Diese
Text versteht sich als Antwort auf einen Aufsatz mit dem Titel „Why
Not Epistocracy?“ von David Estlund1,
in dem er, anders als der Titel vermuten lässt, die
scholastokratische Idee vor allem John Stuart Mills kritisiert.
Dieser Beitrag soll nun die Kritik Estlunds an epistokratischen und
scholastokratischen Theorien entkräften und aufzeigen, dass diese
vielmehr andere demokratische Ideen (parlamentarische wie
basisdemokratische) treffen muss. Weiterhin soll, ausgehend von der
Kritik, sich einer Skizze eines epistokratischen Modells genähert
werden, welches die Kritikpunkte beheben kann und das als
deliberative Epistokratie bezeichnet werden soll. Dabei bildet dieser
Aufsatz insgesamt nur eine erste Skizze und muss unvollständig
bleiben. Er ist also mehr der Stein des Anstoßes denn der Stein der
Weisen.
Bevor
es zum eigentlichen Thema kommt, sind allerdings noch einige
Anmerkungen zu der Diskussion selbst vonnöten, die die
Vorbedingungen des jeweils Lesenden in den Blick rücken sollen.
Kritik
an demokratischen Ideen zu üben ist eine heikle Angelegenheit.
Zum Einen liegt dies an der anscheinend so intuitiv logisch
erscheinenden Richtigkeit dieser Gesellschaftsform, die sich aus der
Sozialisation in den entsprechenden Deutungs- und damit auch
Taburahmen ergibt und andererseits an der daran gekoppelten
politischen Unerwünschtheit einer solchen Kritik. Sofern die Kritik
sich noch innerhalb anerkannter Demokratiemodelle bewegt, wie die
Diskussion zwischen repräsentativer und basisdemokratischer, jüngst
auch wieder deliberativer Demokratie, ist diese noch unproblematisch.
Wird diese Bereich verlassen und findet Kritik außerhalb
vorakzeptierter Modelle oder gar außerhalb demokratischer Modelle an
sich statt, wird es kritisch. Dabei werden nun u.a. zweierlei Dinge
übersehen, die ich kurz an-, allerdings nicht ausführen möchte.
Der
erste Punkt betrifft den intuitiven Zugang. Dieser ergibt sich ganz
selbstverständlich aus der politischen und gesellschaftlichen
Sozialisation. Das System erscheint uns selbstverständlich, weil es
das aus unserer Lebenswelt und unserer Einsozialisierung in sie
heraus auch ist. Solche Gewissheiten kritisch zu hinterfragen ist und
sollte zu jeder Zeit notwendig sein, nicht zuletzt im akademischen
Rahmen. In diesem Sinne sei an folgenden Auszug in Mills Werk
erinnert: „Sie glauben, daß die Universität die
Jugend für eine erfolgreiche Laufbahn in der Gesellschaft
vorzubereiten hat; ich glaube, daß ihre einzige Aufgabe die ist, ihr
den männlichen Charakter zu geben, der es ihr möglich machen soll,
den Einflüssen der Gesellschaft zu widerstehen.“ Ein Zitat, dass
im Laufe dieser Arbeit noch einmal zu Wort kommen wird und das dafür
eintreten soll, auch die Intuitionen und Gewissheiten zu
hinterfragen, die das Politische betreffen, denn vor einer
unkritischen Haltung sind auch Akademiker nicht gefeit. Ein kurzes
Innehalten und Bewusstwerden über diesen Punkt soll vor allem
verhindern, demokratiekritische Argumente allzu leichtfertig und aus
einer intuitiven Haltung heraus abzuurteilen.
Es
sollte also vorher geklärt sein, ob sich etwaige Ablehnung, ebenso
wie auch Zustimmung, aus angeeigneten Konventionen, individuellen
Intuitionen oder reflektierter Meinung speist.
Der
zweite Punkt betrifft die Legitimation der Demokratie und was von
politischer Seite gern aus ihr gemacht wird. Das „große Heil“
der Demokratie besteht darin, dass sie sich nicht als dogmatische
Setzung, die sich auf Mythen beruft versteht, sondern als sich
ständig veränderndes System, dass sich beständig im Diskurs selbst
rechtfertigt. Dies ist allerdings nur möglich, wenn Argumente nicht
von vornherein tabuisiert werden. Eine Kritik außerhalb der
Demokratie kann epistemisch weitaus wertvoller sein, als eine Kritik
innerhalb dieses Systems. Dies alles verlangt bei derartigen
Diskussionen auch von politischer Seite Beachtung, die
ihrerseits Offenheit voraussetzt anstelle einer latenten
Feindlichkeit, wie sie sich auch bei Mill ausgedrückt findet:
„Aber
die Gewohnheit über diese Übel hinwegzugehen, als wären sie
unheilbar, ist so eingewurzelt, daß viele Personen fast die
Fähigkeit eingebüßt zu haben scheinen, sie als etwas zu
betrachten, dem sie gern abhelfen möchten, wenn sie nur können. Von
der Verzweiflung an der Herstellung ist allzu oft nur noch ein
Schritt zu der Wegläugnung der Krankheit, und diese hat zur
natürlichen Folge, daß jeder Vorschlag eines Heilmittels auf große
Abneigung stößt, gleich als ob der Vorschlagende ein Uebel schüfe,
anstatt sich zur Beseitigung eines solchen zu erbieten. Die Leute
sind an diese Uebel so gewöhnt, daß es ihnen unvernünftig oder
geradezu unrecht scheint, sich über sie zu beklagen.“2
I.
Estlunds Kritik
Die
Kritik an der Epistokratie als solches fällt bei Estlund recht kurz
aus und besteht im Kern an der Problematisierung des Begriffs der
„Weisheit“, der die Legitimationsbasis darstellt. Im Gegenzug zu
Platon gibt Mill laut Estlund eine scheinbar bessere, greifbarere
Basis an, nämlich die der formalen Bildung. Dabei ist allerdings
auch Estlund klar, dass dies ebenfalls ein Problem darstellt, da der
Begriff der Bildung letztlich ebenso streitbar ist, ein Punkt, der zu
einem späteren Zeitpunkt noch wichtig werden wird.
Estlunds
Aufsatz richtet sich im Folgenden vor allem gegen Mills Idee des
Mehrstimmenwahlrechts für Gebildete. Damit vertritt Mill keine
klassische epistokratische Idee, bei der nur die „Weisen“
herrschen sollen. Vielmehr geht es hier innerhalb eines
demokratischen Systems darum, ein ungleiches Wahlrecht zu etablieren,
dass das quantitative Ungleichgewicht aus Gebildeten und Ungebildeten
aufwiegen soll.
Der
Grundgedanke dahinter besteht darin, einer höheren Bildung auch eine
weisere Herrschaft zuzugestehen. Bildung wird damit ein politischer
Wert zuerkannt. Streitpunkt ist dabei, ob dies nur bei der
Gesamtbildung einer Gesellschaft im Vergleich zu einer anderen gilt
und zu Konsequenzen führt oder auch innerhalb dieser gelten muss und
damit zu einer Bevorzugung gebildeter Schichten und/oder Personen
führen kann.
Estlunds
Ansinnen ist es nun, diese Idee ungleichen Wahlrechts, das sich aus
der größeren Weisheit der Gebildeten heraus ergibt und diese
bevorzugt, zurückzuweisen, indem er zu zeigen versucht, dass sich
der epistemische Wert, der sich aus dieser besseren Bildung
vermeintlich ergibt, gegen verschiedene negative Aspekte eines
solchen ungleichen Wahlrechts aufrechnet. Eine weitere Basis für die
Ablehnung bildet eine in Anlehnung an Rawls und auch von Mill
implizit eingeführte Hürde für die Einführung von Prinzipien, die
besagt, es sollen nur solche Regeln ausgewählt werden, die
vernünftigerweise allgemein akzeptiert werden können.
Hierbei
wird anscheinend erneut klar, dass Bildung als Legitimationsbasis für
das Argument besser geeignet sei als Weisheit, da formale Bildung
fassbarer zu sein scheint und vermeintlich in einer allgemein
anerkannten Basis definiert ist. Damit erfüllt Bildung scheinbar die
Voraussetzung der Akzeptanz.
Estlund
stell nun die Frage, wie es sein kann, dass einerseits Bildung ein
politischer Wert zuerkannt wird, denn augenscheinlich scheint es
sowohl theoretisch als auch praktisch gegeben, dass in einer
Demokratie Bildung gefördert wird und sie dieser Grundlage bedarf,
um überhaupt arbeiten zu können, andererseits eine Herrschaft der
Gebildeten abgelehnt wird.
Dabei
versucht er zu zeigen, dass es eine Trennung zwischen den folgenden
Aussagen gibt. Die erste lautet:
„A
well-educated population will, other things equal, tend to rule more
wisely.“
Die
zweite lautet folgendermaßen:
„Where
some are well-educated and others are not, the polity could be better
ruled by giving the well-educated more votes.“
Dabei
gründet sich die zweite Aussage maßgeblich auf der Idee Mills, dass
es Unsinn ist, ohne Evaluation
der Fähigkeiten einer Person, – und man könnte hier weiter gehen
und sagen, ohne Bewertung des Prozesses unter dem diese Person zu
ihrer Meinung gekommen ist –
ihrer Stimme das gleiche Gewicht beizumessen, wie einer anderen.
Estlund
meint nun, dass die erste Prämisse die Hürde der allgemeinen
Akzeptanz durchaus meistern kann, die zweite jedoch nicht und dies
ohne dass sich daraus die logische Ablehnung auch der ersten ergibt.
Ablehnung muss dabei freilich auf vernünftigen Gründen basieren. Im
Folgenden soll gezeigt werden, dass erstens eine Trennung der beiden
Aussagen nicht so einfach möglich ist und zweitens, dass die
angeführten Gründe der Ablehnung ebenfalls unzutreffend sind.
1.
Der politische Wert von Bildung als Kernaussage
Ein
Problem an Estlunds Argumentation ist, dass sich die erste Aussage
und die zweite nicht derart getrennt bewerten lassen. Um dies zu
zeigen, muss die erste Aussage genauer betrachtet werden und zwar in
Bezug darauf, wie sich denn eine gebildetere Gesellschaft von einer
weniger gebildeteren unterscheidet. Es gibt dafür drei
Möglichkeiten. Wichtig ist dabei, dass es sich hierbei um einen
Durchschnitt handelt, so dass es auch weiterhin unterschiedliche
Bildungsniveaus innerhalb der Gesellschaft gibt.
