Donnerstag, 27. August 2015

Alte Fehler unter neuem Vorzeichen oder längst überfällige Dekonstruktion? - Die Ausstellung "Frauensache - Wie Brandenburg Preußen wurde" unter kulturgeschichtlicher Sicht

Wenn die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg eine Ausstellung präsentiert die vorgibt, mit der Konstruktion von Vergangenheit zu Geschichte(n) der "Großen weißen Männer" und ihrer Kriege, einer seit langem kritisierten Geschichtsschreibung im Stil des 19. Jahrhunderts, aufzuräumen und ihr ein "Anderes" entgegenzusetzen, dann scheint dies eine Sensation, ja ein kleiner Skandal in der auf Homepage, in Publikationen und Führungen immer noch reproduzierten Welt von "Friedrich dem Großen", des "Absolutismus" und der "Aufklärung", kurz in einer Welt geschichtsphilosophischen Anachronismus'.
Allein deswegen, so scheint es, lohnt es sich, sich eingehender mit dieser Ausstellung auseinanderzusetzen und fast wäre man von vornherein geneigt die Bedeutung einer solchen gar nicht hoch genug einschätzen zu können, scheint doch in ihr das Potential auf, auch die SPSG geschichtswissenschaftlich ins 21. Jahrhundert zu katapultieren. Allerdings ist genau deswegen auch Vorsicht geboten, es ist genau hinzuschauen und dabei die Frage zu stellen, ob die Ausstellung einem solchen Anspruch gerecht werden kann. Wie wird mit diesem Anspruch umgegangen, wie wird er umgesetzt? Mit anderen Worten gilt es zu fragen, ob die lange und tief verwurzelte Tradition der "Geschichte der großen weißen Männer und ihrer Kriege und Kunstsammlungen" nicht doch abfärbt, ob die "Frauensache" nur das Altbekannte in neuem Gewand präsentiert, die Vorzeichen oder besser, das Geschlecht wechselt, um alte und liebgewonnene methodische und erkenntnistheoretische Fehler erneut begehen zu können. Ein Bericht über diese Ausstellung wird dies zu berücksichtigen haben.
Damit wären wir eigentlich auch schon beim Thema angelangt, genauer, bei „Geschlecht“ als Kategorie, als Konstrukt, als eine „willkürliche“ Möglichkeit Welt zu strukturieren, zu ordnen und Handlungssicherheit zu generieren. Eine Ausstellung, die die historischen Ausprägungen von „Geschlecht“ thematisiert oder sich zumindest eine dezidiert geschlechterhistorische Perspektive auf die Fahne zu schreiben scheint, sollte genau mit diesem Thema, der Konstruktion von „Geschlecht“, von „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“, den Rollenerwartungen und -modellen bewusst umgehen. Nicht zuletzt auch deswegen, um eine allzu leichte anachronistische Identifikation aufgrund der Kategorie „Geschlecht“ zu vermeiden, denn abseits der im Alltag für die Generierung von „Sicherheit“ und „Ordnung“ scheinbar so nötigen Naturalisierung von „Geschlecht“ und der Kopplung von Handlungsanweisungen an „Penisse“ und „Vaginas“ und deren zugeordnete Merkmale, ist „Frau“ eben nicht gleich „Frau“, weder durch soziale Schichtungen hindurch, noch historisch betrachtet. Eine „Frau“ heute ist eben etwas gänzlich anderes als eine „Frau“ des 17. oder 18. Jahrhunderts, auch wenn es freilich Überschneidungen in den Rollenerwartungen und Begründungen geben kann. Eine solche Ausstellung sollte sensibel mit dem Thema der Geschlechterkonstruktion umgehen, es überhaupt thematisieren, nicht zuletzt, um einem Bildungsanspruch gerecht zu werden, der darin bestehen muss, die Konstruiertheit solcher Kategorien aufzuzeigen. Damit wären wir jedoch beim ersten Punkt angelangt, der bereits seinen dunklen oder besser pinken Schatten auf die Ausstellung wirft: das Logo und die Werbung. Noch bevor auf die Ausstellung selbst eingegangen werden kann, steht die Werbung als die Verheißung dessen was einen dort erwartet und diese lässt nichts Gutes ahnen. Das Logo besteht aus einer stilisierten „weiblichen“ Hand, die eine Schachfigur gekonnt doch „zärtlich“ in einem „Traum“ aus „Pink“ zu setzen beginnt. Eine solche Darstellung muss sich freilich mit dem Vorwurf der Reproduktion geschlechtersterotyper, wenn nicht sexistischer Kritik auseinandersetzen, die hier jedoch nicht eigens abgehandelt werden muss. Wichtig ist deren Kern, nämlich der Vorwurf der Reproduktion von geschlechterstereotypen Wahrnehmungen und einer spezifischen Konstruktion des „Weiblichen“, die zudem die bereits angesprochene anachronistische Gefahr bedeutet, sich selbst oder die „moderne Frau“ in die „Frau“ vergangener Epochen zu übertragen. Allerdings, so könnte man einwenden, kann auch Werbung bewusst mit solchen Stereotypen spielen, den Zuschauer abholen, um ihn dann mit seinen Vorannahmen kritisch zu konfrontieren. Ob und inwieweit dies hier funktioniert, gilt es in der Betrachtung der Ausstellung zu entscheiden.
