Donnerstag, 27. August 2015

Alte Fehler unter neuem Vorzeichen oder längst überfällige Dekonstruktion? - Die Ausstellung "Frauensache - Wie Brandenburg Preußen wurde" unter kulturgeschichtlicher Sicht

Wenn die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg eine Ausstellung präsentiert die vorgibt, mit der Konstruktion von Vergangenheit zu Geschichte(n) der "Großen weißen Männer" und ihrer Kriege, einer seit langem kritisierten Geschichtsschreibung im Stil des 19. Jahrhunderts, aufzuräumen und ihr ein "Anderes" entgegenzusetzen, dann scheint dies eine Sensation, ja ein kleiner Skandal in der auf Homepage, in Publikationen und Führungen immer noch reproduzierten Welt von "Friedrich dem Großen", des "Absolutismus" und der "Aufklärung", kurz in einer Welt geschichtsphilosophischen Anachronismus'.
Allein deswegen, so scheint es, lohnt es sich, sich eingehender mit dieser Ausstellung auseinanderzusetzen und fast wäre man von vornherein geneigt die Bedeutung einer solchen gar nicht hoch genug einschätzen zu können, scheint doch in ihr das Potential auf, auch die SPSG geschichtswissenschaftlich ins 21. Jahrhundert zu katapultieren. Allerdings ist genau deswegen auch Vorsicht geboten, es ist genau hinzuschauen und dabei die Frage zu stellen, ob die Ausstellung einem solchen Anspruch gerecht werden kann. Wie wird mit diesem Anspruch umgegangen, wie wird er umgesetzt? Mit anderen Worten gilt es zu fragen, ob die lange und tief verwurzelte Tradition der "Geschichte der großen weißen Männer und ihrer Kriege und Kunstsammlungen" nicht doch abfärbt, ob die "Frauensache" nur das Altbekannte in neuem Gewand präsentiert, die Vorzeichen oder besser, das Geschlecht wechselt, um alte und liebgewonnene methodische und erkenntnistheoretische Fehler erneut begehen zu können. Ein Bericht über diese Ausstellung wird dies zu berücksichtigen haben.
Damit wären wir eigentlich auch schon beim Thema angelangt, genauer, bei „Geschlecht“ als Kategorie, als Konstrukt, als eine „willkürliche“ Möglichkeit Welt zu strukturieren, zu ordnen und Handlungssicherheit zu generieren. Eine Ausstellung, die die historischen Ausprägungen von „Geschlecht“ thematisiert oder sich zumindest eine dezidiert geschlechterhistorische Perspektive auf die Fahne zu schreiben scheint, sollte genau mit diesem Thema, der Konstruktion von „Geschlecht“, von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“, den Rollenerwartungen und -modellen bewusst umgehen. Nicht zuletzt auch deswegen, um eine allzu leichte anachronistische Identifikation aufgrund der Kategorie „Geschlecht“ zu vermeiden, denn abseits der im Alltag für die Generierung von „Sicherheit“ und „Ordnung“ scheinbar so nötigen Naturalisierung von „Geschlecht“ und der Kopplung von Handlungsanweisungen an „Penisse“ und „Vaginas“ und deren zugeordnete Merkmale, ist „Frau“ eben nicht gleich „Frau“, weder durch soziale Schichtungen hindurch, noch historisch betrachtet. Eine „Frau“ heute ist eben etwas gänzlich anderes als eine „Frau“ des 17. oder 18. Jahrhunderts, auch wenn es freilich Überschneidungen in den Rollenerwartungen und Begründungen geben kann. Eine solche Ausstellung sollte sensibel mit dem Thema der Geschlechterkonstruktion umgehen, es überhaupt thematisieren, nicht zuletzt, um einem Bildungsanspruch gerecht zu werden, der darin bestehen muss, die Konstruiertheit solcher Kategorien aufzuzeigen. Damit wären wir jedoch beim ersten Punkt angelangt, der bereits seinen dunklen oder besser pinken Schatten auf die Ausstellung wirft: das Logo und die Werbung. Noch bevor auf die Ausstellung selbst eingegangen werden kann, steht die Werbung als die Verheißung dessen was einen dort erwartet und diese lässt nichts Gutes ahnen. Das Logo besteht aus einer stilisierten „weiblichen“ Hand, die eine Schachfigur gekonnt doch „zärtlich“ in einem „Traum“ aus „Pink“ zu setzen beginnt. Eine solche Darstellung muss sich freilich mit dem Vorwurf der Reproduktion geschlechtersterotyper, wenn nicht sexistischer Kritik auseinandersetzen, die hier jedoch nicht eigens abgehandelt werden muss. Wichtig ist deren Kern, nämlich der Vorwurf der Reproduktion von geschlechterstereotypen Wahrnehmungen und einer spezifischen Konstruktion des „Weiblichen“, die zudem die bereits angesprochene anachronistische Gefahr bedeutet, sich selbst oder die „moderne Frau“ in die „Frau“ vergangener Epochen zu übertragen. Allerdings, so könnte man einwenden, kann auch Werbung bewusst mit solchen Stereotypen spielen, den Zuschauer abholen, um ihn dann mit seinen Vorannahmen kritisch zu konfrontieren. Ob und inwieweit dies hier funktioniert, gilt es in der Betrachtung der Ausstellung zu entscheiden.