Die
erste Möglichkeit ist nun, dass die ohnehin Gebildeten noch
gebildeter werden. Dies hätte nun aber nach Estlunds Argumentation
keinen Effekt, da sich ihr Stimmengewicht dadurch nicht erhöht. Die
zweite Möglichkeit besteht darin, dass es weniger Ungebildete gibt
oder, dass der Mindestlevel angehoben wird. Der Effekt könnte hier
nun sein, dass das Bildungsniveau für bestimmte Handlungsgründe zu
hoch ist, so dass beispielsweise primitiver Rassismus abgelehnt wird.
Diesen Effekt gesteht Estlund zu, allerdings auch nur insoweit dieses
neue Bildungsniveau in der Mehrheit vorhanden ist. Die dritte
Möglichkeit ist eine Kombination aus beidem, hat aber nur in dem
Sinne des zweiten Punkts einen Effekt.
Dabei
ist zu beachten, dass die höhere Qualität der gebildeteren
Gesellschaft sich immer aus gebildeteren Individuen ergibt. Die
Meinung der Individuen ist dabei besser und höherwertig als die des
gleichen Individuums vor der Erhöhung seiner Bildung. Wieso dies
also als gut angesehen wird, solang dies auf das gleiche Individuum
beschränkt ist aber nicht mehr gelten soll im Vergleich der
Individuen untereinander, bleibt fraglich, wenn das höher gebildet
sein doch einen positiven Effekt auslöst.
Es
bleibt in diesem Zusammenhang fraglich, warum es einerseits gut ist,
wenn ein bestimmtes Niveau erreicht wird, also Handlungsgründe
mehrheitlich ausgeschlossen werden, es aber nicht gut ist, solang die
Mehrheit dies nicht aus sich selbst heraus begründen und akzeptieren
kann. In diesem vereinfachten Beispiel, dass sich an Estlunds
vereinfachtes Beispiel anlehnt, könnte sowohl bei eins, als auch bei
drei mehr erreicht werden, als bei Punkt zwei, zumal das Szenario aus
Punkt zwei sich irgendwann an das Ideal von eins und drei angleichen
würde, da ja davon ausgegangen wird, dass die Bildung diese
positiven Effekte hervorruft. Es handelt sich dabei letztlich nur um
eine Zeitverzögerung, die ihre Ursache in einer Opferung der
Qualität vor der Quantität findet.
Dies
gilt umso mehr, als das eine höhere Bildung politisch mehr bedeutet,
als eine Abschaffung bestimmter Handlungsgründe, nämlich auch
bessere Argumente im Diskurs um die verbleibenden
Handlungsalternativen. Wieso dabei nun nur die Argumente
berücksichtigt werden sollen, die real(!) und aus qualitativ
schwächeren Perspektiven heraus mehrheitsfähig sind, bleibt
unverständlich, nicht zuletzt in konsequentialistischer Sicht auf
die etwaigen Opfer dieser Verzögerung.
Was
vielmehr zählen sollte, ist die Qualität, denn diese ist es, die
durch Bildung befördert werden soll und wenn dieser politischer Wert
zukommt, so muss ihr durch diese Hierarchisierung auch mehr Gewicht
gegeben werden können.
So ist
es nicht nur höchst intuitiv zu fragen, warum die Meinung
desjenigen, der sich intensiv mit einem Thema auseinandergesetzt hat,
genauso viel zählen und damit wert sein soll, wie die desjenigen,
der dies nicht hat, um zwei Extreme zu konstruieren. Es untergräbt
auch den Wert der Bildung, es negiert ihn sogar in politischer
Hinsicht. Wenn beide Meinungen gleich viel wert sind und diesen
erhalten sie durch die letztendliche Bestimmung der Entscheidung
durch gleiches Wahlrecht in quantitativen Legitimationsprinzipien,
dann ist es aus politischer Sicht heraus nicht begründbar, warum
sich jemand mit einem Thema beschäftigen sollte, denn diese
Beschäftigung hat politisch keinen Effekt. Es ist fraglich, wieso
Bildung politisch gesehen dann überhaupt gefördert werden sollte,
denn es erhöht nicht den politischen Wert einer Meinung.
Auf
diese Art sind beide Argumente über ihre Grundlage, dem positiven
Effekt der Bildung, der ein positiver politischer Wert zugesprochen
wird, aneinander gebunden.
Wenn
Bildung zu fundierteren Meinungen führt, dann müssen diese als
solche gewichtet werden, ob sie nun aus Individuum oder aus Gruppen,
aus einer Minderheit oder Mehrheit hervorgehen, ist für die Qualität
des Arguments an sich völlig unbedeutend und muss dies sein, will
man den qualitativen Vorteil nicht implizit wieder aufgeben. Dieser
Punkt spricht für sich genommen jedoch nicht zwangsläufig für eine
Epistokratie oder Scholastokratie, da nicht das Individuum höher
gewichtet wird, sondern die Effekte durch dessen höhere Bildung,
seine Argumente. Auch eine Demokratie kann also die positiven Effekte
der Bildung nutzen und logisch konsistent auch den Mehrwert
berücksichtigen. Dies führt lediglich weg von quantitativen
Legitimationsprinzipien hin zu qualitativen, wie sie beispielsweise
in deliberativen oder soziokratischen Modellen Anwendung finden. Auf
diese Art wird die zweite Aussage nicht in ihrer Ursprungsform,
sondern erst einmal abgewandelt übernommen. Die Regierung geht
nicht absolut in die Hände gebildeterer Personen über, sondern nur
relativ insofern, dass die besseren Argumente, die aus dem Mehr an
Bildung resultieren auch in ihrem Mehrwert berücksichtigt werden.
Bis hierhin lautet die zweite Aussage somit: Wenn es in einer
Gesellschaft Personen gibt, die gebildeter sind, dann ist die Politik
eine weisere, wenn den besseren Argumenten mehr Gewicht zugebilligt
wird. Dies bedeutet nur noch indirekt Gebildeteren mehr Stimmgewicht
zuzuerkennen.
2.
„latent features“
Die
weitere Frage ist nun, wie verhält es sich mit der ursprünglichen
Aussage und der Ablehnung dieser. Auch wenn Argumente mehr Gewicht
bekommen, so stellt sich immer noch die Frage nach der Besetzung von
Ämtern, zumal nicht immer die Möglichkeit eines Diskurses gegeben
ist. Die Frage ist nun, warum sollten Regierungsämter nicht vor
allem durch die angesprochenen „Eliten“ besetzt werden. In den
beiden folgenden Teilkapiteln sollen nun die von Estlund angeführten,
möglichen Gründe der Ablehnung der zweiten Aussage genauer
betrachtet werden.
Einer
dieser Gründe ist laut Estlund, dass Gebildete oft zu bestimmten,
exklusiven sozialen Gruppen gehören, die über strukturelle
Ausgrenzungsprozesse diese Exklusivität erhalten und dies führt
dazu, dass diese Gruppen nun politisch bevorteilt würden, woraus
sich Probleme ergeben. Als Gruppe hätten diese nämlich lediglich
ihre eigene, durch ihre jeweiligen schichtspezifischen Lebenswelten
vorgeprägte Perspektive, in die nicht zuletzt auch schicht-, bzw.
lebensweltspezifische Vorurteile übernommen werden. Aus diesem
Umstand ergeben sich vermeintliche gruppenspezifische Interessen,
die automatisch bevorteilt würden.
Dabei
gehen sowohl Mill, als auch Estlund, in ihren Argumenten von
privaten, eigennützigen Interessen der jeweiligen Individuen aus,
die sich, aufgrund ihrer gleichen Herkunft, Sozialisation, usw. als
homogene Gruppeninteressen abbilden lassen. Diese eigennützigen
Interessen, die letztlich im Sinne der Argumentation immer die eigene
Lebensform und deren Werte durchgesetzt wissen wollen und sich somit
normativ über die Lebensformen anderer setzen, sollen nicht
übermächtig werden können.
Das
Problem liegt für Estlund also in dem Zusatz „other things equal“
der ersten Prämisse, der laut ihm in der zweiten Prämisse nicht
mehr gegeben ist.
Estlund
nennt dies „The Demographic Objection“, die er wie folgt
beschreibt:
„The
Demographic Objection: the educated portion of the populace
may
disproportionately have epistemically damaging features that
countervail
the admitted epistemic benefits of education.“
Das
Argument zielt zuerst darauf ab, die strukturelle Bevorteilung
einiger Schichten (beliebtes Beispiel sind „weiße Männer der
Oberschicht“) gegen den epistemischen Vorteil anzuführen. Das
Argument bleibt laut Estlund selbst dann noch intakt, wenn es zu
Angleichungen kommt, so dass auch andere Großgruppen Zugang bekommen
und damit die bisher benachteiligten Schichten ausreichend Gebildete
hervorbringen können. Es verbleiben laut Estlund dabei aber noch
Religion, sexuelle Orientierung und weitere denkbare Unterschiede
zwischen den Gebildeten und Ungebildeten. Diese müssen laut Estlund
nicht einmal empirisch nachweisbar sein, als guter Grund einer
Ablehnung reiche, die latente Gefahr. Estlund gibt nun an, nicht zu
wissen, auf welcher vernünftigen Grundlage man diese Sorge
zurückweisen sollte, da diese Sorge keinesfalls verrückt oder
abwegig sei, wie die Geschichte gezeigt habe.
Er
übersieht hier allerdings einen zentralen Punkt in Mills
Argumentation. Estlund bezieht diese Probleme, die ja den
epistemischen Vorteil relativieren sollen, nur auf die Gebildeten und
deren angebliche spezifische Gruppeninteressen, während Mill das
Extrawahlrecht einführt, um die Perspektive und die spezifischen
Gruppeninteressen der quantitativen Mehrheit der Ungebildeten zu
relativieren, die man in gleich grober Weise wie Estlund ebenso in
bestimmte Schichten einordnen könnte.
Wichtig
ist dabei, dass Estlund in diesem Zusammenhang ebenso unterschlägt,
dass Mill nur eine Übergangslösung bezeichnet, da das Ideal eine
ausreichende Bildung, wie auch immer die gemeint sein mag, für alle
vorsieht und damit letztlich ein gleiches Wahlrecht. Bis dahin soll
ein Opfern der Vielfalt und der Qualität durch Quantität verhindert
werden. Zu diesem Zweck wird den Gebildeten ein Extrawahlrecht
zuerkannt, um gegen die s.g. ungebildeten Schichten und ihre
egozentrischen und egoistischen Interessen bestehen zu können. Das
Ideal der allgemeinen Bildung soll erreicht, bis dahin aber keine
Gleichgewichtung postuliert, sondern der Realität Rechnung getragen
werden.