Diese ist nun in mehrere thematische, örtlich getrennte Abschnitte unterteilt. Der erste Raum besteht in einem ereignishaften Überblick über eine Geschichte der Hohenzollern und Brandenburg-Preußens. Anhand markanter Meilensteine, die durch jeweils ein Ausstellungsobjekt begleitet sind, sollen die „wichtigsten“ (dass eine solche „Wichtigkeit“ ein nachträgliches Konstrukt ist bleibt leider unthematisiert) Wegpunkte dieser historischen Erzählung präsentiert werden. Die Objekte sind dabei durchaus vielseitig. Sie bestehen z.B. in der Lehnsurkunde, Schädelfragmenten aus dem „30-jährigen Krieg“ oder einigen Koffern, mit denen das Königshaus nach dem „I. Weltkrieg“ sein Hab und Gut ins Exil transportieren ließ.
Das eigentlich Bemerkenswerte sind aber nicht die Objekte an sich, sondern der Versuch mit einer teleologisch orientierten Geschichtsschreibung der Hohenzollern und Brandenburg-Preußens zu brechen, ein wichtiger und nicht zu unterschätzender Ansatz, der jedoch, anders als dies seitens der Stiftung vermutet werden könnte, nicht neu ist. Und dies ist, trotz dem wirklich positiven Ansatzes, eines weiterer Kritikpunkt, der immer wieder durchscheinende und teils kommunizierte Glaube an die Neuartigkeit eines solches Bruchs mit einer teleologischen Geschichtsschreibung oder der Geschichtskonstruktion anhand der „Großen weißen Männer“. An diesem Punkt beginnt man sich zu fragen, ob und wenn ja welcher Art von „Historikern“ die SPSG beschäftigt. Bereits im frühen 20. Jahrhundert gab es seitens der s.g. Annales-Historiker derartige Ansätze und Kritik an des bisherigen. In den 60er und 70er Jahren wurde diese Kritik seitens der s.g. Sozialgeschichte fortgesetzt und wird schließlich seit den 90ern auch von der aus der Kritik an der Sozialgeschichte hervorgegangenen s.g. Neuen Kulturgeschichte getragen. Dass eine solche Abkehr von derartigen Geschichtsmodellen „neu“ erscheint, zeigt vielmehr den methodischen und erkenntnistheoretischen „Konservatismus“, um nicht Rückständigkeit sagen zu müssen, der Welt der SPSG, die, wie bereits erwähnt, immer noch vom Glauben an Konstrukte wie „Absolutismus“ oder „Aufklärung“ gekennzeichnet ist. Trotz allem macht die Ausstellung, wenn auch spät (in dieser Verspätung steht sie allerdings leider auch nicht allein da), einiges an diesem Punkt richtig. Die Entstehung Brandenburg-Preußens wird nicht mehr als zielgerichtete Erfolgsgeschichte erzählt, sondern auch in ihren Brüchen, Unsicherheiten und Scheidewegen hin zu Alternativen und dies ist wert und wichtig erzählt zu werden. Problematisch bleibt dabei allerdings auch die Verwendung von Karten, die immer noch als Repräsentanten gelesen werden statt als Konstrukteure, als Abbildungen einer scheinbaren (realen) Wirklichkeit statt als Erschaffer einer solchen aus ebenfalls letztlich alltagsmoderner Perspektive von „Raum“ und „Grenze“ als quasi „absolut“ Auch verbleibt, trotz aller Kritik an der Teleologie die Erzählung der Ausstellung bestimmten Ereignissen und Personen verhaftet und damit letztlich einem nachträglichen und durch ereignishafte Erzählungen geprägtem Geschichtsverständnis, das zur sehr die Perspektive jener „Großen“ und nachträglich als entwicklungsgeschichtlich bedeutenden Ereignisse einnimmt, es versäumt nach den Zeitgenossen jenseits des Hofes und deren Perspektive zu fragen. Eine Teleologie kann so nur ansatzweise aufgebrochen werden.