Diese ist nun in mehrere thematische, örtlich getrennte Abschnitte unterteilt. Der erste Raum besteht in einem ereignishaften Überblick über eine Geschichte der Hohenzollern und Brandenburg-Preußens. Anhand markanter Meilensteine, die durch jeweils ein Ausstellungsobjekt begleitet sind, sollen die „wichtigsten“ (dass eine solche „Wichtigkeit“ ein nachträgliches Konstrukt ist bleibt leider unthematisiert) Wegpunkte dieser historischen Erzählung präsentiert werden. Die Objekte sind dabei durchaus vielseitig. Sie bestehen z.B. in der Lehnsurkunde, Schädelfragmenten aus dem „30-jährigen Krieg“ oder einigen Koffern, mit denen das Königshaus nach dem „I. Weltkrieg“ sein Hab und Gut ins Exil transportieren ließ.
Das eigentlich Bemerkenswerte sind aber nicht die Objekte an sich, sondern der Versuch mit einer teleologisch orientierten Geschichtsschreibung der Hohenzollern und Brandenburg-Preußens zu brechen, ein wichtiger und nicht zu unterschätzender Ansatz, der jedoch, anders als dies seitens der Stiftung vermutet werden könnte, nicht neu ist. Und dies ist, trotz dem wirklich positiven Ansatzes, eines weiterer Kritikpunkt, der immer wieder durchscheinende und teils kommunizierte Glaube an die Neuartigkeit eines solches Bruchs mit einer teleologischen Geschichtsschreibung oder der Geschichtskonstruktion anhand der „Großen weißen Männer“. An diesem Punkt beginnt man sich zu fragen, ob und wenn ja welcher Art von „Historikern“ die SPSG beschäftigt. Bereits im frühen 20. Jahrhundert gab es seitens der s.g. Annales-Historiker derartige Ansätze und Kritik an des bisherigen. In den 60er und 70er Jahren wurde diese Kritik seitens der s.g. Sozialgeschichte fortgesetzt und wird schließlich seit den 90ern auch von der aus der Kritik an der Sozialgeschichte hervorgegangenen s.g. Neuen Kulturgeschichte getragen. Dass eine solche Abkehr von derartigen Geschichtsmodellen „neu“ erscheint, zeigt vielmehr den methodischen und erkenntnistheoretischen „Konservatismus“, um nicht Rückständigkeit sagen zu müssen, der Welt der SPSG, die, wie bereits erwähnt, immer noch vom Glauben an Konstrukte wie „Absolutismus“ oder „Aufklärung“ gekennzeichnet ist. Trotz allem macht die Ausstellung, wenn auch spät (in dieser Verspätung steht sie allerdings leider auch nicht allein da), einiges an diesem Punkt richtig. Die Entstehung Brandenburg-Preußens wird nicht mehr als zielgerichtete Erfolgsgeschichte erzählt, sondern auch in ihren Brüchen, Unsicherheiten und Scheidewegen hin zu Alternativen und dies ist wert und wichtig erzählt zu werden. Problematisch bleibt dabei allerdings auch die Verwendung von Karten, die immer noch als Repräsentanten gelesen werden statt als Konstrukteure, als Abbildungen einer scheinbaren (realen) Wirklichkeit statt als Erschaffer einer solchen aus ebenfalls letztlich alltagsmoderner Perspektive von „Raum“ und „Grenze“ als quasi „absolut“ Auch verbleibt, trotz aller Kritik an der Teleologie die Erzählung der Ausstellung bestimmten Ereignissen und Personen verhaftet und damit letztlich einem nachträglichen und durch ereignishafte Erzählungen geprägtem Geschichtsverständnis, das zur sehr die Perspektive jener „Großen“ und nachträglich als entwicklungsgeschichtlich bedeutenden Ereignisse einnimmt, es versäumt nach den Zeitgenossen jenseits des Hofes und deren Perspektive zu fragen. Eine Teleologie kann so nur ansatzweise aufgebrochen werden.