Zurück
zu Estlund, ließe sich Mithilfe seiner eigenen Rechnung auch das
Extrawahlrecht rechtfertigen. Da die Ungebildeten über ihre
strukturelle Benachteiligung vermeintliche Vorurteile bilden, würden
sie als numerische Mehrheit die Minderheit der Gebildeten
benachteiligen, da die Gesetze, die sie erlassen, folgt man Estlunds
Argumentation, allein durch deren Perspektive, Interessen und
Lebenswelt geprägt sein würden. Ein Patt, der dafür spräche,
immer auf eine Ausgewogenheit an Bildung und Unbildung zu achten,
sofern man die sich vermeintlich aus diesen Großperspektiven
bildenden Interessen gleich gewichtet.
Damit
greift auch Estlunds Argument nicht, man könne die Angst vor solchen
Benachteiligungen nicht vernünftig zurückweisen, so dass sie als
Argument gelten müsse. Wäre dies so, dann muss die mögliche selbe
Angst der Gebildeten vor den Ungebildeten ebenso zählen und bildet
ein gleichgewichtiges Argument gegen die quantitative Mehrheit der
Ungebildeten und damit gegen ein gleiches Wahlrecht. Nur die bloße
quantitative Verteilung als Grundlage zu nehmen, um das gleiche
Wahlrecht vor diesem Argument doch noch zu bewahren, also die
Benachteiligung mit der normativen Mehrheit bestimmter Interessen und
Perspektiven zu rechtfertigen, liefe letztlich auf einen Fehlschluss
hinaus, der darin besteht, einen willkürlich gewählten Istzustand
als normative Grundlage misszuverstehen.
Weitergedacht
ist es im Sinne der bisherigen Argumente sogar so, dass in der
vermeintlichen Pattsituation die Gebildeten noch einen Pluspunkt
erhalten würden, denn hier, bei aller Einseitigkeit, würde
zumindest diese noch durch die epistemischen Vorteile aufgehoben
werden, die andererseits nicht bestehen und die auch Estlund ja nicht
negiert. Zwar könnten diese auch in anderen, vermeintlich den
Ungebildeten zugeordnete Gruppen, er führt das Beispiel der Bauern
an, gefunden werden, jedoch bewegt man sich argumentativ dann eher im
Rahmen technokratischer Überlegungen, auf die hier vorerst nicht
näher eingegangen werden soll. Der Vorteil der Bildung soll gerade
in einem umfassend größeren Wissen bestehen. (Auf die Probleme des
Bildungsbegriff wird später eingegangen.)
Es
lässt sich festhalten, dass es Mills Ansinnen ist, eine Tyrannei der
ungebildeten Massen, bzw. generell jeder herrschenden Klasse und dazu
zählt auch die demokratische, numerische Mehrheit, zu verhindern.3
Er versucht damit nichts weiter, als das auf einer Seite
auszugleichen, was Estlund in anderer Weise für sich postuliert.
Die
Sorge, eine Gruppe könnte bevorteilt sein, ist latent immer und in
jedem politischen System vorhanden, sobald sich Mehrheiten bilden und
sobald
es die Möglichkeit gibt, Sozialkapital in irgendeiner Form
anzuhäufen.
Diese Sorge ist es sicherlich wert, über dieses allgemeine Problem
nachzudenken, es trifft aber keinesfalls epistokratische und noch
weniger scholastokratische Ideen, wobei der Vorwurf gegen letztere im
Sinne Mills unzutreffend ist, da dieser genau die Behebung dieses
Problems im Sinn hatte.
Ebenso
besteht Mills großer Vorteil in dieser Erkenntnis, da er nicht, wie
gemeinhin in politischer Diskussion, Legitimationsgrundlagen als
gegeben postuliert, sondern trotz des Ideals die Realität und hier
besonders in Bezug auf das Problem der Mündigkeit, nicht ignoriert.
Mill
kann damit für eine ungleiche Behandlung im Stimmrecht vernünftige
Argumente liefern, während Estlund dies bis hierher nicht vermag und
gegen Ende seines Essays in willkürlicher Inkonsequenz endet, in dem
er gewillt ist, mit den vorherrschenden politischen Konventionen
übereinstimmend, bestimmten Personen, wie z.B. gewählten Vertretern
oder Richtern ein höheres Stimmgewicht zuzugestehen, dafür aber
nichts als seine Intuition angeben kann.
3.
„conjectural features“
Estlund
geht in seiner Argumentation noch einen Schritt weiter, indem er den
Grund des Problems implizit umdreht. Nun ist es nicht mehr so, dass
die Gebildeten aus bestimmen Schichten kommen, die sie determinieren,
sondern dass die Bildung selbst zu Vorurteilen führt, so dass
vermeintlich Ungebildete unterdrückt werden, bzw. die Bedürfnisse
der Gebildeten bevorzugt, die der Ungebildeten benachteiligt. Es ist
nun nicht mehr die vorgängige Lebenswelt Schuld an den Problemen,
sondern die genuine Lebenswelt der Gebildeten.
So
könnten laut Estlund Gebildete sexuell frustrierter sein und daher
puritanische Gesetze erlassen. Unbemerkt scheint hier, wie mehrmals
während des Aufsatzes, der Gegner zu wechseln. Das Argument richtet
sich in der Form mehr gegen die Epistokratie, da nur hier überhaupt
davon ausgegangen wird, dass die Gebildeten zwangsläufig die
Regierung und die absolute Stimmenmehrheit stellen.
Nimmt
man das Argument als Grund zur Ablehnung nun in der Weise ernst, wie
Estlund es tut, dann ergeben sich eine Reihe von Problemen und
Konsequenzen.
Das
erste Problem besteht darin, dass man konsequenterweise gezwungen
wäre, das Bildungsideal aufzugeben, da sich, auch wenn man nur ein
gleiches Wahlrecht hat, die Gebildeten irgendwann in der Mehrheit
befinden würden. Spätestens dann müsste es innerhalb Estlunds
Argumentation sowieso zu diesen Bevorteilungen kommen, so dass man
auch hier gezwungen wäre, immer für ein Gleichgewicht an Gebildeten
und Ungebildeten sorgen zu müssen, um die Vorherrschaft einer
Perspektive zu verhindern.
Das
Problem des „other things equal“ lässt sich nun nicht auf die
zweite Prämisse einengen, sondern gilt letztlich auch für die
erste. Auch eine insgesamt gebildetere Gesellschaft kann über
„latent“ oder „conjenctural features“ verfügen, zumal diese,
wie bereits bemerkt, die individuellen Bildungsniveaus betreffend
immer noch inhomogen zusammengesetzt ist.
Die
Perspektivenverengung funktioniert als Argument zudem nur mit einer
ganzen Reihe an Vorannahmen, die leicht zurückgewiesen werden
können.
So
baut die Argumentation bei Estlund vor allem auf Vermutungen auf, die
die Gruppenbesonderheiten äußerst negativ konnotieren und vor allem
diese Gruppen in für ihn wichtigen Punkten homogen konstruiert.
Denkbar wäre durch die Überbetonung der Bedürfnisse der Gebildeten
und deren Perspektive auch ein positiver Effekt, wie die stärkere
Fixierung auf Bildung und aufklärerische Ideale, eine Beförderung
der Mündigkeit, ganz so, wie Mill dies vorstellt. Dies ist nicht
abwegig, werden doch besonders Kinder akademischer Familien durch
diese gefördert (ob die Art und Weise wie dies geschieht immer
sinnvoll ist, ist eine andere Frage).
Weiterhin
ist es ebenso wenig abwegig, dass der höhere Bildungsgrad zu einer
höheren Reflektionsebene führt, so dass es zur Korrektur
vermeintlicher Bedürfnisse kommt, die von den weniger gebildeten
scheinbar empfunden werden.
So
könnten dadurch längerfristigere Projekte gefördert werden, statt
kurzfristige. Um die Gruppen in ähnlicher Weise zu semantisieren wie
Estlund das tut, könnte man davon ausgehen, dass die Ungebildeten
aus unteren Schichten stammend eher, sich direkt aus dem Bildungs-
und Reflektionsmangel ergebende, hedonistische und auf eine
Lebensspanne bezogene Interessen verfolgen, die ihrer Lebenswelt nah
sind und die Gebildeten zudem utilitaristische oder allgemein
längerfristig orientierte.
Auf
diese Reihe an Problemen wird später noch einzugehen sein, wenn es
um die epistemischen Vorteile epistokratischer Systeme geht.
Neben
den von Estlund vermuteten negativen Eigenschaften existieren demnach
ebenso vermutliche positive, die in seiner Rechnung gleichfalls
Beachtung finden müssten.
Nicht
vergessen werden darf dabei auch, dass Estlunds Argument der
verschiedenen „features“ nicht nur theoretisch auch auf andere
Systeme anwendbar ist, sondern auch an dem Umstand vorbei geht, dass
auch ganz real in der existierenden Demokratie privilegierte Gruppen
einen eben solchen Zugang zu politischen Ämtern haben. Dies
beeinflusst zwar nicht die Wahl in dem Sinne, das diese mehr Stimmen
hätten, jedoch ist es für bestimmte Milieus einfacher, sich selbst
zur Wahl zu stellen, politische Ämter zu besetzen und zu
partizipieren. Der Zugang zur Partizipation ist wie auch jener zu
Bildung und Einkommen real durch die lebensweltlichen Bedingungen
determiniert. Die Probleme, die er anspricht, treffen also
theoretisch und praktisch eine Vielzahl an Systemen und können daher
nicht allein gegen Epistokratie oder Scholastokratie angeführt
werden. Sieht man sich dies genauer an, so muss sich aus Estlunds
Argumentation sogar ein Vorteil für Scholastokratien ergeben, da
hier zumindest epistemische Vorteile erkennbar sind. Um eben diese
wird es im folgenden Kapitel gehen, ebenso wie um einige der Zugaben,
die Estlund für die Stärkung seiner Argumente gebraucht hat.
II
Ein politisch wertvolles und epistemisch relevantes Konzept von
Bildung
Ein
großes Problem und gleichzeitig Grund so vieler Spekulationen um die
Folgen, sind die Begriffe „Weisheit“ und „Bildung“. Um eine
Skizzierung dieser Begriffe im politisch relevanten Sinne soll es in
diesem Abschnitt gehen.
Dies
ist auch dahingehend wichtig, um die von Estlund vorgebrachten
Probleme angehen zu können, die zwar nicht gegen epistokratische
Ideen allein geltend gemacht werden aber doch in einem unfassenderen
Sinne latent vorhanden sind.
Gemeint
ist die Bevorteilung bestimmter, sich aus der Lebenswelt ergebender
Perspektiven durch die Gruppe der Gebildeten. Estlund führt vor
allem Rassismus und Sexismus und später weitere, schwächere Formen
von Diskriminierungen an, die vor allem auf bestimmte Vorlieben
verweisen (sexuell, religiös, ästhetisch).
Bezeichnend
ist dabei, dass eine der nachwievor gravierendsten
Unterdrückungsbereiche nicht erwähnt wird, der Speziesismus.
