Sonntag, 14. August 2016

Kurze Polemik für eine Ethik des Digitalen

Die Kommunikation des Digitalen mit seinem "Diktat der Transparenz" erzeuge laut Byung-Chul Han einen panoptischen Effekt permanenter Überwachung. So erschafft das Digitale aber zugleich auch eine grausame Welt ohne Fehler, eine Welt, in der es keine Fehler geben darf, weil jeder Fehler sofort und erbarmungslos bis in die digitale Ewigkeit hinein geahndet wird. Das Digitale kennt nur das Präsens und die Präsenz, so Han. Damit gibt es keine Fehler des Gestern, denn alle Fehler werden durch die Gleichzeitigkeit all dessen was digital ist und war, permanent präsent und damit permanent geahndet, die Entwicklung des Akteurs ist als Möglichkeit ausgeschaltet. Das Internet katapultiert den Menschen so zurück in eine mittelalterliche Strafjustiz, mit ihrem Grauen des Exempels. Die Strafe ist die öffentliche Beschämung, die den Akteur aus der lokalen Gemeinschaft ausschließt und wie ein Stigma begleitet. Das Internet jedoch hat keine solche Lokalität. Das Stigma und die Beschämung sind omnipräsent und überzeitlich, sie sind ewig und überall. Die Bloßstellung im Digitalen ist dessen bio-chemische Waffe und sollte als solche behandelt werden. Alle Argumente der modernen Reform des Strafsystems finden sich hier zum Extrem gesteigert.
Begünstigt wird all dies zusätzlich dadurch, dass laut Han die digitale Kommunikation das Gegenüber zum Verschwinden bringe und ihn nur noch als Widerstand wahrnehme, als Widerstand der Inszenierung des eigenen Selbst müsste man ergänzen. Noch viel schlimmer. Der Blick des Digitalen verhindert das Mit-Leiden, ja das Mit-Fühlen überhaupt, den empathischen Blick. Das Digitale hat keine Spiegelneuronen. Die Empathie und das Verstehen weichen dem Blick des Drohnenpiloten, der nur digitale Repräsentationen des Feindes aber nicht den Feind selbst, den Feind als individuellen, als gewordenen, zu historisierenden und verstehbaren Menschen wie sich selbst wahrnimmt. Es erleichtert ein affektiv-aggressives "Ich-gegen-den-oder-die" und damit ein "Wir-gegen-sie", das Grenzen begünstigt. Die Kommunikation des Internets, von facebook, Twitter und co wird so zu einer zunehmend agonalen Kommunikation, in der das konkrete "Ich" sich immer im Urteilen und Streiten mit jenen nicht verstandenen Anderen befindet. Wir brauchen daher dringend eine emanzipatorische Agenda der digitalen Diskurse und eine Ethik des Digitalen.

Mittwoch, 10. August 2016

Flüchtige Momentaufnahmen, Provokationen und Gedankenspiele XVI

Der immer stärker grassierende Anti-Intellektualismus ist eine aus Furcht geborene Überheblichkeit, die das tut, was sie vorwirft, nämlich zu versuchen, ihr eigenes Verstehen, Sprechen und Denken zu totalisieren oder zumindest hegemonial zu setzen, um in ihrer Blindheit zu übersehen, dass Erkenntnis immer unterschiedliche Modi des Denkens, Sprechens, Handelns benötigt. Der Begriff des elitären "von oben" ist ihr Kampfbegriff, um ihr eigenes elitäres "von unten" zu verschleiern.


Oh dieses Internet...diese Höllenpforte, aus der er hervorgekrochen kommt, nein, aus der er hervorgespien wird, dieser intellektuelle Bodensatz, diese Armee der Soziopathen, deren Dummheit, nur noch von ihrem Glauben an ihre eigene Höherwertigkeit übertroffen wird. Dieses Meer an Blödheit, das sich in die Welt ergiesst. Wie sie wieder zu Felde ziehen mit der Macht der überheblichen Idiotie, die wie wahnsinnig ihre Dekadenz der Einfachheit und des Urteils feiert, bar jeden Verstehens, um im Urteil des dem noch vom speichellecken benommenen, dumpfen Pöbels vorgekaugelten gerechten Zorn ihren eigenen Faschismus zu verbergen, ihr eigenes "Wir-gegen-die-anderen", mit dem sie ihren erbärmlichen Moment der Berechtigung zu erlangen suchen, über den sie nie hinauskommen können, weswegen sie diese Höllenpforte so sehr als ihren Himmel benötigen.


Eine der perfidesten und ältesten Strategien soziopathischer Egomanen ist es wohl, das eigene "Arschlochsein" mittels des Missbrauchs gefährdeter Gruppen oder einer (scheinbar) "gerechten Sache" zu kaschieren. Damit sollen jedem, der dumm genug ist dies zu glauben, die eigenen Animosität als allgemeine Forderungen erscheinen. So können mittels eines scheinbaren "Zorns des Gerechten" die eigenen "Privat-Affekten" ausgelebt werden. Besonders attraktiv ist jener Missbrauch nicht zuletzt auch deswegen, weil auf diese Weise eine gute Sache oder eine Gefährdung als Steigbügel zu eigener Bedeutsamkeit missbraucht werden können, dem eigenen Arschlochsein kann so ein Sinn gegeben werden, der sich so viel besser anfühlt und verkaufen lässt, an alle jene, die nur blöd oder ebenso bedürftig genug sind. Da dies aber kein Kavaliersdelikt ist, sondern ein Bärendienst an jenen missbrauchten gerechten Sachen und Forderungen oder den in der Tat gefährdeten Gruppen, sollten gerade diese sich am stärksten gegen solche Trittbrettfahrer eines abscheulichen Egos zur Wehr setzen. Die größte Waffe dabei, ist die Bedeutungslosigkeit, die der Egomane und Soziopath so sehr fürchten und die ebenso ihr eigentlicher Antrieb sind, wie allzu oft das Bedürfnis so sehr zu einer Elite der Gefährdeten und Gerechten dazu gehören zu wollen, um eigenen Unzulänglichkeiten oder nagende Gewissen zu kompensieren. Denn womit wären dem Ego und den eigenen Machenschaften mehr gedient, als mit einer Aufmerksamkeit, die nachsichtig auf die eigenen Fehler schaut und hinter der sich das Dunkel des Selbst verbergen lässt.