Ein weiterer Raum beschäftigt sich nun mit den Netzwerken, zu deren zentralen Punkten die „Frauen“ gemacht werden, oder anders, mit der Heiratspolitik als Herrschaftspraxis. Einzelne Linien und netzwerkartige Verbindungen werden vorgestellt und durch Geschenke im Rahmen dieser Verbindungen präsentiert. Viel Gold, viel Glitzer und der Versuch den „Frauen“ eine politische Bedeutung als letztlich Verhandlungsgut, Unterpfand und Symbol einer politischen Verbindung zuzuerkennen. Der letzte Raum der hier zur Sprache kommen soll, beschreibt hingegen die Rollen von „Herrscherfrauen“ (denn freilich bleibt man auch hier auf der Ebene der „Großen“). Bemerkenswert ist hier zumindest in Ansätzen der Versuch nicht nur die einzelnen normativen Rollenmodelle wie „Ehefrau“, „Mutter“, „Witwe“ und „Regentin“ zu erzählen, sondern auch „Devianzen“, aufzuzeigen, Brüche und alternative Modelle und Möglichkeiten mit den Erwartungen zu spielen, sie zu umgehen, genauso wie eben jene auch zu erfüllen. Dabei wird auch das Spannungsfeld zwischen „heimatlichen“ Identitäten und familiären Loyalitäten aufgemacht und aufgezeigt. Auf diese Weise sollen „Spielräume“ aufgezeigt werden, die sich zwischen „konformem“ als auch „deviantem“ Verhalten bewegen aufgezeigt werden und z.B. der Komplexität nicht gerecht werdende Zuschreibungen bspw. von „Opferrollen“ der „Frauen“ vermieden werden. Begleitet werden auch diese einzelnen Rollenmodelle und Spielräume durch teils sehr spannende Ausstellungsstücke. Allerdings bleibt die Ausstellung auch hier an der Oberfläche. So werden die einzelnen Rollen nicht weiter ausgeführt oder historisiert. Anstatt zu fragen, inwieweit beispielsweise die Rolle „Mutter“ grundsätzlich sozialgruppenspezifisch aber vor allem auch historisch Wandlungen unterliegt, inwieweit sich also diese Rolle des 16. Jahrhunderts von der im 19. Jahrhundert und vor allem von derjenigen des modernen Betrachters unterscheidet, begnügt man sich auch hier mit gefährlichen Oberflächlichkeiten, die dazu führen anachronistische Vorstellungen in die Vergangenheit zu transportieren.
Was gilt es abschließend zu sagen? Die Ausstellung geht einen aber leider auch nur einen(!) Schritt des Weges in die „richtige“ Richtung, indem sie längst veraltete und methodisch und erkenntnistheoretisch nicht mehr haltbare historische Erzählungen aufbrechen will. Sie zeigt mit teils spannenden Ausstellungsstücken Spielräume und Rollenmodelle von „Herrscherfrauen“ im regionalen Rahmen Brandenburg-Preußens und versucht dessen Vergangenheit nicht nur als eine Geschichte der „Großen weißen Männer und ihrer Kriege“ zu erzählen, sondern auch als eine Geschichte der „Großen weißen Frauen“ und genau darin liegt das Problem. Bei aller Tendenz zu einem Aufbruch verbleibt die Ausstellung allzu oft den alten Konstrukten verhaftet. So bleibt der Blick den „Herrscherfrauen“, einer Perspektive „von oben“ verhaftet, ebenso wie einer gewissen Teleologie ereignishaften Erzählens, das zwar nicht mehr eine einzige Erfolgsgeschichte sein will, jedoch immer noch Ereignisse im Hinblick auf ein Ziel hin wertet. Ebenso verbleibt die Sprache diesen alten Erzählungen verhaftet, so wird die Geschichte der „Großen weißen Männer“ last but not least durch die weiterhin unreflektierter Verwendung von Beinamen wie Friedrich „der Große“ reproduziert, die den „Herrschern“, ob sie nun eine Vagina oder einen Penis haben zu denjenigen macht, die Vergangenheit aus sich selbst heraus zu bestimmen vermögen. Dazu gesellten sich in der Führung anachronistische und unzureichend bis gar nicht historisierte Begriffe und Konstrukte, die den Blick auf die Wirklichkeiten der Zeitgenossen verstellen, wie „Militär“ oder „Mutter“. Hinzu kommt und dies ist noch problematischer, dass es die Ausstellung unterlässt, die generelle Konstruktion von „Geschlecht“ zu thematisieren, geschweige denn zu hinterfragen, stattdessen nimmt sie „Mann“ und „Frau“ als Gegebenes und nicht als historisch Gewachsenes und „willkürlich“ Konstruiertes an. Gerade eine solche Thematisierung stellt den wichtigsten Beitrag einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive zum Ziele von Bildung (dessen einzig sinnvoller Kern kritisches Denken sein kann) dar. Ein Bildungsauftrag wird damit also kaum erfüllt und man kann behaupten, die Ausstellung steht einem solchen in vielen Teilen sogar entgegen.