Zumindest offiziell gelten in den meisten westlichen Ländern
Rassismus und Sexismus innerhalb der gesellschaftlichen Konventionen
als überwunden (ich will dabei jetzt nicht auf die Probleme von
normativer Setzung und Realität eingehen, sondern der Einfachheit
halber sei dieses Problem übergangen). Unbestreitbar ist hingegen,
dass die speziesistische Weltdeutungen und damit Unterdrückungen
noch lange nicht in den gesellschaftlichen Konventionen aufgebrochen
wurden. Zwar scheint es so, als bewege sich die Gesellschaft langsam
darauf hin, jedoch verbreitete sich die Erkenntnis von der
unrechtmäßigen Unterdrückung basierend auf sozial konstruierten
Speziesgrenzen anfangs vor allem innerhalb von Schichten erweiterter
Bildung, Intellektualität und emotionaler Intelligenz, lange bevor
dies mehrheitsfähig ist. Ähnliches ist letztlich historisch auch
für den auf Rassismus bezogenen Abolitionismus erkennbar. Die
soziale Unsichtbarkeit, um mit Honneth zu sprechen, ist damit sowohl
weiterhin ein weit verbreitetes Problem und Phänomen.4
Moralischer
Fortschritt und die hier relevante Vorstufe, der Aufbruch sozialer
Unsichtbarkeit, die Erweiterung um neue Perspektiven, benötigen in
der Regel Zeit, um konsensfähig zu werden. Dies würde nun
(mindestens aus Sicht der Opfer, aus der Perspektive der Übersehenen)
ausdrücklich für scholastokratische und/oder epistokratische Ideen
sprechen, sofern den gebildeteren Schichten ein zumindest graduell
größeres soziales Sichtfeld zuerkannt werden kann.
Dies
ergibt, dass es einerseits empirisch erwiesen scheint, dass die
Gefahr existiert, dass die Herrschenden die Bedürfnisse der
Beherrschten gern übersehen oder ihre eigenen höher bewerten.
Die
Herrschenden sind, bezogen auf den Speziesismus, wie auch auf andere
-ismen aber letztlich immer die Gesellschaft, die sich selbst diesen
„Anderen“ vorenthält und nicht die Regierung innerhalb dieser.
Innerhalb dieser Gesellschaft existiert aber ein diese Konventionen
durchbrechender Kern, der, sieht man sich die Entwicklung der
modernen Tierrechtsbewegung seit der Frühen Neuzeit an, zu einem
wichtigen Teil aus gebildeten „Eliten“ besteht, was sich
sicherlich auf die zum Teil ausgebildetere Fähigkeit zum Erkennen
und Hinterfragen der Sollgeltung gesellschaftlicher Konventionen
zurückzuführen ist, die sich aus der Ausbildung und dem
Selbstverständnis als Motor ergibt.
Zur
Behebung solcher Missstände müssen auch nicht alle Minderheiten in
der Regierung vertreten sein oder auch nur zur Wahl zugelassen
werden, zumal es, wie das Beispiel des Speziesismus zeigt,
Minderheiten gibt, denen die Verteidigung der eigenen Bedürfnisse im
politischen Rahmen immer verwehrt bleiben wird (ebenso Säuglinge,
Kinder, geistig Behinderte).5
Auch
und besonders eine Demokratie kann diese Probleme also nicht aus sich
selbst heraus verhindern und wirkt sogar verzögernd, sofern sie der
Quantität größere Bedeutung als der Qualität beimisst, da in
diesem Fall erst die numerische Majorität überzeugt, „aufgeklärt“
werden muss.
Diese
zeitliche Verzögerung lässt sich nun durch mehrere Punkte
minimieren. Einer dieser Punkte trägt dem Umstand Rechnung, dass
gerade bestimmte „Eliten“ zeitiger solche Unsichtbarkeiten und
unhinterfragt Gegebenes durchschauen können, was anscheinend an
speziellen Fähigkeiten und Eigenschaften dieser „Eliten“ zu
liegen scheint. Zu diesen gehören, zumindest theoretisch, etwas,
dass als „moralische Reife“ bezeichnet werden soll, sowie das
Prinzip der „Selbstreflektion“.
Kern
der moralischen Reife ist dabei das Hinterfragen gesellschaftlicher
(sozialer und sittlicher) Konventionen, die Anwendung der kritischen
Ebene des Denkens auf die intuitive Ebene gesellschaftlich-sittlichen
Handelns, wie dies Hare in seinem Aufsatz zum Universellen
Präskriptivismus ausführt.6
Dafür ist nun in der Tat formale Bildung nicht ausreichend, da diese
in der Regel gesellschaftliche Konventionen eher übernimmt statt sie
zu hinterfragen.7
Vielmehr
sind die zwei genannten Punkte wichtig, die zunehmend in
Wechselwirkung zueinander treten: die moralische Entwicklung und die
Ausbildung der (Selbst-)Reflektion und damit die Entwicklung hin zur
Mündigkeit oder besser zu zwei der wichtigsten Grundlagen dieser.
Beides, eine möglichst hohe moralische Stufe, die sich an den
reflektierten Begründungen orientiert und sich von Autoritäten
(ohne einem primitivem Anti-Autoritarismus zu verfallen) und
gesellschaftlichen Konventionen als dogmatische Begründung löst8,
das scheinbare natürlich Seiende der Gesellschaft nicht zugleich zum
Sollenden macht9,
wie auch ein möglichst hoher Grad an (Selbst-)Reflektion werden in
der Regel nur durch eine profunde Ausbildung und Förderung dieser
Fähigkeiten erreicht, die selbst Universitäten bisher nur recht
spärlich bieten (können). Beides setzt voraus, sowohl den eigenen
Willen erkennen und sich weitestgehend von den Determinanten zu lösen
(sowohl sozial-strukturelle, als auch praktische und sich aus dem
eigenen Selbstentwurf ergebende), als auch sich selbst im Denken so
weit es geht außerhalb der Gesellschaft und ihrer, sowie der
eigenen, gewachsenen Gewissheiten zu setzen.10
Letzteres
ist etwas, dass sich passend in dem bereits angeführten Zitat aus
Mills Werk formuliert findet: „Sie glauben, daß die Universität
die Jugend für eine erfolgreiche Laufbahn in der Gesellschaft
vorzubereiten hat; ich glaube, daß ihre einzige Aufgabe die ist, ihr
den männlichen Charakter zu geben, der es ihr möglich machen soll,
den Einflüssen der Gesellschaft zu widerstehen.“11
Darauf
aufbauend muss aber die Universität, auch um die Gefahr einer sich
selbst genügenden „Elfenbeinturmmentalität“ zu verhindern, dazu
befähigen ihre eigenen Institution und Wissensorganisation, ihre
eigenen Regeln, Konventionen und Gewissheiten zu hinterfragen
befähigen.12
Ebenso und dies scheint mir ein reales Problem, muss die Reflektion
der akademischen Welt dazu führen können, die teilweise auftretende
Probleme einer in sozialen Angelegenheiten unterentwickelten
akademischen Elite, die sich aus der Notwendigkeit starker Egos in
der Art der gegenwärtigen Organisation der Wissenschaft ergibt, zu
überwinden.
Es ist
also nicht die Bildung selbst, die „wertvollere“ Meinungen, im
Sinne reflektiertere hervorbringt, sondern etwas, dass in ihrem Zuge
dazu führen kann. Um erneut mit Adorno zu sprechen, benötigt es
„Intellektuelle statt bloße Fachmenschen“13
und damit eine Erziehung zum Zwecke der „Herstellung eines
richtigen Bewusstseins“.14
Selbstreflektion,
so wie sie hier verstanden werden soll, ist nun gewiss kein Synonym
für Weisheit, jedoch eines ihrer Bestandteile. Erst durch sie wird
auch Bildung besonders relevant, da formales Wissen nun nicht mehr
unreflektiert angeeignet und gebraucht wird. Somit ist ein
epistemischer Mehrwert durch eine solche Ausbildung und Förderung
klar erkennbar, zumal automatisch die aufgerechneten negativen
Aspekte abgeschwächt werden. Die Erkenntnisse die produziert werden
sind somit „wahrer“15,
befreiter und die eines mündigeren16
Geistes, da sie weniger verzerrenden Beschränkungen unterworfen
sind. Den Fragen, denen so Rechnung getragen werden soll, sind auch
solche nach Willensfreiheit und Determination. Wenn sich in diesen
Bereichen durch die Ausbildung der genannten Fähigkeit Vorteile
ergeben, so haben diese Auswirkungen auf den epistemischen Wert der
gewonnenen Aussagen und damit auch auf deren politischen Wert.
Bildung
in dem hier skizzierten Sinn ist also gerade fähig, die von Estlund
vorgebrachten Probleme abzuschwächen, da diese sich aus einer an die
jeweilige Lebenswelt gebundene Perspektive ergeben. Bildung in einem
richtigen Sinne soll, in Anlehnung an Adorno aber gerade dazu
verhelfen, aus der lebensweltlich eingeschränkten Perspektive
auszubrechen.
Dabei
kommt formaler Bildung im Anschluss ebenso eine wichtige Funktion zu.
Ohne gewisse Wissensbestandteile, je nach Fragestellung
detaillierter, ist in vielen Fragen überhaupt kein sinnvoller
Standpunkt, keine Meinung möglich. Dabei steigt zudem die
Gefährlichkeit unzureichender Bildung, je weniger das Individuum
über Selbstreflektion verfügt, da Halbwissen Gewissheiten
produziert und diese verteidigen lässt.17
Dabei
ist auch hier zu beachten, dass Mill nur von einem Übergang spricht.
Das Ideal bleibt die möglichst hohe Bildung aller und, um es zu
erweitern, eine Ausbildung von moralischer Reife und
Selbstreflektion.
Sofern
dieser Zustand aber nicht erreicht ist, kann ein möglichst hohes Maß
an Bildung mit dazu gehöriger Reflektion und moralischer Reife
theoretisch ein zeitlich begrenztes, ungleiches Wahlrecht begründen,
um den sozialen Unsichtbarkeiten und unreflektiert herrschenden
gesellschaftlichen Konventionen auch numerisch etwas entgegenzusetzen
und so, ganz im Sinne Mills, Vorherrschaft der exklusiven
Gesellschaft zu unterbinden.
