezipiertes Machwerk
anzuschauen. Das folgende schreibende Sprechen dient jetzt nicht als
Buchrezension, es gibt vielmehr eine Prozess des Lesen wider, eine
kleine Perspektive innerhalb der Perspektive auf das Buch und wird
evtl. nach einigen weiteren Seiten des Lesens fortgesetzt. Das Buch
ist also nicht zu Ende gelesen und trotzdem erlaube ich mich mir hier
bereits einige Worte, nicht zuletzt als kleiner Seitenhieb einer
ebenso fragmenthaften Kritik des Konstruktivismus, die Gabriel damit
betreibt.
Was nun als charmant-narzisstisches
Philosophieren in Buchform begann (und ich hoffe sehr, dass Gabriel
der entgegenspringende Narzismus bewusst ist und dieser als
Stilmittel fungiert), welches zugleich „verständlich“ sein
wollte, also „allen“ verständlich, wie auch immer das ohne einen
zur Unkenntlichkeit reduzierten Verstehensbegriff zu leisten sein
könnte, findet seinen ersten Höhepunkt in Gabriels Beschäftigung
mit dem Konstruktivismus, die er als Kritik versteht, sich aber als
wohl mit „Verständlichkeit“ begründete
oberflächlich-vereinfachende Überheblichkeit zeigt, der ich mich
hier widmen möchte. Dabei will ich gar nicht auf das
Offensichtlichste eingehe, nämlich das Problem, dass es DEN
Konstruktivismus gar nicht gibt, sondern eine Vielheit an Ansätzen
(einzig den Neurokonstruktivismus erwähnt er explizit aber ebenso
unzulässig verkürzt), noch will ich mir anmaßen in gleicher Weise
wie er als „Kritiker“, selbst als „Advokat“ all dieser
Spielarten aufzutreten, vielmehr möchte ich „meine“ Variante des
Konstruktivismus gegen seine Kritik ins Feld führen und dies so kurz
und knapp wie möglich.
Wie man das als Philosoph nun so gern
macht um nicht der Zuschreibung eines arroganten
Elfenbeinturmberwohners anheimzufallen, arbeitet sich Gabriels Kritik
an Beispielen ab. Ein zentrales Beispiel und damit einen zentralen
Kritikpunkt möchte ich nun aufnehmen. Es handelt sich dabei um
folgendes Gedankenspiel:
„Nehmen wir an, wir sitzen in gerade
im Zug und erkennen, dass Passagiere einsteigen. In diesem Fall ist
es eine Tatsache, dass Passagiere in einen Zug einsteigen.
Vorausgesetzt, wir unterliegen keiner optischen Illusion, was
möglich, aber wohl die Ausnahme ist, vermittelt uns unsere
Registratur (unsere Augen) ein zutreffendes Bild der Tatsachen. Die
so erkannte Tatsache besteht an sich, was in diesem Kontext bedeutet:
Die Passagiere wären auch dann in den Zug eingestiegen, wenn niemand
an Bord des Zuges sie dabei beobachtet hätte.“ (S. 58)
Die wichtige Punkte hierbei sind
„Tatsache“, „zutreffendes Bild“ und „an sich“. Es geht
also darum, dass unabhängig von einem Beobachter, genau dies vor
sich geht: Passagiere steigen in einen Zug ein. Der Konstruktivismus
gehe nun fehl, weil er genau dies leugne. Den Fehler, den Gabriel nun
macht, benennt er dabei selbst, jedoch ohne es zu merken und zeigt
dabei, dass erstens nicht der Konstruktivismus „Tatsachen“
leugnet, sondern nur sein ziemlich verqueres Bild von diesem und
zweitens, dass Gabriel dem Leser hier mit einer ziemlich primitiven
Vereinfachung sein Weltbild logisch unterjubeln will und sich dafür
einer aristotelischen Rhetorik des „allgemein Wahrscheinlichen“
bedient, nämlich der „Tatsache“, dass ja wohl jeder seiner
Behauptung folgen würde, es sei denn, er ist einer jenen“verkopften“
und „fehlerhaften“ Konstruktivisten.
