Das anachronistische Gefühl und „Der
gefühlte Krieg“ – Rezension zur Ausstellung im Museum
Europäischer Kulturen
Es ist ein zweischneidiges Schwert,
dieser Bericht über die Ausstellung „Der gefühlte Krieg“, denn,
so einfach die Bewertung in der Überschrift aufscheint, ist es eben
doch nicht. Nicht, weil die Ausstellung dann vielleicht doch vieles
„richtig“ macht, sondern vielmehr weil bei aller Kritik etwas auf
dem Spiel zu stehen scheint, das sehr wichtig in der
Museumslandschaft ist: der Mut Neues zu wagen. Genau das ist es auch,
was diese Ausstellung in gewisser Hinsicht auszeichnet, im Positiven,
wie im Negativen.
In den letzten Jahrzehnten hat sich in
der Geschichtswissenschaft viel getan, zumindest theoretisch oder
besser, zumindest theoretisch in der Theorie. Alte
Geschichtsphilosophien, die aus den Vergangenheiten als Geschehenem
die Geschichten „Großer Weißer Männer (und ihrer Kriege um auf
das Thema zu verweisen)“ machten, wurden abgelöst von Geschichten
der Strukturen und schließlich von den Geschichten des Sinns und der
Wechselwirkungen von sinn(re)produzierenden Akteuren und
sinndeterminierenden Strukturen. Damit wandelte sich der Blick auf
das, was als „wirkmächtig“ und „geschichtsträchtig“
erachtet wurde und löste eine ganze Reihe an Perspektivwechseln
(genannt „turns“) aus, die der Komplexität menschlichen Handelns
und menschlicher Vergangenheit Rechnung tragen sollten. Dabei wurden
zugleich „liebgewonnene“ und als allgemeingültig erachtete
„Gewissheiten“ hinterfragt, dekonstruiert, zerstört und damit
zugleich der Weg bereitet für „neue“ Geschichten. Zu diesen
vermeintlichen Gewissheiten gehört auch der Glaube an Gefühle als
unveränderbar, als letztlich ahistorisch, als immer gleich. Die
Geschichte, die dies hinterfragt, ist die Emotionsgeschichte, die
zugleich Pate für diese Ausstellung gestanden haben dürfte. Dass
sich ein Museum mit einer Ausstellung diesen „neuen“ und in
vielen Teilen kritischeren Geschichten zuwendet, die zudem aufgrund
ihres konstruktivistischen Untertons zugleich mehr bieten als bloße
Wissensbestände, sondern das Potential haben zu kritischem als welt-
und selbstreflexivem Denken anzuregen, indem eben gerade Gewissheiten
hinterfragt und das Gegebene als Gewordenes erkannt werden kann, ist
leider immer noch nicht selbstverständlich, sondern ein mutiger
Schritt. Ein mutiger Schitt leider immer noch entgegen nicht zu
unterschätzender Widerstände seitens sich hartnäckig am Leben
erhaltender älterer geschichtswissenschaftlicher Strömungen und vor
allem auch entgegen der Art und Weise von historischen Erzählungen
wie sie im geschichtskundlichen Schulunterricht und in weiten Teilen
populärer Geschichtskultur bestimmend bleiben. Dieser Mut gehört
gewürdigt, zumal diese Ausstellung in zweierlei Hinsicht etwas
„richtig“ macht. Erstens, sie greift ein höchst aktuelles Thema
auf, die Emotionsgeschichte, die, das muss man zugeben, freilich
qualitativ sehr unterschiedlich betrieben wird, nicht zuletzt weil
jeder gern auf „neue“ Züge aufspringt, immerhin geht es um
Förder- und Forschungsgelder. Zweitens, die Ausstellung kehrt auch
dem Krieg der „Großen Weißen Männer“ den Rücken und sucht
„Geschichte von unten“ zu betrachten, nicht normative Vorgaben
und formulierte Ideale einer „Elite“ sind geschichtsmächtig,
sondern der einzelne Akteur auch jenseits dieser „Eliten“ in
seinem alltäglichen Handeln. Insbesondere dieser kommt im wahrsten
Sinne „zu Wort“, ihm wird eine „Authentizität“ zugesprochen,
die über jene der „Großen“ hinaus geht und genau hier liegt
eines der großen Probleme der Ausstellung, auf das noch eingegangen
werden muss.
Das Hauptproblem jedoch besteht darin,
die Grundkategorie der eigenen Geschichte die man in der Ausstellung
konstruiert letztlich durch einen unzureichend reflektierten und
thematisierten Anachronismus scheitern zu lassen und damit die Chance
auf eine „wirkliche“ Geschichte von Gefühlen und Krieg zu
vereiteln, die in mehr bestehen kann als einer Geschichte der Gefühle
des Krieges des Besuchers, die sich selbst verschleiert. Aber der
Reihe nach.
„Kein Krieg ohne gesteigerte
Emotionen“ lautet das Postulat am Beginn der Ausstellung, das diese
zugleich legitimiert. Es gehe um die Rolle von Gefühlen im Krieg.
Dieser emotionsgeschichtliche Blick soll dabei anregen, Krieg neu zu
denken, neu über ihn zu reflektieren. Unterstützt wird dieses
Vorhaben durch künstlerischer Installationen und Arbeiten, die das
emotionale (Er)Leben im und zum Ersten Weltkrieg spiegeln und
fassbarer machen soll. Ein solches Vorhaben scheint vielversprechend,
eine Geschichte des Krieges durch die „Brille“ der Gefühle der
Teilhabenden, in der zugleich eine Geschichte des Fühlens überhaupt
erscheint, ja erscheinen muss! Aber genau dies ist der elementare
Fehler der Ausstellung. Es ist eben keine Geschichte des Fühlens,
die letztlich die Voraussetzung sein muss, um das Fühlen im Ersten
Weltkrieg erfassbar zu machen, es ist eine Geschichte des Fühlens
der Besucher, des Anachronismus des Fühlens.