Differenziert
werden sollte dabei allerdings auch nach der Art der Wahl um die es
geht, wie beispielsweise die Wahl eines Repräsentanten, um
Grundsätze einer Gesellschaft oder um konkrete Handlungen oder
Projekte. Je nachdem, um was es sich handelt, bekommt Bildung einen
anderen Stellenwert. So kann bei konkreten Projekten vor allem
detailliertes Fachwissen gefragt sein. Besonders in diesem Bereich
scheint es unsinnig Stimmen gleich zu gewichten, so dass Fachleuten
mehr Stimmen zugedacht werden könnten, insofern ein Diskurs nur
eingeschränkt möglich ist. Da von Frage zu Frage die Fachleute
wechseln, wäre theoretisch ein relationales Wahlrecht sinnvoll, das
Fachleuten in ihren jeweiligen Gebieten mehr Stimmen zugesteht. Dabei
sind aber gerade bei alleinigem Fachwissen die negativen Features
latent. Noch sinnvoller scheint daher eine generelle Abkehr von
quantitativen Wahlen hin zu qualitativen Modellen wie dem Diskurs,
über den im nächsten Abschnitt noch gesprochen werden wird und der
nicht mehr die Stimmen zählt, sondern die Argumente gewichtet.
Ähnlich
wie bei der konkreten Projektfrage sieht es aber auch bei den
Repräsentanten, den „Herrschern“ und deren Beamten selbst aus.
An
praktisch alle Fachleute in der Gesellschaft werden, freilich sehr
unterschiedlich ausgeprägt, spezielle Anforderungen an ihre
Fähigkeiten, Fertigkeiten und teils an ihr sittliches Verhalten
gestellt, mit Blick auf gewählte Vertreter gibt es solche
Richtlinien aber kaum, allenfalls vage. Besonders in diesem Bereich
könnte Mill argumentieren. So scheint es prima facie sinvoll nur
solche Personen zur Wahl zuzulassen, die über bestimmte Fähigkeiten
verfügen.18
Misst
man Bildung, Selbstreflektion und moralischer Reife, oder, um es in
Mills Worten auszudrücken „geistiger, moralischer und tätiger
Kraft“, politische Bedeutung zu, so muss man dies konsequenterweise
auch bei denen, die gewählt werden können, nicht nur bei der Wahl
selbst, um den epistemischen Mehrwert nicht wieder zu verlieren:
„Die
Regierung besteht aus Handlungen, welche von Menschen verrichtet
werden und wenn die Handelnden, oder die, welche sie wählen, oder
die, denen sie verantwortlich sind, oder endlich die Zuschauer, deren
Meinung alle diese Personen beeinflussen und in Ordnung halten
sollte, bloße Massen von Unwissenheit, Beschränktheit und
jämmerlichem Vorurtheil sind, so wird jedes Unternehmen der
Regierung einen schlechten Ausgang nehmen, während in demselben
Maße, als die Menschen sich über diesen Zustand erheben, auch die
Regierung immer besser wird und schließlich jenen Punct der
Vortrefflichkeit erreichen kann, wenn sie ihn auch noch nirgends
erreicht hat, wo ihre Beamten, selbst ausgezeichnet durch überlegene
Tugend und Einsicht, von der Atmosphäre einer tugendhaften und
aufgeklärten öffentlichen Meinung umgeben sind.“19
Besonders
von der Regierung selbst muss also erwartet werden können, die
kommunizierten Bedürfnisse zu relativieren und die Argumente zu
verstehen, wie auch die gesellschaftlichen Konventionen zu
hinterfragen, also über die intellektuellen und moralischen
Fähigkeiten zu verfügen. Um eine Gesellschaft führen zu können,
muss sie soweit es geht durchschaut werden können, ihre Mechanismen
müssen den Regierenden bekannt und durch diese nachvollziehbar sein.
In diesem Sinne wären also Sozialwissenschaftler sicherlich
geeignetere Kandidaten als Juristen. Dies soll jedoch nur einen
ersten Gedanken darstellen, der hier nicht weiter verfolgt werden
soll, da es sich bei den notwendigen Voraussetzungen für
Regierungsämter um ein eigenes Thema handelt, dass allerdings
dringend eingehender Beschäftigung bedarf.
III
Der Diskurs als scholastokratisches Element und epistokratisches
Argument
Wie
bereits angedeutet, gibt es mehrere Möglichkeiten Bevorteilungen,
bzw. Benachteiligungen zu verhindern. Zwei dieser Möglichkeiten
sollen hier erläutert werden. Einerseits handelt es sich um den
Diskurs, der sowohl den „wahren“ Vorteil der Demokratie, als auch
den Vorteil der Epistokratie vereinen kann. Andererseits benötigt
auch dieser zwei weitere Grundsätze, nämlich die Erweiterung um
Advokaten und die Erweiterung um ein weitergehendes
Gleichheitspinzip. Zum Verständnis und zur Einordnung sei noch
angemerkt, dass sich der zu erweiternde Diskurs in dieser Arbeit an
Habermas' Modell orientiert.
Zuerst
gilt es festzuhalten, dass auch Mill einen Diskurs als Mittel
anspricht, sowohl die Vorteile einer für ihren Zweck besonders
(aus)gebildeten Regierungselite, als auch die Vorteile einer
qualitativen Rechtfertigung vor der Öffentlichkeit, zu sichern. Die
Repräsentativregierung im Sinne Mills überwacht die von den
Experten ausgearbeiteten Gesetze und stellt eine für alle
zugängliche Öffentlichkeit her, in der sich jedes der Gesetze
rechtfertigen muss. Mill bleibt dabei aber inkonsequent, in dem der
Diskurs auch der tatsächlich vorhandenen Mehrheit Gewicht beimessen
soll und so seinen eigentlichen Vorteil teilweise wieder aufgibt.20
Allerdings
führt Mill ebenso aus, dass zwar das Stimmgewicht von Gebildeten und
Ungebildeten auch innerhalb des Parlaments gleich sein soll, die
größere Weisheit aber zu einem großen Einfluss in der Diskussion
führen müsse, dem sich die Majorität, so Mill implizit wird beugen
müssen.21
Die „Volksmeinung“ soll so in den „Schranken der Vernunft und
Gerechtigkeit“ gehalten werden. Grundsätzlich spricht er sich
damit, trotz Einschränkung, für eine qualitative Ausrichtung aus,
wenn diese auch letztlich mehr auf Hoffnung auf Einsicht zu basieren
scheint.
Auch
Estlund erwähnt den Diskurs. Im Gegensatz zu Mill versteht er ihn im
Sinne eines deliberativen Elements, dass zur Stärkung
epistokratischer Ideen gebraucht wird, denen Mill ablehnend gegenüber
steht.22
Estlund begegnet mit dem Verweis auf den Diskurs dem Einwand, dass
epistokratische Systeme allein auf die Herrschenden und deren
Perspektive beschränkt sein müssen. Im Diskurs kommt es zu einer
Beratung mit allen anderen und zu einer Einbeziehung von deren
Perspektiven, so dass es daher nicht wie bei Mill und anderen
vermutet, zu einem Rückgang an Mitbestimmung und Interesse führen
muss, da eine Beteiligung und Einflussnahme über diesen auf die
regierende Schicht durchaus möglich ist.
Dabei
wird sowohl von Estlund, als auch von Mill anscheinend übersehen,
dass der Diskurs, so er wirklich durchgeführt wird, von seinem Wesen
her letztlich selbst epistokratischer und/oder technokratischer Natur
ist, da es in diesem nicht zu einer quantitativen Problemlösung
kommt, sondern zu einer qualitativen.
Im
Diskurs „gewinnt“ laut theoretischem Konzept das beste Argument,
wodurch besonders gebildete und „weise“ Personen automatisch
bevorzugt werden. Gleichzeitig werden aber die Perspektiven der
„Anderen“ nicht ausgegrenzt, wie dies Estlund richtig annimmt.
Diese und hier liegt ein Vorteil, können jedoch in einem
qualitativen Diskurs nicht einfach eine Position durch bloße
Quantität kippen. Gleichzeitig und trotzdem können sie sich aber
mit ihren Bedürfnissen und Interessen qualitativ einbringen, in dem
sie diese kommunizieren und, da der Diskurs alle Betroffenen beachten
muss, erfahren somit automatisch Berücksichtigung.
Im
Gegensatz zu quantitativen Entscheidungsprozessen besteht im Diskurs
nun aufgrund der qualitativen Ausrichtung die Möglichkeit auch bei
mangelndem Verständnis der Umstände und mangelnder Selbstreflektion
der Vorbringenden, die Bedürfnisse zu korrigieren und gegen andere
abzuwägen. Viel wichtiger ist dabei noch, dass diesen Mängeln durch
einen angeregten Perspektivwechsel, der theoretisch ein wichtiger
Bestandteil der diskursiven Einigung ist, abgeholfen werden soll und
kann. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass gerade die
Verbindlichkeit des besseren Arguments dazu animieren kann, dass sich
der Einzelne intensiver mit dem Thema beschäftigt, bei dem er
mitreden möchte, statt sich damit zufrieden geben zu können, seine
etwaigen bloßen Vorurteile von vornherein mit Stimmrecht und
Bedeutung ausgestattet zu sehen. Der Diskurs kann also mit seinen
qualitativen Bedingungen einer Partizipation dazu führen, Mündigkeit
zu stärken.
Der
Diskurs und damit der zwingende Austausch, ist ebenso ein Mittel, um
gebildete Schichten und vor allem die s.g. akademische Elite vor sich
selbst zu bewahren, in der bereits angesprochenen Hinsicht, in dem
der Diskurs sich der teilweise zu starken Egozentrierung
entgegenstellt und Fähigkeiten der sozialen Interaktion fordert und
fördert.
Neben
den bisher genannten Vorteilen verfügt der Diskurs allerdings noch
über Schwächen, die es zu beheben gilt, so dass im Folgenden am
Beispiel der moralischen Urteilsfindung und der sozialen
Unsichtbarkeit anderer Spezies noch etwas genauer auf diesen
eingegangen werden muss.
Eines
der Probleme an Habermas' Modell sind zwei implizite Gleichsetzungen,
die es aufzuheben gilt. Die erste ist die Gleichsetzung der Begriffe
„Mensch“ und „Person“. An der Genese23
und Überprüfung moralischer Normen innerhalb seiner Diskursethik
sollen alle sprach- und handlungsfähigen Subjekte teilnehmen.24
Dies umfasst aber eben gerade nicht alle Individuen der menschlichen
Spezies.
Einige
davon sind in Habermas' Sinne genauso wenig sprach- und
handlungsfähig wie viele Tiere oder anders ausgedrückt, viele Tiere
sind genauso sprach- und handlungsfähig wie einige Menschen.
Gleiches gilt für den für Habermas so wichtigen Begriff der
Reziprozität. Konsequenterweise müssten nun also entweder Menschen
mit bestimmten geistigen Behinderungen, Komatöse, Demente,
Säuglinge, usw. aus dem Diskurs ausscheiden oder viele Tiere
aufgenommen werden. Der Begriff „Sprachfähigkeit“ ist einfach zu
ungenau definiert.
