Dienstag, 18. Februar 2014

Flüchtige Momentaufnahmen, Provokationen und Gedankenspiele II

hier einige weitere kurze Gedankenspiele, Provokationen, Sprüche, Polemiken, usw.


Welt und Wirklichkeit(en)

Eine gewaltlose Gesellschaft ist ein Irrglaube, eine intellektuelle Pathologie. Die Postulierung einer solchen basiert immer auf einem reduktionistischen, verschleiernden, infantilen und konstruiertem Gewaltbegriff, der bestimmte Formen herauskategorisiert und andere positiv gewendet kultiviert. Selbst das Ideal einer gewaltlosen Gesellschaft, selbst eine Ethik der Gewaltfreiheit bleibt im Grunde gewalttätig. Durch Erziehung, deren umfassendere Form die Sozialisation und sanktionierende und sanktionierbare Hierarchisierungen der Welt zu Wirklichkeit setzt sie sich als Grundstein eine solche Wirklichkeit als hegemoniale, die andere Wirklichkeiten vernichten wird. Jeder Wirklichkeit wohnt das Moment der Gewalt inne, eine Exklusivität, eine Reduktion, die nahezu immer zur wahren Natur erhoben wird. Gewalt ist dem Leben letztlich inhärent. Die Frage ist demnach nicht, ob Gewalt schlecht ist, sondern wie und in welcher Form sie gebraucht werden sollte und zu welchem Ziel. Letzteres sollte die Schaffung einer für alle emotionale Wesen erträglichen Wirklichkeit sein und auch diese wird ihre Grenzen mit Worten und Waffen, mit Erziehung, Bildung, Sozialisation, kukturellen Sinnstiftungen, Therapien, rechtlichen und sozialen Sanktionen, kurz mit einer ganzen Reihe an gewalttätigen und durch Gewaltmomente gestützten Prozessen verteidigen.

Die Wahrnehmung einer Person hängt maßgeblich von unseren Begriffen und Kategorien ab. Diese verändern sich spätestens wenn wir der Person einen neuen emotionalen Wert zuschreiben, sie also kennen und in Bezug auf sie fühlen lernen. Dies zeigt den Wert den Gefühle und Emotionen zur Veränderung von Selbst und Welt haben, der diese noch vor die Kognition stellt. Denn erst die Gefühle schaffen den Unterschied der Kategorien und Begriffe entstehen lässt. Ob wohlwollende oder feindliche kann dabei zumindest begrenzt von uns selbst entschieden werden.


Jedes Wort wählt aus. Jedes Wort schafft im Auswählen Wirklichkeit. In der Schaffung dieser Wirklichkeit tötet es letztlich all jenes, das ausgegrenzt, abgewählt wird. Jedes Sprechen erschafft die Welt. Die Wiederholung heisst Macht, Struktur, Formung. Wir sollten mit Bedacht sprechen.

Es gibt keinen Vorzug der Tat vor dem Wort. Worte sind Taten, Worte sind Waffen, Worte sind Gift und Medizin, Worte schaffen, verändern und zerstören Welt und Wirklichkeit. Worte erschaffen, Worte zerstören und Worte tun dies immer zugleich.

Wir müssen eine Welt schaffen in der das Denken wieder Wert hat. Eine Welt in der das denkende Individuum eine Wertigkeit abseits seines verkollektivierten Seins zum Ziele kapitalistischer Produktion als höchstem gesellschaftlichem und politischem Gut mit seiner eingeschränkten Produktivitätsbegrifflichkeit bekommen kann. Nur so überwinden wir die anmaßenden Obszönitäten von Kapitalismus und quantitativer Demokratie. Dass ein solcher Wert für jene eine Gefahr darstellt, zeigt sich in der wissensbulimischen Verschulung der Universität, die diese als letzten Hort der Wertschätzung des Denkens zu vernichten trachtet und die somit die kaputalistische Produktionsethik in die universitäre Bildung im letzten Gefecht einschreiben will. Unser Denken, Fühlen und Handeln, unser ganzer Wille und unsere ganze Kraft sollte dies zu verhindern trachten.