Der Ehrliche spricht für sich selbst, die Despoten, Tyrannen und Egomanen jedoch immer im Namen einer Gruppe oder Wahrheit.


Bestimmung des Werts von Aussagen I

Eine beliebte und seit Jahrhunderten gebrauchte Strategie, ist jene der Verallgemeinerung des eigenen Anliegens, um damit die Selbstbezüglichkeit zu verschleiern.
Wenn es also darum geht, eine Person aufgrund eigener Animositäten, weil sie einem etwas getan habe, irgendetwas habe, was man will oder man ihr sonst aus einem Grund zu schaden, kann diese Intention damit verschleiert werden, dass man sich eines Allgemeinen bedient. Die Strategie sieht dabei folgendes vor:
Einwände, die sich gegen einen selbst richten, diese persönliche Animosität also gezielt thematisieren und angehen, werden nicht als solche angenommen, sondern als Angriff auf eine (am besten bedrohte, marginalisierte oder irgendwie "gute") Gruppe" verstanden und als solche inszeniert. Damit sucht sich der Redner der Macht jener Gruppe zu versichern und seinen Gegner als Gegner der Gruppe unmöglich zu machen, um so seiner persönlichen Animosität Berechtigung zu verschaffen.
Es wird also allgemein versucht, von der persönlichen Ebene dadurch abzulenken, dass dem Gegner unterstellt wird, es würde auch ihm nicht um die eigene Person und deren Animositäten gehen, sondern er verstecke damit nur seine Abneigung oder Gegnerschaft gegenüber der Gruppe, zu der man sich als zugehörig konstruiert und inszeniert.
Teil der reflektiert-kritischen Bewertung einer Aussage oder Anschuldigung muss also sein, diese Strategie zu bedenken, insbesondere dann, wenn von einer der Seiten persönliche Animositäten angesprochen werden.

Bestimmung der Werts von Aussagen II

Urteil vs. Verstehen
Eine konstruktive aber damit wertvolle Aussage, wird sich des Verstehens befleissen. Gezielte Angriffe hingegen bevorzugen das Urteil, um so schnell zu einem Sieg zu führen. Ein Verstehen wird versuchen, die Logik des Gegners nicht nur zum Zwecke eines Angriffs zu missbrauchen, sondern sie als solche anzuerkennen. Dem Verstehen ist die Perspektivität als solches bewusst. Je eher eine Person dazu neigt, Aussagen zu verabsolutieren, andere Lesarten a priori zu verweigern, umso eher handelt es sich um einen urteilenden Angriff, dem ein Verstehen gerade nicht vorhergeht, dem es nicht mal intendiert ist. Das Urteil ist zweckgerichtet. Um dieses zu verstärken, wird es sich aristotelischer Rhetorik bedienen, also der Wahrscheinlichkeit des Glaubhaften der Masse, zu der er spricht. Besonders ist dabei auf Stigmatisierungen zu achten, die als (Vor-)Urteile voran gestellt werden, um so weitere Urteile als Wahrscheinliches zu manipulieren. Je weniger also auf Perspektiven geachtet wird, je weniger es um ein Verstehen geht, je mehr das Urteil am Anfang steht, umso geringer ist der Wert einer Aussagen im Diskurs einzuschätzen und umso eher handelt es sich um einen bloßen Angriff zum Zwecke der Vernichtung des Gegners.

Bestimmung des Werts von Aussagen III

Schnelle Zustimmung und Einfachheit. Dazu ein Zitat von Haruki Murakami:
"Ich habe den Eindruck, daß bestimmte Denkbahnen so simpel und einseitig sind, daß sie unwiderstehlich wirken."


Gleichheit und Vergleichen

VERGLEICHEN ist NICHT GLEICHSETZEN. Man kann sogar Äpfel mit Birnen vergleichen, sie ob einer Ähnlichkeit oder Gleichheit untersuchen, sie gar begrenzt(!) gleichsetzen, denn beide "sind" Obst, beide fallen vom Baum, ja man könnte sogar sagen, beide schmecken gleich, da Geschmack kein perspektivloser und "objektiver" Wert ist. Ein Vergleichsbegriff, der (gern als politischer Kampfbegriff missbraucht) Vergleichen mit Gleichsetzen oder Identifizieren definiert, ist ein letztlich unmöglicher Vergleichsbegriff, denn nichts ist mit etwas anderem derart identifizierbar, nicht mal Zeichen mit dem Bezeichneten. Wichtiger ist also die Frage, WAS im Rahmen des Vergleichs aus welcher PERSPEKTIVE heraus KONKRET und WIE in BEZIEHUNG gesetzt wird.