Werden
alle im engen Sinne sprachfähigen Subjekte in den Diskurs
integriert, fällt zwar nicht gleich der anthroprozentrische Anspruch
aber eine Erweiterung über die Spezies hinaus muss bereits
vorgenommen werden. Schimpansen wie Washoe, die sich zumindest
rudimentär über Zeichensprache verständigen zu können scheinen,
müssten teilnehmen dürfen. Aber auch das wäre nicht die letzte
Konsequenz.
Habermas
selbst bemerkt nämlich richtig, dass Kommunikation mehr als Sprache
umfasst.25
Für abstrakte Diskussionen ist eine komplexe Sprache zwar
unablässig, für die Forderung nach Anerkennung von Interessen
jedoch nicht. Der Bereich der nonverbalen Kommunikation ist weitaus
umfangreicher und universaler. Auch im menschlichen Umgang müssen
wir uns auf diesen beschränken, wo wir die Sprache des anderen nicht
verstehen. Ebenso darf nicht vergessen werden, dass ein Großteil der
wichtigsten, vor allem auch lebenswichtigen Interessen nonverbal
kommuniziert werden kann und wird. In dieser Hinsicht sind sich
Menschen und viele Tiere sehr ähnlich, sie auszuschließen und das
Erlernen nur menschlicher Sprachen zu akzeptieren, liefe auf
speziesistische Grundannahmen hinaus. Wenn Sprachfähigkeit oder
Kommunikation als Grundlage gilt, dann muss sie umfassend gelten und
Kommunikation ist bis zu einem gewissen Grad mit jedem Lebewesen
möglich. Ein Tier, dass sich gegen Schmerz wehrt, kommuniziert
ebenso, wie dies ein Mensch in einer solchen Situation tut. Beide
bekunden in verschiedenen und gleichen „Sprachen“, auf
verschiedenem und gleichem Wege ihr Interesse an der Beendigung
dieses Zustandes.
Damit
allerdings noch nicht genug, wird der Diskurs letztlich nicht mal von
allen Personen geführt. Das beste Argument soll „gewinnen“.26
Dies bedeutet aber implizit, dass die moralischen Regeln von einer
Minderheit bestimmt werden, da mehr als Sprach- und
Handlungsfähigkeit oder „praktische Vernunft“ von Nöten ist, um
vernünftige, bzw. konsistente und konsequente Argumente zu bilden.
Ein recht hohes Mindestmaß an Reflektions- und Abstraktionsvermögen,
sowie Intelligenz (auch emotionaler) sind nötig, um sinnvoll
zumindest an dem Begründungsdiskurs von Normen teilzunehmen. Mit
anderen Worten ausgedrückt: nur Personen, die auch innerhalb der
moralischen und kognitiven Entwicklung weit genug sind, nehmen
faktisch aktiv am Diskurs teil.27
Der
Rest muss sich praktisch auf die Formulierung seiner Interessen
beschränken, die noch dazu unreflektiert bleiben. Diese Beschränkung
muss allerdings nicht zwangsweise negativ gewertet werden.
Theoretisch entscheidet hier die Qualität und damit mit gewisser
Wahrscheinlichkeit gut durchdachte Konzepte und moralische
Fortschrittlichkeit.
Es ist
also festzustellen, dass nicht alle Menschen Teil des Diskurses sind
und noch weniger über die bloße Formulierung ihrer Interessen
hinaus gehen. Bei der Genese und Überprüfung von Normen ist dies,
wie bereits erwähnt, nicht zwangsweise negativ und kann über die
starke Bedeutung der Begründung und der Reflektion sogar äußerst
positiv. Die eigentliche Problematik tritt erst auf, wenn die zweite
Gleichsetzung Habermas' ins Spiel kommt.
Diese
besteht darin, die Menge derer, die am Diskurs teilnehmen, mit der
Menge derer, die von Moral und Normen betroffen sind, gleichzusetzen.
Dies ist offensichtlich falsch. Nicht alle Menschen nehmen im Sinne
Habermas' am Diskurs teil. Aber diese sind, genau wie Tiere, von
Moral und Normen betroffen. Sie sind keine moralischen Subjekte aber
doch Objekte. Habermas selbst schreibt: „Der praktische Diskurs
erfordert die Einbeziehung aller jeweils berührten Interessen und
erstreckt sich sogar auf eine kritische Prüfung der
Interpretationen, unter denen wir bestimmte Bedürfnisse als eigene
Interessen allererst erkennen.“28
Wenn nun aber alle betroffenen Interessen und Bedürfnisse einbezogen
werden sollen, dann auch jene der moralischen Objekte, nicht nur der
moralischen Subjekte, zumal Folgen und auch Nebenwirkungen beachtet
werden sollen und zumindest in letzterem müssen sich die berührten
Interessen von Nichtdiskursteilnehmern finden.29
Um auch solche, wenn auch vorerst nur menschliche, in den Diskurs
aufzunehmen, spricht sich Weisshaupt für die Übernahme der
Verantwortung durch Vertreter aus: „Ist aber Reziprozität faktisch
nicht herstellbar und auch nicht denkbar, wie dies bei schwer geistig
Behinderten und in gewisser Weise auch bei betroffenen aber nicht
diskursfähigen Embryonen der Fall ist, so ist Verantwortung
stellvertretend zu übernehmen. Die Stimme der Abwesenden, das ist
die Stimme aller zum Diskurs aus prinzipiellen Gründen nicht
Fähigen, ist stellvertretend stark zu machen und in den Diskurs
einzubeziehen.“30
Anstatt
also den Kommunikationsbegriff zu erweitern, sollen Advokaten die
Interessen aller nicht am Diskurs beteiligten vertreten. Dies gilt
für Föten, Säuglinge, geistig Behinderte, usw., allerdings gibt es
dann keinen Grund, warum nicht auch für Tiere, denn auch diese sind
Betroffene. Diese advokatorische Alternative birgt aber Gefahren. Sie
macht die Gruppen von den Advokaten abhängig. Nur die Gruppe, die
über einen verfügt, wird gehört, nur die, die einen guten hat auch
berücksichtigt.
Um
Sicherheit und Gerechtigkeit zu gewährleisten könnte ein zweiter
Zusatz aufgenommen werden. Bei diesem handelt es sich um das durch
Singer geprägte Prinzip der gleichen Interessenabwägung, dass in
den Diskurs integriert auf alle ausgedehnt werden muss, die
Interessen haben.31
Dies behebt die Probleme des Diskurses mit all jenen, die Interessen
haben aber in der Mehrfachbedeutung von „sprechen“ dies eben
nicht können. All jene die über Interessen verfügen, sind durch
Moralvorstellungen und Handlungen betroffen, also müssen alle jene
auch berücksichtigt werden.
Habermas
unternimmt zwar einen Versuch, auch Tiere und Ökologie und damit
wohl auch allen nichtpersonellen Menschen Schutz zu gewähren,
schafft dies aber schlicht nicht. Es reiche, eine moral-analoge
Haltung einzunehmen, da wir Tieren ähnlich Personen gegenübertreten
und auch sie in einer Gemeinschaft mit uns und somit in einem Netz
aus reziproken Verletzbarkeiten und exponierten Schutzbedürftigkeiten
leben und deswegen geschützt werden müssen.32
Praktisch bleibt er inkonsequent, denn Haustiere werden qua ihres
Zweckes für und ihrer Nähe zu uns bevorzugt, Nutztiere, die aber
ebenfalls eine Art Gemeinschaft mit uns bilden, bleibt dies aber
versagt, sowie allen Tieren, denen „[...] Menschen in ihrer Rolle
als Angehörige einer Spezies […] als Exemplaren einer anderen
Spezies gegenübertreten.“33
Habermas
bleibt eine Erklärung schuldig, warum die Spezieszugehörigkeit hier
ein Tötungsrecht implizieren sollte oder den generellen Ausschluss
aus moralischen Betrachtungen und wann genau dies der Fall sein
sollte.
Der so
erweiterte Diskurs bietet nun Schutz gegen einige der
anti-epistokratischen oder anti-schloastokratischen Einwände. Sein
Vorteil ist die Einbeziehung aller Interessen und aller möglichen
Argumente, sowie die Beförderung von Perspektivwechseln bei der
gleichzeitigen qualitativen Abwägung, so dass die Masse an
Vorurteilen verhindert werden kann. Selbst die auch von Estlund so
selbstverständlich übersehene Bevorteilung der eigenen Spezies kann
so überwunden werden.
Dabei
ist der Diskurs als Begründungs- und Legitimationsinstanz selbst, je
nach Sichtweise, epistokratisch, technokratisch oder auch nur
scholastokratisch ausgerichtet.
Aus
dem Bisherigen heraus gilt es nun Folgendes zu bedenken: Quantitative
Abstimmungen einer immer notwendig exklusiven Gruppe mit gleichem
Stimmgewicht ohne Bewertung der Grundlagen muss notwendig davon
ausgehen, dass die egoistischen Interessen dieser exklusiven
Mehrheit, die insgesamt eine Minderheit der Betroffenen bildet,
gleichzeitig das Beste für alle sind, um sich überhaupt
legitimieren zu können. Gerade weil die Partizipierenden immer eine
Minderheit sind, nie die Gesamtheit abbilden können, handelt es sich
in dieser Hinsicht bei einem ungleichen Stimmrecht oder höheren
Bedingungen für Wählbarkeit nur um eine graduelle Veränderung
statt, wie oft gemeint, um eine kategorische. Kategorisch ändert
sich jedoch die Nutzung der Potentiale, die Beachtung der
tatsächlichen Gegebenheiten, die sich in einer stärkeren Bändigung
des Egoismus und der von Estlund angesprochenen Probleme äußern
kann. Dies wird nicht zuletzt durch eine Aufwertung der qualitativen
Argumente, wie sie beispielsweise im erweiterten Diskurs stattfindet,
erreicht und die somit den Hintergrund, wie auch die Meinung selbst
kritisch reflektiert. Es ist somit nichts mehr, als der Versuch, aus
dieser partizipierenden Minderheit die Mehrheit der rein egoistischen
und unreflektierten Interessen herauszufiltern, um so erst wirklich
einen Versuch zu unternehmen, des Despotismus einer Minderheit zu
brechen.
IV
Epistokratie und Rawls Prinzip der allgemeinen Akzeptanz – einige
Gedanken
Zumindest
auf den ersten Blick scheint theoretisch das Konzept einer
deliberativen Epistokratie auch die Rawlssche Hürde der rationalen
Zustimmbarkeit erfüllen zu können, da sich der epistemische
Mehrwert auf diese Weise nicht vollständig gegen die von Estlund
vorgebrachten features aufrechnen würde. Das eine letzte Gefahr in
dem Sinne bleibt, dass die „Gebildeten“ aus ihrer Bildung selbst
heraus Vorurteile entwickeln, lässt sich nicht völlig abstellen,
jedoch ist weder klar, ob dies negative Auswirkungen hat und zum
Anderen ist dies der Preis, den man zahlen muss, sofern man Bildung
als politisches Ziel überhaupt formuliert.