Die einleitende Frage lässt sich also nicht ganz eindeutig beantworte: Ja, die Ausstellung beginnt einen längst überfälligen Prozess aber ebenso ist zu bejahen, dass sie dabei alte Fehler unter neuen Vorzeichen begeht. Inwieweit sie also zu unterstützen ist, hängt dann letztlich von der persönlichen Perspektive ab, von der Bewertung des Einen oder des Anderen als ausschlaggebend. Den Ausstellungsstücke selbst ist die Präsentation jedoch nicht anzulasten, sie zu betrachten lohnt immer, im Zweifel mit einem guten Buch zur Konstruiertheit von „Geschlecht“ oder von Vergangenheit zu Geschichte(n)…

Dienstag, 4. August 2015

Das anachronistische Gefühl und „Der gefühlte Krieg“ – Rezension zur Ausstellung im Museum Europäischer Kulturen

Das anachronistische Gefühl und „Der gefühlte Krieg“ – Rezension zur Ausstellung im Museum Europäischer Kulturen

Es ist ein zweischneidiges Schwert, dieser Bericht über die Ausstellung „Der gefühlte Krieg“, denn, so einfach die Bewertung in der Überschrift aufscheint, ist es eben doch nicht. Nicht, weil die Ausstellung dann vielleicht doch vieles „richtig“ macht, sondern vielmehr weil bei aller Kritik etwas auf dem Spiel zu stehen scheint, das sehr wichtig in der Museumslandschaft ist: der Mut Neues zu wagen. Genau das ist es auch, was diese Ausstellung in gewisser Hinsicht auszeichnet, im Positiven, wie im Negativen.
In den letzten Jahrzehnten hat sich in der Geschichtswissenschaft viel getan, zumindest theoretisch oder besser, zumindest theoretisch in der Theorie. Alte Geschichtsphilosophien, die aus den Vergangenheiten als Geschehenem die Geschichten „Großer Weißer Männer (und ihrer Kriege um auf das Thema zu verweisen)“ machten, wurden abgelöst von Geschichten der Strukturen und schließlich von den Geschichten des Sinns und der Wechselwirkungen von sinn(re)produzierenden Akteuren und sinndeterminierenden Strukturen. Damit wandelte sich der Blick auf das, was als „wirkmächtig“ und „geschichtsträchtig“ erachtet wurde und löste eine ganze Reihe an Perspektivwechseln (genannt „turns“) aus, die der Komplexität menschlichen Handelns und menschlicher Vergangenheit Rechnung tragen sollten. Dabei wurden zugleich „liebgewonnene“ und als allgemeingültig erachtete „Gewissheiten“ hinterfragt, dekonstruiert, zerstört und damit zugleich der Weg bereitet für „neue“ Geschichten. Zu diesen vermeintlichen Gewissheiten gehört auch der Glaube an Gefühle als unveränderbar, als letztlich ahistorisch, als immer gleich. Die Geschichte, die dies hinterfragt, ist die Emotionsgeschichte, die zugleich Pate für diese Ausstellung gestanden haben dürfte. Dass sich ein Museum mit einer Ausstellung diesen „neuen“ und in vielen Teilen kritischeren Geschichten zuwendet, die zudem aufgrund ihres konstruktivistischen Untertons zugleich mehr bieten als bloße Wissensbestände, sondern das Potential haben zu kritischem als welt- und