Fühlen hat eine Geschichte, Gefühle
haben eine Geschichte, Krieg hat eine Geschichte. Auf all dies wird
jedoch nicht eingegangen. Was bedeutet eigentlich „Angst“ für
den „einfachen Soldaten“ um 1916, was für seine daheimgebliebene
Frau? Was bedeutet „Vaterlandsliebe“, wie wurde diese gelebt
abseits der in Ausstellungsstücken präsentierten Propaganda? All
dies sind Fragen, den sich praktisch nicht gestellt wird, die aber
zentraler Kern eines „Gefühlten Krieges“ sein müssen. Begriffe
wie „Angst“ und „Vaterlandsliebe“, sowie generell
Emotionsbegrifflichkeiten unterliegen einem historischen Wandel:
„Angst“ ist eben nicht gleich „Angst“. Gleiche Vokabeln
verschleiern dies und gerade deshalb wäre es nötig gewesen, als
allererstes das Thema „Gefühl“ überhaupt in seiner Historizität
zu thematisieren. Stattdessen erscheinen in allen präsentierten
Quellen die Gefühle oder besser das Verständnis der jeweiligen
konkreten Gefühle, der Besucher auf. Die „Angst“ im „Krieg“,
die „Liebe zum Vaterland“, die „Ehre“ und „Sehnsucht“
sind die Gefühle der Besucher, nicht diejenigen der durch die
Quellen Sprechenden. Daran ändern auch einzelnen Ausstellungsteile
nicht, die zeitgenössische Angstbewältigungsmechanismen
präsentieren, diese können so nur als „skuril“ erscheinen, denn
die Gefühle zu denen diese Praktiken gehören sind eben andere.
Unterstützt wird dieser Anachronismus dabei noch durch die
Bearbeitung durch zeitgenössische Künstler, die eben nicht das
historische Gefühl verarbeiten, sondern ihre eigene Interpretation
einer „Angst“ in ihrer Interpretation von „Krieg“, die zwar
durchaus auf einer geschichtswissenschaftlichen Erzählung von
„Krieg“ fußen kann (der übrigens in seiner Historizität auch
dringend thematisiert werden müsste, ebenso wie der Zusammenhang
„gesteigerter“ Emotionen und „Krieg“) aber auf diese Weise
das Thema nur noch mehr verwirrt, denn es sind nun nicht mehr die
„modernen“ Gefühle zur modernen Vorstellung von „Krieg“,
sondern „moderne“ Gefühle zu einer historischen Erzählung von
„Krieg“.
Die durchgehend sehr sparsame
Beschriftung und Erklärung der Exponate trägt freilich ihr Übriges
zu einer „modernen“ alltagsweltlichen Interpretation des Fühlens
im Ersten Weltkrieg bei. Dies ist umso drastischer, als dass auch den
Schreibenden Akteuren bspw. der Briefe und Postkarten von der „Front“
eine große Authentizität zugestanden wird, allein bereits dadurch,
dass ihr Schreiben als Teil eines Diskurses von „Frontbriefen“
nicht thematisiert wird. Mit anderen Worten wäre allererst zu
fragen, welchen Diskursen sie folgen wenn sie schreiben, welche
Regeln existieren, welche Begründungen für spezifische Stile. Nicht
zuletzt wäre ein wichtiges Thema die Frage danach, inwiefern das
Schreiben oder generell Ausdrücken eine Gefühls dieses Gefühl ist,
dem Erleben folgt, es erst hervorruft oder gar ohne es auskommt. Das
Schreiben vom „eigenen“ Fühlen ist wie das Fühlen selbst
historisch, sozial, kulturell und biographisch bedingt, es steht im
Austausch mit einem „tatsächlichen“ Fühlen ohne es zu sein und
es erfüllt Funktionen, hat Bedeutungen auch im Krieg aber auch diese
trägt es eben nicht „offen“ zu Schau, sondern muss erst
erschlossen werden und kann daher in einer Ausstellung nicht für
sich selbst stehen ohne mindestens anachronistische Interpretationen
zu provozieren.
Was bleibt also? Die Ausstellung ist
ein Versuch neue Themen zu erschließen und daher wichtig. Sie bietet
interessante Ausstellungsstücke zum Ersten Weltkrieg und eine
wichtige Perspektive „von unten“, die es vermag zumindest eine
Geschichte der „Großen Weißen Männer“ zu umgehen und
vielleicht zu hinterfragen. Was fehlt ist eine Thematisierung des
Fühlens und seiner Historizität selbst, der Normen und Diskurse des
Fühlens, des Redens, Schreibens oder anderweitigen Ausdrückens des
Fühlens. So wichtig die Zuwendung zu solchen Themen ist, nicht
zuletzt weil sie es mehr als andere Geschichten schaffen könnten zu
bilden statt nur wissensbulimisch vermeintliche Fakten zu vermitteln,
so sehr kann sie auch fehlgehen, wenn dem einzelnen Soldaten in
seinem Ausdruck per se „Authentizität“ zugesprochen und sein
Fühlen dabei klammheimlich durch anachronistische Deutungen
modernisiert wird. Was bleibt ist dann nur das Fühlen des Besuchers,
eine eigene spannende Geschichte wert aber nicht zum Preis des
Fühlens des historischen „Anderen“.
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