Hinzu
kommt, dass es bei allem vorbestimmt intuitiven Widerstand bei
näherer Betrachtung nicht so ist, dass paternalistisch anmutende,
Mündigkeit relativierende Ideen etwas besonderes in der Gesellschaft
sind. Sie werden fortwährend angewandt, nicht zuletzt in der
Erziehung von Kindern und hier zeigt sich der Kern des Widerstandes
gegen solche Ideen. Aus Sicht des Erwachsenen, nehmen wir ihn einmal
als mündig an, müssen dem Kind bestimmte Grenzen gesetzt, sein
vermeintliches Wollen unbedingt gehört, beachtet aber doch
relativiert, es zur Selbstreflektion erst einmal angetrieben werden,
um sich dann im Zuge dieses Prozesses selbst bestimmen zu können.
Das Kind jedoch begehrt dagegen auf. Und es lassen sich vernünftige
Argumente für die Förderung dieses Aufbegehren als Triebkraft zur
Mündigkeit finden, zugleich jedoch lässt sich das Ziel dieses
Aufbegehrens vernünftig vorenthalten und wird dies völlig
selbstverständlich in der Gesellschaft auch in akzeptierter Weise
zumindest zeitlich bis zu einem gewissen Punkt. Dabei wäre auch hier
nicht nur formale Bildung vonnöten, sondern vielmehr das bereits
Angesprochene. Sobald nun jedoch eine historisch gewachsene aber
letztlich willkürlich gesetzte Anzahl an Lebensjahren überschritten
wird, das Individuum einmal mündig erklärt ist, sollen die gleichen
Argumente nicht mehr gelten dürfen, ganz so, als ob die Erreichung
einer bestimmten Anzahl an Jahren unwideruflich einen Hebel umgelegt
hätte, der eine Person kategorisch vom vorher unmündig erklärten
Kind trennt, alles bis dahin Erreichte, ohne Ansehung der Qualität
als ausreichend deklariert, um kein Intellekt mehr über ihm dulden
zu müssen und zu können.34
Hierin findet sich der eigentliche Widerspruch: die Anerkennung von
höherer Weisheit als etwas allgemein akzeptiertes, solang sie die
Person nicht selbst betrifft. Über diesen Punkt und die zugrunde
liegenden Mechanismen gilt es besonders nachzudenken, bevor über die
allgemeine Akzeptanz epistokratischer Ideen praktisch entschieden
werden kann. Dabei wäre, das Gesagte zusammengefasst, vielleicht die
generelle Notwendigkeit eines Begriffs von relationaler Mündigkeit
gegeben, der hier aber nicht ausgeführt werden kann und soll.
Die
Ablehnung einer höheren Einsicht als gleichzeitig mit höherem
politischen Gewicht, liegt sicherlich nicht zuletzt auch in dem in
dem Postulat der Mündigkeit notwendig enthaltenen Postulat des
freien Willens und einer Überbetonung dessen, die aus Gründen des
Selbstverständnisses nicht zuletzt zu einer latenten Feindlichkeit
gegenüber allen deterministischen Theorien und sinnvollen
Folgerungen aus diesen geführt hat. So wird die absolute
Willensfreiheit bis aufs Messer gegen jeden Relativismus verteidigt.
Dieses verdinglichte Bewusstsein, dass sich selbst als natürlich und
als natürlich legitimiert, nicht als geworden sieht35,
gilt es zu überwinden statt mit dessen Grundlage politische Theorien
zurückzuweisen. Reflektierte, vernünftige Anerkennung ist die
Grundlage das Rawlssche Prinzips, nicht reale Unvernunft.
Fazit
Anhand
der bisherigen Argumente sieht es nun so aus, als ob der epistemische
Wert einer Epistokratie oder der schwächeren Form der
Scholastokratie, gesichert werden kann, wenn als deliberatives und
legitimierendes Element der Diskurs hinzukommt, zumal Estlunds
Einwände, wie bereits gezeigt wurde, nicht zutreffend, bzw. nicht
als Gegenargumente verwertbar sind.
Ergebnis
einer solchen Sicherung könnte damit ein Modell einer deliberativen
Epistokratie sein. Diese besteht in ihrer moderaten Form vor allem in
klareren Anforderungen an die Fähigkeiten von Repräsentanten, einem
relativen Mehrstimmrecht in bestimmten Bereichen bei
Nichtdurchfürhbarkeit eines Diskurses (insbesondere ein relationales
Stimmrecht für Fachkräfte in konkreten Fragen), sowie einer
Fokussierung auf qualitativen Legitimationsprinzipien statt
quantitativen.
Auf
diese Weisen ließen sich die einzelnen Fähigkeiten und das Wissen
in einer Gesellschaft optimaler nutzen, ohne die Bedürfnisse anderer
zu übergehen. Wichtig bleibt dabei, das Konzept der Gesellschaft
ähnlich dem Diskurs zu erweitern.
Damit
könnte sowohl die Gefahr des Opferns der Qualität vor der Quantität
verringert werden, als auch die egoistische und totale Herrschaft
einer sozial konstruierten Gruppe über die „Anderen“. Die
Bedürfniskommunikation über Advokaten und einen erweiterten
Grundsatz könnte so eine „soziale Unsichtbarkeit“ leichter
verhüten. Dies gilt umso mehr, als das das Mehrstimmrecht vor allem
die Fähigkeit zur Hinterfragung gesellschaftlicher Konventionen und
damit auch von Inklusion und Exklusion als Grundlagen beinhalten
sollte.
Das
grundsätzliche Ideal bleibt dabei das gleiche wie bei Mill, die
„Mündigmachung“ und dafür die Bildung der Gesamtgesellschaft,
die zudem nicht auf formale Bildung beschränkt sein darf, sondern
Selbstreflektion, Erziehung zur moralischen Reife und nicht zuletzt
auch die hier explizit ausgesparte, implizit in der moralischen Reife
aber schon angelegte, emotionale Intelligenz und Reflektion36
beinhalten muss.
Verwirklichte
Demokratie kann nur als Gesellschaft von Mündigen funktionieren, um
mit Adorno zu sprechen. Wo diese aber nicht gegeben ist, kann zu dem
Ideal hingewirkt werden aber ohne dabei die Situation zu verkennen
und das Mögliche oder Gewollte mit dem Nötigen zu verwechseln. Den
Bürger ernst zu nehmen, muss eben auch heißen, ihn in seinen
Beschränkungen, uns alle in unseren Beschränkungen ernst zu nehmen.
Statt der fortwährenden Postulierung von Mündigkeit, um das System
zu legitimieren, muss Mündigkeit endlich ernsthaft als zu
erreichendes Ziel ins Auge fassen werden. Wird es weiterhin
postuliert, findet keine Reflektion, keine Arbeit hin auf dieses
Ideal statt, denn es wird, Realität ignorierend, bereits als
erreicht vorausgesetzt und dies ist gefährlich.
Zudem
begeht ein gleiches Wahlrecht ohne eine reale Mündigkeit, ohne ein
stetiges Hinterfragen der gesellschaftlichen und eigenen
Konventionen, wie es sich zur Zeit darstellt, das, was Hare den
„deskriptivistischen Fehlschluss“ nennt, eine zutiefst
relativistische und moralisch fragwürdige Fehlinterpretation des
unreflektierten Seins zum Sollen. Dieser Fehlschluss wird auf diese
Weise letztlich immer begangen, selbst dann, wenn der quantitative
Mehrheitsentscheid in der Konsequenz mit der Reflektion auf der
kritischen Ebene des Denkens übereinstimmt. Auf diese Art befindet
sich eine Gesellschaft praktisch immer im moralischen und politischen
Konservatismus, der sich fortwährend selbst reproduziert und sich
allenfalls extrem langsam oder nur unter großen Schrecken überlebt.
Adorno führt ebenso völlig zu Recht aus, dass Ausschwitz auch
weiterhin möglich ist, solange das Level an realer Mündigkeit
gering ist und dieser Umstand keine Beachtung erfährt. Dabei muss
dies nicht auf gleicher Ebene geschehen und ist eher
unwahrscheinlich, solange wie das Konkrete noch nachwirkt. Betrachtet
man die Gesellschaft aber unter dem Aspekt des Speziesismus, so ist
man genötigt Adorno noch weitaus mehr Recht zu geben, als er dies
selbst geahnt zu haben scheint.
Dabei
gilt es, zusammen mit Mill, das Ideal einer mündigen Gesellschaft zu
erhalten und zu fördern, jedoch gilt auch folgendes zu beachten:
„Diejenigen indessen, welche sich einer solchen Aufgabe
unterziehen, müssen sich nicht nur der Wohlthaten jener Institution,
welche sie empfehlen, sondern auch der moralischen, geistigen und
thätigen Fähigkeiten, welche ihre Benutzung erfordert, in vollem
Maße bewußt sein, damit sie es womöglich vermeiden, ein Wollen
anzuregen, das dem Können zu weit voraus eilt.“37
Inwieweit
die hier skizzierten Gedanken praktisch umsetzbar sind, wie und ab
wann genau jemand ausreichend gebildet im Sinne dieser Arbeit ist und
noch gravierender, wie und wie oft dies messbar sein muss, wie ein
derart festes, ja schon verselbstständigtes bürokratisches System
verändert werden kann, sind andere Fragen, die hier nicht
beantwortet werden können, die sich aber besonders im Hinblick auf
die willkürliche Setzung von Mündigkeit, auf die hier nur sehr kurz
eingegangen werden konnte, stellen müssen. Ebenso suggerieren die
hier aus Gründen der Verdeutlichung verwendeten Kategorien
„Gebildete“ und „Ungebildete“ eine einfache und eindeutige
Trennung und Zuordnung, eine Homogenität in sich, die letztlich
realitätsfern bleiben und sich ebenso eher einem relationalen
Verhältnis beugen muss.
All
dies sind Probleme, große Probleme, jedoch sollte darüber nicht
vergessen werden, dass es trotzdem lohnenswert erscheint über die zu
ihnen führenden Fragen nachzudenken und das aus einem unperfekten,
bestehendem Standpunkt heraus nicht Perfektion gefordert werden muss,
sondern eine weniger unperfekte Unperfektion immer schon einen zu
begrüßenden Fortschritt darstellt.
Diese
Arbeit soll abschließend nicht als Werbung für eine Epistokratie
missverstanden werden. Sie sollte zeigen, dass einerseits nicht gegen
epistokratische Ideen mit Hilfe erkenntnistheoretischer Überlegungen
vorgegangen werden kann, ohne auch andere demokratische Theorien zu
treffen oder einseitig auf negative Aspekte zu fokussieren.