Ein weiterer Raum beschäftigt sich nun mit den Netzwerken, zu deren zentralen Punkten die „Frauen“ gemacht werden, oder anders, mit der Heiratspolitik als Herrschaftspraxis. Einzelne Linien und netzwerkartige Verbindungen werden vorgestellt und durch Geschenke im Rahmen dieser Verbindungen präsentiert. Viel Gold, viel Glitzer und der Versuch den „Frauen“ eine politische Bedeutung als letztlich Verhandlungsgut, Unterpfand und Symbol einer politischen Verbindung zuzuerkennen. Der letzte Raum der hier zur Sprache kommen soll, beschreibt hingegen die Rollen von „Herrscherfrauen“ (denn freilich bleibt man auch hier auf der Ebene der „Großen“). Bemerkenswert ist hier zumindest in Ansätzen der Versuch nicht nur die einzelnen normativen Rollenmodelle wie „Ehefrau“, „Mutter“, „Witwe“ und „Regentin“ zu erzählen, sondern auch „Devianzen“, aufzuzeigen, Brüche und alternative Modelle und Möglichkeiten mit den Erwartungen zu spielen, sie zu umgehen, genauso wie eben jene auch zu erfüllen. Dabei wird auch das Spannungsfeld zwischen „heimatlichen“ Identitäten und familiären Loyalitäten aufgemacht und aufgezeigt. Auf diese Weise sollen „Spielräume“ aufgezeigt werden, die sich zwischen „konformem“ als auch „deviantem“ Verhalten bewegen aufgezeigt werden und z.B. der Komplexität nicht gerecht werdende Zuschreibungen bspw. von „Opferrollen“ der „Frauen“ vermieden werden. Begleitet werden auch diese einzelnen Rollenmodelle und Spielräume durch teils sehr spannende Ausstellungsstücke. Allerdings bleibt die Ausstellung auch hier an der Oberfläche. So werden die einzelnen Rollen nicht weiter ausgeführt oder historisiert. Anstatt zu fragen, inwieweit beispielsweise die Rolle „Mutter“ grundsätzlich sozialgruppenspezifisch aber vor allem auch historisch Wandlungen unterliegt, inwieweit sich also diese Rolle des 16. Jahrhunderts von der im 19. Jahrhundert und vor allem von derjenigen des modernen Betrachters unterscheidet, begnügt man sich auch hier mit gefährlichen Oberflächlichkeiten, die dazu führen anachronistische Vorstellungen in die Vergangenheit zu transportieren.
Was gilt es abschließend zu sagen? Die Ausstellung geht einen aber leider auch nur einen(!) Schritt des Weges in die „richtige“ Richtung, indem sie längst veraltete und methodisch und erkenntnistheoretisch nicht mehr haltbare historische Erzählungen aufbrechen will. Sie zeigt mit teils spannenden Ausstellungsstücken Spielräume und Rollenmodelle von „Herrscherfrauen“ im regionalen Rahmen Brandenburg-Preußens und versucht dessen Vergangenheit nicht nur als eine Geschichte der „Großen weißen Männer und ihrer Kriege“ zu erzählen, sondern auch als eine Geschichte der „Großen weißen Frauen“ und genau darin liegt das Problem. Bei aller Tendenz zu einem Aufbruch verbleibt die Ausstellung allzu oft den alten Konstrukten verhaftet. So bleibt der Blick den „Herrscherfrauen“, einer Perspektive „von oben“ verhaftet, ebenso wie einer gewissen Teleologie ereignishaften Erzählens, das zwar nicht mehr eine einzige Erfolgsgeschichte sein will, jedoch immer noch Ereignisse im Hinblick auf ein Ziel hin wertet. Ebenso verbleibt die Sprache diesen alten Erzählungen verhaftet, so wird die Geschichte der „Großen weißen Männer“ last but not least durch die weiterhin unreflektierter Verwendung von Beinamen wie Friedrich „der Große“ reproduziert, die den „Herrschern“, ob sie nun eine Vagina oder einen Penis haben zu denjenigen macht, die Vergangenheit aus sich selbst heraus zu bestimmen vermögen. Dazu gesellten sich in der Führung anachronistische und unzureichend bis gar nicht historisierte Begriffe und Konstrukte, die den Blick auf die Wirklichkeiten der Zeitgenossen verstellen, wie „Militär“ oder „Mutter“. Hinzu kommt und dies ist noch problematischer, dass es die Ausstellung unterlässt, die generelle Konstruktion von „Geschlecht“ zu thematisieren, geschweige denn zu hinterfragen, stattdessen nimmt sie „Mann“ und „Frau“ als Gegebenes und nicht als historisch Gewachsenes und „willkürlich“ Konstruiertes an. Gerade eine solche Thematisierung stellt den wichtigsten Beitrag einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive zum Ziele von Bildung (dessen einzig sinnvoller Kern kritisches Denken sein kann) dar. Ein Bildungsauftrag wird damit also kaum erfüllt und man kann behaupten, die Ausstellung steht einem solchen in vielen Teilen sogar entgegen.
Die einleitende Frage lässt sich also nicht ganz eindeutig beantworte: Ja, die Ausstellung beginnt einen längst überfälligen Prozess aber ebenso ist zu bejahen, dass sie dabei alte Fehler unter neuen Vorzeichen begeht. Inwieweit sie also zu unterstützen ist, hängt dann letztlich von der persönlichen Perspektive ab, von der Bewertung des Einen oder des Anderen als ausschlaggebend. Den Ausstellungsstücke selbst ist die Präsentation jedoch nicht anzulasten, sie zu betrachten lohnt immer, im Zweifel mit einem guten Buch zur Konstruiertheit von „Geschlecht“ oder von Vergangenheit zu Geschichte(n)…

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