Was ist nun dieser Fehler? Wenige
Seiten weiter spricht Gabriel von den Bedingungen des
Erkenntnisvorgangs, zu denen z.B. Sinnesorgane gehören, mit denen
wir diese „Tatsachen“ wahrnehmen können, diese sind aber
unterschieden von den Bedingungen des Erkannten, die Passagiere
steigen also nicht ein, weil ich sie sehe, sondern trotz allem, ihre
„Tatsache“ kann also von mir erkannt werden, wird aber nicht
durch das Erkennen produziert. Kurz darauf dringt er nun zu des
Pudels Kern vor, in dem er schreibt: „Kein anderes Tier auf diesem
Planeten ist imstande zu erkenne, dass Passagiere in den Zug
einsteigen, da die anderen Tiere kein Konzept von Zügen oder
Passagieren haben.“ (S. 62) Was haben wir hier nun? Genau das, was
viele Konstruktivisten behaupten würden, die dabei aber gerade eine
Unterscheidung im Begriff „Tatsache“ vornehmen. Einen
grundsätzlichen erkenntnistheoretischen Skeptizismus außen vor
gelassen, kann man so etwas wie „Tatsachen“ annehmen, also eine
Realität, die abseits aller Beobachtung existiert aber davon
verschieden sind die „Tatsachen“, die die Beobachtung generiert
und die eben in diesem Fall zum Beispiel Konzepte von „Bahnhof“,
„Zug“, „Passagier“ und „Einsteigen“ benötigt um eben
jene „Tatsache“ „Passagiere steigen am Bahnof in einen Zug ein“
zu schaffen. Bei dieser „Tatsache“ handelt es sich also nicht um
einen „objektiven“ Fakt, sondern um eine „soziale Tatsache“
wie es Searl beschreiben würde, also um eine sozial verbindliche und
institutionalisierte Vereinbarung von Handeln und Deuten dieser
Handlung. Das heisst auch, dass wir eben nur einen Ausschnitt aus all
dem wahrnehmen, was wahrnehmbar wäre, z.B. eben gerade im Moment
nicht die Person, die am Bahnhofskiosk ein Eis kauft und es heisst
ebenso, dass wir dieses Interpretationsmuster eben nicht nur anhand
„markanter“ Elemente abrufen (die das Bild zugleich um
Handlungsanweisungen, Gefühle, Erinnerungen usw. erweitern), sondern
dies auch nur können, weil wir das für uns Sichtbare bereits
eingeteilt haben, ihm eine Struktur gegeben. Man könnte also sagen,
was „wirklich“ passiert, ist nur die Änderung der Relation und
Zustände von ein paar Billiarden Strings. Dies wäre dann die
„eigentliche Tatsache“, die wir aber aufgrund unserer
Sinnesorgane aber auch aufgrund unserer sozialen und habitualisierten
Vereinbarungen in einer andere „Tatsache“ überführen, die uns
„sinnvoll“ erscheint. Damit ist diese „Tatsache“
beobachterabhängig. Ohne all diese Vereinbarungen und Personen, die
diese vollführen, gibt es die Tatsache schlicht nicht. Genauso
verhält es sich nun aber auch mit der Beschreibung durch die
Strings. Auch hier handelt es sich in der Beobachtung um einen
temporären, lokalen und narrativ zusammengefassten Ausschnitt (wir
haben ja ein „Anfang“ und ein „Ende“ des Vorgangs, den wir
als zielgerichtet beschreiben) mit Hilfe bestimmter Konstrukte, die
in einen Diskurs, ein Bedeutungsnetzwerk und vieles mehr eingebunden
sind. Und auch die Veränderung der Strings ist keine umfassende
Beschreibung der „Tatsache“, denn sowohl die menschliche Person,
als auch der Hund konstruieren mit Hilfe ihrer Wahrnehmung weitere,
beobachterzentrierte „Tatsachen“, die wiederum das Handeln
bestimmen und damit auch die „physikalische Realität“
beeinflussen, sie zeitigen Wirkungen. Ganz im Sinne der Theorie
Gabriels, ist also dies alles „tatsächlich“, dies alles sind
konstruktions- und damit beobachterbedingte „Tatsachen“, die
freilich auf etwas „reales“ verweisen, sich an ihm abarbeiten, es
aber nie erfassen können. Alle „Tatsachen“ sind damit dem was er
„Gegenstansbereiche“ nennt zuordenbar und als solches „Tatsachen“
aber sie sind deswegen nicht „real“ oder eine Abbildung von
„Realität“, noch sind sie nicht konstruiert. Der
Konstruktivismus wie ich ihn hier vertrete behauptet damit eigentlich
etwas ganz ähnliches (aber man muss sich ja im Wissenschaftsbereich
auch freilich immer schön abgrenzen, geht ja um Forschungsgelder und
Positionierungen). Es gibt wahrscheinlich eine Realität, die
unabhängig aller Beobachtung ist. Zu eben dieser haben wir aber
keinen Zugang. Alles was wir haben ist die Konstruktion von sinn- und
musterhaften Ausschnitten, geprägt durch Vorstellungen,
Vereinbarungen, Begriffe, aus denen komplexe Wirklichkeiten
hervorgehen können, die sich von anderen unterscheiden. Sie alle
sind „Tatsachen“ aber sie alle sind auch konstruiert.
Dies bedeutet freilich keinen
zwangsweisen „heillosen“ Relativismus, nur verändert es das
Verständnis der Welt und muss andere Grundlagen des „Richtigen“
finden als eine primitive Übereinstimmung mit den „Fakten“ der
„Tatsachen“ der „einen“ „Welt“.
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