Warum werden Menschen verrückt? Weil die Welt den Wahsinn kultiviert. Das wir überhaupt so etwas wie "geistige Gesundheit" bei der Masse an täglich gesellschaftlich produzierten Paradoxien konstruieren können, ist wohl eines der größten Wunder die der bewußte Geist hervorgebracht hat.

Eine Gesellschaft, die materiellen Besitz als eine der wichtigsten Grundlagen für Anerkennung und Status konstruiert, das Bedürfnis nach diesem mittels Werbung körperlich durch Emotionen verankert, indem sie nicht das Produkt anpreist, sondern dessen als wertig erachteten Verheißungen (Glück, Frauen, Zugehörigkeit), eine Gesellschaft, deren Wirtschaftssystem letztlich nicht ohne dieses permanente Bestreben existieren kann, provoziert zwangsläufig den Diebstahl als Aneignungsform, die sie freilich kriminalisieren muss. Eine solche Gesellschaft schafft Individuen, die emotional zur Erreichung von Anerkennung, Status und Zugehörigkeit, ja selbst von Glück an diese Produkte und deren Verheißung gebunden sind. Sie erhält dieses Streben aufrecht, indem sie Ressourcen ungleich verteilt und durch ihr soziales System Chancen verwehrt. Nicht zuletzt sichert die Kriminalisierung das System und spricht allein dem "Täter" die Schuld zu.
Doch selbst wenn der Täter "schuldig" ist, so ist doch die Gesellschaft verantwortlich. Dies gilt umso mehr, als dass jede konkurrierende Wirklichkeit, jede "Subkultur" zur Bedrohung wird, da sie das Wertesystem auf dem alles fußt, in Frage stellt.

Dass wir alle die gleichen Chancen hätten und mit Arbeit jeder zu Reichtum gelangen könne, sind zwei der größten und fundamentalsten Lügen des Systems. Mit diesen wird sowohl das Wertesystem, in welchem materieller Besitz Wohlstand, Anerkennung, Glück und Status bedeuten, reproduziert, die kapitalistische Maschinerie am Leben erhalten und das System legitimiert, als auch in Verbindung mit der Idee des objektivierenden Struktufunktionalismus die Schuld die wir an dieser Reproduktion haben, negiert. Weder sind diese materiellen Bedürfnis der Kultur vorgängig, noch gibt es annähernd gleiche Chancen. Ohne Armut die wir alle stützen gibt es keinen Reichtum...

Natur ist ein kulturelles Konstrukt. So wenig wie wir Zugang zu einer Realität außerhalb unserer Erfahrungen haben, so wenig haben wir Zugang zu einer Natur die außerhalb unserer kulturellen Deutungssysteme liegt. Jedoch ist Natur zur höchsten Instanz der Rechtfertigung geworden, die ihre soziale Konstruktion mahezu völlig verschleiert. Das macht sie so mächtig wie gefährlich.

Ein Unternehmen, welches bereits in seiner Stellenausschreibung Loayalität einfordert, sollte mit Argusaugen und Argwohn betrachtet werden. Loyalität kann verdient werden aber nicht bereits a priori eingefordert sein. Wird es das, so sollte Misstrauen die Antwort sein. Nur Religionen, Dogmen und die alltägliche Lebenswelt als Quasi-Religion fordern ein solches A priori. Dem kritischen Denken muss dies supekt sein.

Kultur ist das Geflecht des Bedeutungsnetzwerks unserer Lebenswelt und dessen (Re)Produktion, das unhinterfragt Gegebene, wie das Halbbewusste, dass leiblich verankert, Sinn, Bedeutung und Handlungsgründe bereit stellt. Die Reduktion des Begriffs auf "Kunst" zeigt die gewünschte Haltung gegenüber Kultur an, sie soll als "Hochkultur" rezipiert, in der "Allgemeinkultur" aber unbeachtet und einstudiert bleiben. Kultur ist weit mehr als Kunst. Das Treffen einer Gruppe Bauarbeiter zur Mittagspause am Pommesstand ist ein hoch komplexer kultureller Vorgang, den es nicht nur zu rezipieren oder als fraglos Gegebenes lebensweltlich zu verstehen gelten muss, sondern zu erklären, zu hinterfragen, um uns so selbst besser zu verstehen und verändern zu können.