selbstreflexivem Denken anzuregen, indem eben gerade Gewissheiten hinterfragt und das Gegebene als Gewordenes erkannt werden kann, ist leider immer noch nicht selbstverständlich, sondern ein mutiger Schritt. Ein mutiger Schitt leider immer noch entgegen nicht zu unterschätzender Widerstände seitens sich hartnäckig am Leben erhaltender älterer geschichtswissenschaftlicher Strömungen und vor allem auch entgegen der Art und Weise von historischen Erzählungen wie sie im geschichtskundlichen Schulunterricht und in weiten Teilen populärer Geschichtskultur bestimmend bleiben. Dieser Mut gehört gewürdigt, zumal diese Ausstellung in zweierlei Hinsicht etwas „richtig“ macht. Erstens, sie greift ein höchst aktuelles Thema auf, die Emotionsgeschichte, die, das muss man zugeben, freilich qualitativ sehr unterschiedlich betrieben wird, nicht zuletzt weil jeder gern auf „neue“ Züge aufspringt, immerhin geht es um Förder- und Forschungsgelder. Zweitens, die Ausstellung kehrt auch dem Krieg der „Großen Weißen Männer“ den Rücken und sucht „Geschichte von unten“ zu betrachten, nicht normative Vorgaben und formulierte Ideale einer „Elite“ sind geschichtsmächtig, sondern der einzelne Akteur auch jenseits dieser „Eliten“ in seinem alltäglichen Handeln. Insbesondere dieser kommt im wahrsten Sinne „zu Wort“, ihm wird eine „Authentizität“ zugesprochen, die über jene der „Großen“ hinaus geht und genau hier liegt eines der großen Probleme der Ausstellung, auf das noch eingegangen werden muss.
Das Hauptproblem jedoch besteht darin, die Grundkategorie der eigenen Geschichte die man in der Ausstellung konstruiert letztlich durch einen unzureichend reflektierten und thematisierten Anachronismus scheitern zu lassen und damit die Chance auf eine „wirkliche“ Geschichte von Gefühlen und Krieg zu vereiteln, die in mehr bestehen kann als einer Geschichte der Gefühle des Krieges des Besuchers, die sich selbst verschleiert. Aber der Reihe nach.
„Kein Krieg ohne gesteigerte Emotionen“ lautet das Postulat am Beginn der Ausstellung, das diese zugleich legitimiert. Es gehe um die Rolle von Gefühlen im Krieg. Dieser emotionsgeschichtliche Blick soll dabei anregen, Krieg neu zu denken, neu über ihn zu reflektieren. Unterstützt wird dieses Vorhaben durch künstlerischer Installationen und Arbeiten, die das emotionale (Er)Leben im und zum Ersten Weltkrieg spiegeln und fassbarer machen soll. Ein solches Vorhaben scheint vielversprechend, eine Geschichte des Krieges durch die „Brille“ der Gefühle der Teilhabenden, in der zugleich eine Geschichte des Fühlens überhaupt erscheint, ja erscheinen muss! Aber genau dies ist der elementare Fehler der Ausstellung. Es ist eben keine Geschichte des Fühlens, die letztlich die Voraussetzung sein muss, um das Fühlen im Ersten Weltkrieg erfassbar zu machen, es ist eine Geschichte des Fühlens der Besucher, des Anachronismus des Fühlens.
