Dienstag, 11. März 2014

Flüchtige Momentaufnahmen, Provokationen und Gedankenspiele III

Was sind Gefühle? Wie können wir sie beschreiben, was können wir von ihnen lernen, was können wir glauben?
Was wir spüren sind körperliche Erregungszustände, die wir anhand der Skala "positiv" und "negativ" einordnen und dann, gemäß des Kontextes und der durch die Gesellschaft bereitgestellten Muster zur Gefühlen formen.
Die Formung wirkt auf das Wahrnehmen zurück und bewertet. Gefühle sind also Muster des Wahrnehmens und Kommunizierens. Und ich höre den Aufschrei, das stumme Aufbegehren gegen solch "konstruktivistisches Hexenwerk", das "entzaubert", uns der Gewissheiten und unserer Wahrheit beraubt, uns einengt, uns nur als geformte Produkte zurücklässt.
Aber der Konstruktivismus ist mehr, er ist der Weg in eine neue Freiheit. Wenn die Erregungszustände und die Konventionen in denen wir sie kanalisieren alles sind, dann können wir uns und die Gesellschaft sich entscheiden. Was soll Hass sein, sollen wir hassen, zürnen, abwerten? Wir haben die Freiheit Gefühle zu bauen. Aus der Enge des Geformten entspringt so die Freiheit des Formens. Nicht eine "Entzauberung" ist das Ergebnis, sondern eine Transformation vom Wunder der "Wahrheit" zum Wunder der "Entscheidung".
Der Konstruktivismus führt uns nicht in ein enges Gefängnis, sondern auf den Berg, auf dem wir, das Tal endlich überschauend, uns neu entwerfen können, in der das Schaffen, das Denken und letztlich auch die Moral ihre Geltung erhalten.

Toleranz ist ein Dogma, ein Idol, ein Götze unserer Zeit und Welt.
Toleranz ist zu etwas "Heiligem" im Durkheimschen Sinne geworden, gemacht worden.
Als solcherart "Heiliges" stellt es einen zentralen Wert dar, auf den hin uns die Gesellschaft einschwört.
Betrachtet man jedoch diesen Wert genauer, so unterscheidet er sich nicht von all den anderen, im Kern leeren, willkürlich füllbaren und gefüllten Wertkonstruktionen, die zur Identitätsbildung und als politische Kampfbegriffe dienen.
Jeder beansprucht ihn als einen Begriff, seinen Wert, den er spezifisch füllt, den er seiner Wirklichkeit, seiner spezifischen uznd exklusiven Wirklichkeit einverleibt. Auch Toleranz ist somit ein mit spezifischen Ausgrenzungsbemühungen ausgestatteter Hohlwert, der unterschiedliche Inhalte aufweisen kann, als etwas "Heiliges" sich aber als unangreifbar setzt, als Zwangsidentität, als Teil des "Guten, Wahren, Schönen".
Dabei birgt auch und gerade dieser sein Gegenteil, das "Häßliche, Falsche, Schlechte" in sich. Toleranz ist auch ein Begriff der Intoleranz.
Das zu Ertragende ist begrenzt und muss es auch, entgegen der unreflektierten Beteuerung seiner Reinheit und Heiligkeit, auch sein. Dies erkennend zeigt sich, dass alle gängigen Toleranzbegriffe keine qualitativen, sondern allenfalls quantitative Unterschiede aufweisen, nur Verschiebungen des als zu ertragen konstruierten.
Ein qualitativer Unterschied kann erst beginnen, wo dies erkannt wird.
Nicht die Worthülse Toleranz als Kampfbegriff zur Hervorhebung der Superiorität der eigenen Wirklichkeit oder zur Denunziation anderer, inferiorer Wirklichkeiten, gilt es zu stärken, sondern offen und bewusst eine Füllung, die eine größtmögliche Erträglichkeit für alle garantiert, eine Wirklichkeit also, die bewusst auswählt und in der der Götze der Toleranz zum Werkzeug wird, zum Mittel und nicht zum inhaltsleeren oder vermeintlichen idealen Heiligen degeneriert.
Statt das Ertragen der eigenen, unreflektierten Wirklichkeitskonstruktion zu fordern, gilt es, die Wirklichkeiten kritisch zu prüfen, jede einzelne. Nicht Toleranz ist das Heilige, sondern eine erträgliche Wirklichkeit zu schaffen.

Die Wahrheit zu töten, heisst nicht, den Menschen ins Chaos zu stürzen. Es heisst, den Menschen hin zu einer größeren Handlungsfreiheit, zu einem freieren Denken zu begleiten. Es heisst, ihn vom sozialen Zwang der vermeintlichen Natürlichkeit allen Seins seiner Welt zu befreien. Das ist die Gabe und das Vermächtnis konstruktivistischer Philosophie und Kunst.

Immer noch ist eine Form aristotelischer Rhetorik vorherrschend, in der Politik, den Medien und selbst der Populärwissenschaft. Es ist eine Rhetorik der "allgemeinen Wahrscheinlichkeit", die das Motto stellt. Nicht das "Wahre, Gute und Schöne" ist ihr Zweck, sondern jenes, welches die Masse für möglich, denkbar, annehmbar hält. In diesem Sinn werden ihre Diskurse durch den Konservatismus der Massen bestimmt. Sie ist schmeichelnd, anbiedernd, gewinnsüchtig und reproduziert lediglich bereits Gegebenes. Sie ist die Krankheit der Demokratie wie wir sie leben. Eine Ablehnung dieser Rhetorik bedeutet jedoch nicht, Erkenntnis und Moral nicht angemessen zu kommunizieren, sie bedeutet, den Zweck hin zu eben jenem "Guten, Wahren, Schönen" zu verschieben, zu einer Rhetorik der Gerechtigkeit und nicht des gewinnsuchenden Schmeichelns, hin zu einer Rhetorik, die sich in ihren Inhalten nicht dem Gusto und unreflektiertem vermeintlichem Willen der Massen prostituiert, kurz, eine Rhetorik didaktischer Epistokratie anstelle statt kapitaldemokratischer Demagogie...

"Mann" und "Frau" existieren, wie alle sozialen Kategorisierungen, nur als eben solche Konstrukte deren Aufgabe es ist, die vorgefundene Welt notwendig zu strukturieren. Sie sind damit willkürlich, dem Sozialen nicht vorgängig, sondern Produkte dessen. Diese Sicht leugnet nicht, dass es innerhalb des Diskurses "Biologie" Unterschiede gibt. Diese Sicht beachtet jedoch, dass die Zuschreibung von sozialen Rollen und Bedeutungen aufgrund dieses Wahrnehmungsfokus, ja selbst die Wahrnehmung derselben, "willkürlich" genannt werden muss. Ebenso denkbar wäre grundsätzlich eine Wahrnehmung und Bedeutungsbelegung aufgrund der Körpergröße anhand von Kategorien wie jenen "über 1,90m groß" und "unter 1,90m groß", bei denen erstere als "superior" und letztere als "inferior" gekennzeichnet wird und an welche sich soziale Rollen anschließen, die ebenso scheinbar auf "Natürlichkeit" verweisen. Beide Varianten, das Geschlecht wie auch die Größe, lassen sich ebenso in einen jeweiligen, sie legitimierenden Diskurs überführen und beide bleiben letztlich konstruiert, entsprungen dem Bedürfnis nach Ordnung und Sicherheit, nach Gewissheit und Handlungsfähigkeit.

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