Wirkliche Bildung, verstanden als die Befähigung und Herausbildung zum (selbst)kritischen Denken, ist der Todfeind unseres Systems, welches wir beständig in unserem Denken und Handeln bis hinein in die rudimentärsten und alltäglichsten Routinen reproduzieren. Im offiziellen Bildungsbegriff, der in einer öbszönen Reduktion und Fetichisierung auf instrumentell-technisches Wissen, besteht, zeigt sich dies deutlich. Demgegenüber müssen die Worte John Stuart Mills zum Bollwerk der Universität gegen die Vereinnahmung durch systemreproduzierende Reformen werden: „Sie glauben, daß die Universität die Jugend für eine erfolgreiche Laufbahn in der Gesellschaft vorzubereiten hat; ich glaube, daß ihre einzige Aufgabe die ist, ihr den männlichen Charakter zu geben, der es ihr möglich machen soll, den Einflüssen der Gesellschaft zu widerstehen.“

Realität im Sinne einer "objektiven und uns zugänglichen Wahrheit" existiert nicht. Alles was wir stattdessen haben, ist ein milchiger Schleier gleich einem unbeschriebenen Blatt, auf dem wir etwas zu entdecken glauben, das uns bedeutungsvoll erscheint. Hieraus bauen wir uns in wechselseitiger Versicherung unsere Wirklichkeiten an die wir uns klammern um dem Chaos der Welt ohne Sinn und Orientierung zu entkommen. Realität als eben jene "erfassbare Wahrheit" ist eine Erfindung, die unsere Wirklichkeit vor Willkür und Chaos schützen soll, indem sie die Illusion errichtet, unsere Wirklichkeit, unsere Konstruktionen, unsere Perspektiven könnten in Übereinstimmung zur "Wahrheit" eine "natürliche" normative Kraft entfalten. Nur dadurch meinen wir, um unsere Wirklichkeit bis aufs Blut kämpfen zu können und zu müssen. Wie die Realität selbst, ist auch dies nur ein trügerischer Schein, es ist nicht mehr als das agressiv-angstvolle und nach Sicherheit strebende Zurückkriechen in den mütterlichen Schoß der Gemeinschaft, die uns immer wieder im Glauben an die "Wahrheit" wieg.

Kunst

Zerschlagt die Wirklichkeit; mit Worten, Bildern, Taten vernichtet Sie!" Das muss das oberste Credo revolutionärer Kunst sein. In der herrschenden Wirklichkeit, die sich als fraglos Gegebens zeigt und ihren willkürlichen Charakter verschweigt, sind wir in endloser Reproduktion gefangen, in all ihren Ordnungen, Werten und Hierarchien. Die sich als Norm setzende Wirklichkeitskonstruktion ist damit die Grundlage des leidproduzierenden Systems, dass es zu überwinden gilt. Zerschlagt die Wirklichkeit und setzt ihr eine andere entgegen. Dies ist die überfällige Psychotherapie der Welt. Philosophie und Kunst sind die bittere Medizin und der Vorschlaghammer.

Ich fordere eine wieder-neue Kunst, entsprungen aus einer "negativen Ästhetik", die der hegemonialen Wirklichkeit, welche geprägt ist durch der aus der protestantischen Arbeitsethik entstandenen kapitalistischen Denkweise des produktiven Strebens-Ideals und der darin eingebetteten Glücksethik, der in den als negativ assoziierten Gefühlen Pathologien sieht, die das Individuum zum Ziele des produktiven Strebens bezwingen müssen soll, über eine Ästhetik des Schwermütigen eine andere entgegenstellt. Die Melancholie als kontemplatives, nicht produktiv-strebendes Gefühl muss wieder aufgewertet werden. Diese Ästhetik sieht das Heil nicht in einer Reduktion hin auf eine Konstruktion des Glücklichen als Schönem und Gutem, sondern in der Komplettierung des (Er)Lebens. Ich fordere eine Kunst, die sich dem Kunstgenuss als passivem Erleben verweigert, die prozesshaft, auszugshaft bleibt und die Rezeption als ihr komplettierendes Moment denkt.

