Sonntag, 7. Juni 2015

Flüchtige Momentaufnahmen, Provokationen und Gedankenspiele IX

Die Forderung "Wissenschaft" habe sich "allgemeinverständlich", was immer nur heisst "so dass ich es gerade jetzt verstehe" und damit eine egozentrische Reduktion darstellt, auszudrücken, ist ein zweischneidiges Schwert, das das Wesen des je unterschiedlichen Sprechens gefahrvoll übersieht. So sinnvoll diese Forderung zum Ziele eines Höheren ist, so problematisch ist sie. Das Wesen der Alltagssprache ist die notwendige Reduktion, die Vereinfachung der Welt. Das Wesen des wissenschaftlichen Sprechens ist die Erfassung der Welt in ihrer Komplexität. Wo immer wir daher eine Vereinfachung ausserhalb des erwähnten Zwecks vornehmen, werden wir immer in die Gefahr je spezifischer Ismen blicken müssen, die in der die jeweilige Wirklichkeit beschreibend schaffenden Sprache angelegt sind. Eine alltagsweltliche Vereinfachung zur Wahrnehmungs- und Handlungsoptimierung der Sprache ist damit mitursächlich für Rassismus, Sexismus und Speziesismus.

Wer glaubt, dass "wir" in einer grundsätzlich freiheitlichen, pluralistischen und offenen Gesellschaft leben, der irrt eben so grundsätzlich.
Offenheit und Pluralismus, die Zulassung alternativer Wirklichkeiten, gelten nur so lange, wie sich diese alternativen Wirklichkeiten auf ästhetische Fragen einengen lassen, sie nicht das "Heilige" der Gesellschaft oder das System infrage stellen. Wo immer dieses "Andere" darüber hinaus geht, greift der Totalitarismus jedweden Systems. Es greift die Folter, verstanden als als Zwang empfundene, durch emotionales Leid begleitete, gewaltsame Forderungen nach Konformismus, wie sie sich versteckt in jedweder Sozialisation und offen abscheulich im Strafsystem finden lassen.
Pluralismus ist nur da erlaubt, wo er zahnlos, bedeutungslos bleibt und nur der Idealisierung des Systems als vermeintlich pluralistisch und freiheitlich dient.
Mit anderen Worten darf zwar jeder entscheiden welche Musikrichtung er hört, so lang diese nicht das System gefährdet aber zu entscheiden, ob eine Handlung einer Behörde der eigenen Würde widerspricht, darf nur so weit behauptet werden, wie davon eine allgemein anerkannte Würde, derer wir alle teilhaben dürfen und müssen, betroffen scheint.
Ein wirklich gerechtes System, welches zwar notwendig seine Grenzen des Pluralismus finden muss, muss als solches zugleich den Spagat zwischen einem wirklichen Pluralismus als Patchwork der Minderheiten im Sinne Lyotards und gleichzeitigem Universalismus dessen Grundlage nur eine ethische Methode sein kann, wagen.
Nur eine Gesellschaft, die beständig offen gegenüber allen Wirklichkeiten ist, deren hegemoniale Wirklichkeit als immer prima facie gefasst wird, die beständig und immer von jedem hinterfragbar sein muss, kann überhaupt daran denken, dies nur im Ansatz leisten zu können. Und nur ein solches System kann aus ethischer Sicht legitim sein.

Eine diskriminierungs- und gewaltfreie Sprache existiert nicht auch wenn die Alltagsnaivität auf der Suche nach ihr sein kann. Es ist die Funktion von Sprache zu diskriminieren. Sie soll Unterschiede durch Benennung generieren, als solche bewerten und so die Welt wertend ordnen. Für jeden Unterschied fällt eine Gemeinsamkeit und umgekehrt. Jedes Wort wählt aus und erzeugt in der Auswahl wechselseitig zur Wahrnehmung eine spezifische Wirklichkeit die sich wie jede in einem sprachlichen Gewaltakt und durch soziale Prozesse hegemonial setzt. Dies heisst jedoch nicht jedes Sprechen gut. Es verschiebt nur den Fokus vom Glauben einer solch freien Sprache hin zur Suche nach spezifischen und beständig kritisch zu begründenden wertenden Unterschiede.

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