Andererseits muss es möglich sein gerade in Demokratien über das
Ergebnis politischer Systeme nachdenken zu können, statt sich
zirkulär im durch Tabus bestimmten Rahmen zu bewegen. Um nun die
Probleme, die sich letztlich auch für die Demokratie ergeben,
anzugehen, muss keine Epistokratie und dies wäre praktisch wohl auch
nicht durchsetzbar, proklamiert werden. Vielmehr kann mit ihrer Hilfe
als Gegenmodell überhaupt über Lösungen nachgedacht werden und
mithin kann eine Epistokratisierung bisheriger Demokratien Abhilfe
schaffen. Dies letztlich zu Entscheiden war aber ebenfalls nicht Ziel
dieser Auseinandersetzung, vielmehr besteht ihr Anspruch in dieser
Hinsicht darin, die Diskussion jenseits des Rahmens aus Tabus zu
eröffnen.
Literatur:
Comperz,
Theodor (Hrsg.): John Stuart Mill's Gesammelte Werke, Achter Band,
Betrachtungen über Repräsentativ-Regierung, Leipzig 1873.
Estlund,
David: „Why Not Epistocracy?“, in: Reshotko, Naomi (Hrsg.):
Desire, Identity and Existence: Essays in honor of T.M. Penner,
Toronto 2003, S. 53-69.
Habermas,
Jürgen: Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt am Main 1991.
Habermas,
Jürgen: Gerechtigkeit und Solidarität, in: Edelstein, Wolfgang;
Nunner-Winkler, Gertrud (Hrsg.): Zur Bestimmung der Moral, Frankfurt
1986, S. 219-303.
Hare,
Richard Mervyn: Zur Einführung: Universeller Präskriptivismus, in:
Fehige, Ch, Meggle, G.: Zum moralischen Denken, 2 Bde, Frankfurt am
Main 1992, S. 31-54.
Honneth,
Axel: Unsichtbarkeit. Über die moralische Epistemologie von
Anerkennung, in: Unsichtbarkeit. Stationen einer Theorie der
Intersubjektivität, Frankfurt am Main 2003, S. 10-27.
Kohlberg,
Lawrence; Dwirght, R.Boyd, Levine, Charles: Die Wiederkehr der
sechsten Stufe. Gerechtigkeit, Wohlwollen und der Standpunkt der
Moral, in: Edelstein, Wolfgang; Nunner-Winkler, Gertrud (Hrsg.): Zur
Bestimmung der Moral, Frankfurt 1986.
Nussbaum,
Martha: Die Grenzen der Gerechtigkeit, Berlin 2010.
Schwickert,
Eva-Maria: Feminismus und Gerechtigkeit. Über eine Ethik von
Verantwortung und Diskurs, Berlin 2000.
Singer,
Peter: Praktische Ethik, Stuttgart 1994.
Weisshaupt,
Brigitte: Ethik und die Technologie am Lebendigen, in: Konnertz,
Ursula: Grenzen der Moral. Ansätze feministischer Vernunftkritik,
Tübingen 1991, S. 75-92.
weiter
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1Estlund,
David: „Why Not Epistocracy?“, in: Reshotko, Naomi (Hrsg.):
Desire, Identity and Existence: Essays in honor of T.M. Penner,
Toronto 2003, S. 53-69.
2Comperz,
Theodor (Hrsg.): John Stuart Mill's Gesammelte Werke, Achter Band,
Betrachtungen über Repräsentativ-Regierung, Leipzig 1873, S. 99.
3Mill,
Repräsentativ-Regierung, u.a. S. 93.
4Siehe
dazu: Honneth, Axel: Unsichtbarkeit. Über die moralische
Epistemologie von Anerkennung, in: Unsichtbarkeit. Stationen einer
Theorie der Intersubjektivität, Frankfurt am Main 2003, S. 10-27.
5Die
bisherigen Vertragstheorien, die die Grundlage der meisten
gegenwärtigen politischen Ideen bilden, können solche Probleme
gerade nicht lösen, da sie von gleichberechtigten, vernünftigen
und zur Reziprozität fähigen Personen ausgehen. Dies entspricht
einem Misbild der realen Verhältnisse und, weitaus schlimmer, führt
zu falschen (Wunsch-)Vorstellungen von einer notwendigen Teilhabe
vermeintlich aller gleichermaßen an der politischen Partizipation.
Dies ist aber weder möglich, noch nötig, noch erscheint
selbstredend sinnvoll. Vielmehr gilt es sich an realen Fähigkeiten
auch in der Politik zu orientieren. Zu diesem Zweck sind Konzepte
von „Mündigkeit“ und Aspekte von Partizipationsfähigkeit neu
zu überdenken und alte Dogmen aufzubrechen. Zu Problem und
Überarbeitung von Vertragstheorien siehe Nussbaum, Martha: Die
Grenzen der Gerechtigkeit, Berlin 2010.
6Hare,
Richard Mervyn: Zur Einführung: Universeller Präskriptivismus, in:
Fehige, Ch, Meggle, G.: Zum moralischen Denken, 2 Bde, Frankfurt am
Main 1992, S. 31-54.
7Ein
Problem, auf das Mehrfach hingewiesen wurde, u.a. auch von Adorno in
seiner „Erziehung zur Mündigkeit“.
8Zur
Mehrstufigkeit der Moralentwicklung siehe Kohlberg,
Lawrence; Dwirght, R.Boyd, Levine, Charles: Die Wiederkehr der
sechsten Stufe.
Gerechtigkeit, Wohlwollen und der Standpunkt der Moral. In: Zur
Bestimmung der Moral.
Hrsg. v. G. Edelstein, Nunner-Winkler. Frankfurt 1986; sowie
Habermas,
Jürgen: Gerechtigkeit und Solidarität.
In: Zur Bestimmung der Moral. A.a.O. 219-303. Ebenso Schwickert,
Eva-Maria: Feminismus und Gerechtigkeit. Über eine Ethik von
Verantwortung und Diskurs, Berlin 2000.
Das beste Modell bietet hierbei
zugleich die jüngste Bearbeitung in Form des 8-stufigen Ansatzes
Schwickerts. Kritisch sei hier allerdings noch angemerkt, dass in
diesem Aufsatz davon ausgegangen werden muss, dass mit der höheren
Begründung, also der theoretischen Ebene, auch eine höhere
Handlungsbereitschaft einher geht, sowie eine größere
Wahrhaftigkeit. Allerdings plädiere ich für eine Trennung in
moralische Begründung, bzw. moralischen Standpunkt, die die Frage
klären, auf welcher moralischen Reflektionsebene eine Person steht
und in moralisches Leben, dass die unter den theoretischen
Gesichtspunkten ausgewerteten Handlungen hierarchisch benennt, aber
in dem Subjekt selbst eine „niedere“ moralische Reflektionsebene
annehmen kann. Für die Einfachheit des Arguments soll hierbei aber
ein positiver Zusammenhang zwischen Reflektionsebene und
Handlungsebene angenommen werden, zumal die höhere Reflektionsebene
bessere Argumente für den moralischen Diskurs produziert und daher
einen Vorteil genießt.
9Vgl.
Adorno, Theodor W.: Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt am Main
1971, S. 141. Eine unreflektierte Übernahme gesellschaftlicher
Konventionen in den Bereich des Sollens würde sich des
„deskriptivistischen Fehlschlusses“ schuldig machen, wie Hare
ihn definiert.
10Siehe
dazu auch das Problem des verdinglichten Bewusstseins bei Adorno,
S. 99.
11Comperz,
Theodor (Hrsg.): John Stuart Mill's Gesammelte Werke, Zehnter Band,
Vermischte Schriften I, Leipzig 1874, S. 28f.
12Adorno,
S. 43ff.
13Adorno,
S. 32.
14Adorno,
S. 107.
15Dabei
bedeutet „wahrer“ in diesem Zusammenhang zumindest
interperspektivischer, bzw. unperspektivischer, sowie weniger grob
sozialisatorischen, kulturellen und auch psychologischen
Determinanten aufgesessen und insgesamt wohl fundierter. Dies
bedeutet wiederum, dass die Erkenntnisse und die daraus
resultierenden handlungsanleitenden Ergebnisse eher auf Argumenten
fussen, statt auf lebensweltlich vorakzeptierten Gründen.
16Davon
ausgehend das Mündigkeit nichts absolutes oder gar erreichbares
wäre, sondern als relationales Prinzip konzeptualisiert werden
muss.
17Dabei
ist jedoch Wissen generell nie vollständig vorhanden, sondern immer
beschränkt zugänglich. Der Grad der Zugänglichkeit kann jedoch
erhöht, die Basis verbreitert werden.
18Eine
solche Position ist es auch, die Mill bevorzugt. Regierende müssen
demnach über Eigenschaften und Fähigkeiten verfügen, die über
das bloße „handwerkliche“ hinaus gehen. Vgl. Mill,
Repräsentativ-Regierung, S. 23 und S. 69f.
19
Mill, Repräsentativ-Regierung, S. 22.
20Vgl.
Mill, Repräsentativ-Regierung, u.a. S. 72f, S. 75, S. 84.
21Vgl.
Mill, Repräsentativ-Regierung, S. 110.
22Vgl.
Estlund, S. 56f.
23Diese
ist bei Habermas nur hypothetisch. Vgl. Habermas, Jürgen:
Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt am Main 1991, S. 34.
24Vgl.
Habermas, S. 18.
25Vgl.
Habermas, S. 223.
26Vgl.
Habermas, S. 154.
28Habermas,
S. 25.
29Vgl.
Habermas, S 42f.
30Weisshaupt,
Brigitte: Ethik und die Technologie am Lebendigen, S. 81, in:
Konnertz, Ursula: Grenzen der Moral. Ansätze feministischer
Vernunftkritik, Tübingen 1991, S. 75-92.
31Vgl.
Singer, Peter: Praktische Ethik, Stuttgart 1994, S. 27ff.
32Vgl.
Habermas, S. 223ff.
33Habermas,
S. 225.
34Dies
gilt freilich eher in Bezug auf den staatsbürgerlichen Status,
weniger für die Beziehung zwischen Eltern und Kind. Dieses
Verhältnis wird viel länger durch eine relative Mündigkeit
bestimmt.
35Vgl.
Adorno, S. 99.
36Nicht
zuletzt aufgrund des hohen Anteils von Emotion an Kognition ist dies
wichtig, wie neuere Forschungen zeigen. Vgl. hierzu exemplarisch:
Von Scheve, Christian: Emotionen und soziale Strukturen. Die
affektiven Grundlagen sozialer Ordnung, Frankfurt am Main 2009.
37Mill,
Repräsentativ-Regierung, S. 8.
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