Wissenschaft und Welt

Wenn wir die Erkenntnisse der Emotionsforschung ernst nehmen und ich denke, dass sollten wir, wenn wir also bereit sind, zu glauben, dass Emotionen das Denken in bisher kaum geahntem Maße beeinflussen, sollten wir dann nicht vergleichend in verschiedenen emotionalen Zuständen arbeiten? Gehört dann nicht zumindest die Hervorhebung, die Explizierung des zu erforschenden eigenen emotionalen Zustands, freilich mit kritischer Betrachtung der zu dieser Erforschung gebrauchten "Begriffe", zur Grundlage wissenschaftlich-relfexiven Schreibens und Denkens? Ist dies nicht ein weiteres Argument gegen die falsch verstandene Eliminierung des Selbst aus dem Prozess des wissenschaftlichen Arbeitens zur Generierung vermeintlicher Objektivität, die letztlich nur eine Ignorierung des Selbst darstellt, die das Tor ist, die eigentlich zu vermeidende Subjektivität unereflektiert mit offenen Armen hineinzulassen und damit die ihr eigenen Vorannahmen, Schemata und Begriffe? Was könnte uns demgegenüber der emotionale Zustand des Forschenden und Schreibenden sagen? Ich glaube, die Zeit des Dogmas der "Objektivität" muss vorbei sein. Das Selbst soll nicht ignoriert, sondern, entgegen der immer noch vorherrschenden Ignorierung, in den Schreibprozess offen integriert und verhandelt werden.



Sonstiges

Und vor ihm offenbarte sich die Welt in all ihren Facetten. Als der hässlich-schöne Misthaufen mit den Mistkäfern, die unentwegt den Kot ihrer Zivilisation von einem Ende zum anderen rollen, mit den Blumen, die sich lieblich duftend der stinkenden Ödnis die sie ernährt und erstickt emporankend widersetzen. Er wollte lachen und weinen über das immer gleiche Spiel des Gewimmels Ordnung in das Chaos zu bringen, die doch nur neues Chaos gebiert. Das ewig währende blinde Streben faszinierte ihn. Er wollte lachen und weinen aber alles was er konnte war das Spiel stumm und reglos betrachten. Nach Äonen der Betrachtung wandte er sich schließlich ab...

Das Bewahren der Kindlichkeit ist das einzige Bollwerk, zumindest aber ein Refugium gegen die kindische, dunkle und enge Obszönität die der Kerker der Erwachsenenwelt darstellt. Wir sollten sie alle hüten und uns nicht allzu willfährig der hegemonialen Wirklichkeit der Erwartungen jener Welt unterwerfen.

Unsicherheit, auch wenn sie auf der anderen Seite zu übersteigerter Klammerung an vermeintliche Sicherheiten führen kann, ist, entgegen der Geringschätzung als Schwäche in unserer durch Leistungethos geprägten Kultur, das Fundament von Weisheit. Nur aus Unsicherheit kann ein Hinterfragen hegemonialer Wirklichkeiten entstehen. In dieser Kraft liegt auch die Ursache der Geringschätzung. Unsicherheit verweigert die fraglose Reproduktion von Gewissheiten, von fraglos Gegebenem und schafft so Verunsicherung, gegen die das Sicherheitsbedürfnis, das Bedürfnis nach Verbindlichkeiten, wie es sich in der sozial geteilten und verteidigten hegemonialen Wirklichkeit zeigt und erfüllt, aufbegehrt. In der Unsicherheit liegt Gefahr aber sie ist zugleich der Weg zu wahrer Bildung. Unsicherheit fragt, Sicherheit verteidigt.

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