Fühlen hat eine Geschichte, Gefühle haben eine Geschichte, Krieg hat eine Geschichte. Auf all dies wird jedoch nicht eingegangen. Was bedeutet eigentlich „Angst“ für den „einfachen Soldaten“ um 1916, was für seine daheimgebliebene Frau? Was bedeutet „Vaterlandsliebe“, wie wurde diese gelebt abseits der in Ausstellungsstücken präsentierten Propaganda? All dies sind Fragen, den sich praktisch nicht gestellt wird, die aber zentraler Kern eines „Gefühlten Krieges“ sein müssen. Begriffe wie „Angst“ und „Vaterlandsliebe“, sowie generell Emotionsbegrifflichkeiten unterliegen einem historischen Wandel: „Angst“ ist eben nicht gleich „Angst“. Gleiche Vokabeln verschleiern dies und gerade deshalb wäre es nötig gewesen, als allererstes das Thema „Gefühl“ überhaupt in seiner Historizität zu thematisieren. Stattdessen erscheinen in allen präsentierten Quellen die Gefühle oder besser das Verständnis der jeweiligen konkreten Gefühle, der Besucher auf. Die „Angst“ im „Krieg“, die „Liebe zum Vaterland“, die „Ehre“ und „Sehnsucht“ sind die Gefühle der Besucher, nicht diejenigen der durch die Quellen Sprechenden. Daran ändern auch einzelnen Ausstellungsteile nicht, die zeitgenössische Angstbewältigungsmechanismen präsentieren, diese können so nur als „skuril“ erscheinen, denn die Gefühle zu denen diese Praktiken gehören sind eben andere. Unterstützt wird dieser Anachronismus dabei noch durch die Bearbeitung durch zeitgenössische Künstler, die eben nicht das historische Gefühl verarbeiten, sondern ihre eigene Interpretation einer „Angst“ in ihrer Interpretation von „Krieg“, die zwar durchaus auf einer geschichtswissenschaftlichen Erzählung von „Krieg“ fußen kann (der übrigens in seiner Historizität auch dringend thematisiert werden müsste, ebenso wie der Zusammenhang „gesteigerter“ Emotionen und „Krieg“) aber auf diese Weise das Thema nur noch mehr verwirrt, denn es sind nun nicht mehr die „modernen“ Gefühle zur modernen Vorstellung von „Krieg“, sondern „moderne“ Gefühle zu einer historischen Erzählung von „Krieg“.
Die durchgehend sehr sparsame Beschriftung und Erklärung der Exponate trägt freilich ihr Übriges zu einer „modernen“ alltagsweltlichen Interpretation des Fühlens im Ersten Weltkrieg bei. Dies ist umso drastischer, als dass auch den Schreibenden Akteuren bspw. der Briefe und Postkarten von der „Front“ eine große Authentizität zugestanden wird, allein bereits dadurch, dass ihr Schreiben als Teil eines Diskurses von „Frontbriefen“ nicht thematisiert wird. Mit anderen Worten wäre allererst zu fragen, welchen Diskursen sie folgen wenn sie schreiben, welche Regeln existieren, welche Begründungen für spezifische Stile. Nicht zuletzt wäre ein wichtiges Thema die Frage danach, inwiefern das Schreiben oder generell Ausdrücken eine Gefühls dieses Gefühl ist, dem Erleben folgt, es erst hervorruft oder gar ohne es auskommt. Das Schreiben vom „eigenen“ Fühlen ist wie das Fühlen selbst historisch, sozial, kulturell und biographisch bedingt, es steht im Austausch mit einem „tatsächlichen“ Fühlen ohne es zu sein und es erfüllt Funktionen, hat Bedeutungen auch im Krieg aber auch diese trägt es eben nicht „offen“ zu Schau, sondern muss erst erschlossen werden und kann daher in einer Ausstellung nicht für sich selbst stehen ohne mindestens anachronistische Interpretationen zu provozieren.
Was bleibt also? Die Ausstellung ist ein Versuch neue Themen zu erschließen und daher wichtig. Sie bietet interessante Ausstellungsstücke zum Ersten Weltkrieg und eine wichtige Perspektive „von unten“, die es vermag zumindest eine Geschichte der „Großen Weißen Männer“ zu umgehen und vielleicht zu hinterfragen. Was fehlt ist eine Thematisierung des Fühlens und seiner Historizität selbst, der Normen und Diskurse des Fühlens, des Redens, Schreibens oder anderweitigen Ausdrückens des Fühlens. So wichtig die Zuwendung zu solchen Themen ist, nicht zuletzt weil sie es mehr als andere Geschichten schaffen könnten zu bilden statt nur wissensbulimisch vermeintliche Fakten zu vermitteln, so sehr kann sie auch fehlgehen, wenn dem einzelnen Soldaten in seinem Ausdruck per se „Authentizität“ zugesprochen und sein Fühlen dabei klammheimlich durch anachronistische Deutungen modernisiert wird. Was bleibt ist dann nur das Fühlen des Besuchers, eine eigene spannende Geschichte wert aber nicht zum Preis des Fühlens des historischen „Anderen“.