Dürfen
wir Tiere essen?
Eine
Frage wie diese zu beantworten, so einfach es auf den ersten Blick
auch erscheinen mag, ist schwierig. Zu untersuchen warum sie so
schwierig ist, bringt uns aber, so denke ich, ihrer Beantwortung oder
besser der Möglichkeit dazu näher.
Die
erste Schwierigkeit ergibt sich aus der Nähe des Fragenden zur
Frage. So wird kaum jemand je über die Todesstrafe konkreter
Personen entscheiden müssen, während die vorliegenden Frage
untrennbar mit eigenen Handlungen und der Frage nach eigener
moralischer Schuld verbunden ist. Dies führt schnell zu affektiven,
vor allem abwehrenden Reaktionen (Vgl. von Scheve 2009, insb. S.
313ff; Landweer 1999, S. 178). Verdrängen und Vergessen sind
Überlebensstrategien des (positiven) Selbst(bildes).
Die
nächste Schwierigkeit besteht in der vermeintlich natürlichen aber
konstruierten und einer bestimmten historischen Entwicklung und
Weltdeutung geschuldeten Ferne des Fragenden zum fraglichen „Objekt“.
Bereits die Frage impliziert eine Kluft, ein „Wir“, dem ein
„Anderes“ gegenüber steht, ein Trennendes wird vorausgesetzt und
auf dieses fokussiert. Dabei werden zunächst rein deskriptive
Eigenschaften (meist Äußerlichkeiten, der Körper, die Form) über
die die Zuteilung in entsprechende Kategorien ausgeführt wird, als
„anders“ und in diesem Sinne eben nicht „besonders“
konzeptionalisiert, verallgemeinert und normativ aufgeladen. Zu einer
bestimmten, einer anderen Kategorie zu gehören reicht aus, um auf
bestimmte Weise behandelt zu werden. Solche Kategorien werden zur
zirkulären Begründung des moralischen Status, sie strukturieren die
Wahrnehmung, bestimmen den Diskurs und bestätigen die Vorannahmen,
indem sie den zu beweisenden Unterschied (sprachlich) produzieren.
Sie werden durch Denken und Handeln weiter tradiert und durch ihre
fortwährende Erzählung zum legitimierenden Mythos, der aufgrund der
Undurchsichtigkeit seiner Entstehung, seiner sozialen Teilung und
folglich emotionalen Bindung als natürlich gegebene Autorität im
Alltagsverständnis missverstanden wird (Lyotard 1990).
Folglich
findet die Debatte nicht in einem „leeren Raum“ der Kontemplation
statt, sondern in einer Welt, in der die Frage praktisch beantwortet
scheint. Die Handlungsaufforderungen sind bereits formuliert.
Dies
kritisch zu hinterfragen bedeutet damit auch ein Austreten aus der
sozialen (und emotionalen) Sicherheit des Konformismus. Die
Gewissheiten der sozialen Gruppe, ihre kollektive Identität und die
Anerkennung durch diese sind gefährdet und dies wird nicht selten
sanktioniert.
Allerdings
sind solche Routinen nicht allein negativ zu verstehen. Sie
reduzieren Komplexität, bedeuten Stabilität und ermöglichen
Handlungsfähigkeit in der alltäglichen Lebenswelt. Aber sie müssen
beständig hinterfragt und neuen Erkenntnissen angepasst werden. So
sinnvoll ihre Einfachheit ist, so gefährlich ist sie.
Die
Frage zu beantworten, sich bereits mit ihr zu beschäftigen, ist
damit auch ein Stück des Weges zum mündigen Selbst, im Zuge dessen
Wahrnehmungsschemata hinterfragt, das Seiende auf sein Gewordensein
hin untersucht und seine Normativität in Frage gestellt wird. In
diesem Sinne kann zumindest die leicht umformulierte Frage: Sollten
wir Tiere essen, ohne die Frage kritisch betrachtet zu haben, mit
„nein“ beantwortet werden.
Eine
Analyse der Frage, ihrer Vorbedingungen, sowie der eigenen muss am
Anfang philosophischer Betrachtung stehen. Es gilt den Blick zu
klären, die Wahrnehmung (und den Diskurs) von der Einengung durch
vorangehende Vorstellungen und Machtkonstellationen zu befreien, denn
nur mit einem ungetrübtem Blick kann der Frage schließlich
vor-urteilsfrei nachgegangen werden.1
Ein
großer Schritt Richtung Beantwortung besteht damit darin zu schauen,
ob die intuitiven Urteile des Alltagshandelns auf solchen Vorurteilen
beruhen, bzw., ob sie eine zentrale Eigenart moralischer Urteile
besitzen. Diese ist nach Hare, die Universalisierbarkeit moralischer
Urteile, also die Verbindlichkeit des Urteils in allen ausreichend
ähnlichen Sachverhalten. Unterschiede im Urteil müssen moralisch
relevante(!) Unterschiede in der Situation sein, also solche, denen
eine Relevanz für die Situation nachgewiesen wird, die nicht von
vornherein zugeschrieben ist, bzw. nicht auf einer Voreingenommenheit
beruhen (Hare, Präskriptivismus, 1992). Anders formuliert handelt es
sich hierbei um den Gerechtigkeitsanspruch der Ethik.2
Damit
ist zu fragen, ob die postulierten Unterschiede überhaupt existieren
oder für die Frage relevant sein können.
So ist
auch die Hautfarbe, die eine Zeit lang als Unterschied galt, bzw.
verallgemeinernd auf einen solchen verwies, grundsätzlich kein
moralisch relevantes Merkmal, wenn es um die Frage nach
Verteilungsgerechtigkeit geht. Die Hautfarbe als deskriptives Merkmal
macht eben keinen begründbaren Unterschied im Gegensatz zum Reichtum
einer Person, da sich dieser z.B. direkt auf die Folgen auswirkt.
Philosophische
Annäherungen benutzen nicht selten Vergleiche oder Analogien zur
Annäherung und Verdeutlichung. In diesem Fall ist dies besonders
heikel, da die häufig benutzten Analogien die erwähnten
Schutzmechanismen und Entrüstung hervorrufen und somit oberflächlich
allzu leicht das zu Verdeutlichende ablehnen lassen. Nichtsdestotrotz
soll auch hier derart vorgegangen werden, da man sich nun, gewappnet
mit dem Wissen um die angesprochenen Prozesse, gefahrloser eines
solchen bedienen kann.
Die
Frage, die ich stellen möchte ist: Würden Sie einen Menschen essen?
Ich hoffe die Antwort lautet „nein“, um meine Betrachtung zu Ende
führen zu können. Zumindest wäre das zu erwarten. Soweit, so
deskriptiv. Wichtiger ist nun die Frage, warum nicht?
Was
könnte der moralische Grund sein, keine Menschen zu essen, der aber
mit Blick auf die eigentliche Frage, auf Tiere nicht anwendbar ist
und dabei nicht zirkulär auf die konstruierten Kategorien als
Begründung verweist?
Für
einen von vornherein möglichst großen Unterschied könnte
(moralische) Reziprozität angeführt werden. Da nur Menschen fähig
seien moralische Rechte anderer zu berücksichtigen, besteht auch nur
diesen gegenüber eine Verpflichtung.
Aufgrund des impliziten Konsens, das Menschen zu essen (moralisch)
falsch sei, wird es unterlassen. Solche Begründungen
entspringen vertragstheoretischen oder diskursethischen Überlegungen,
von denen letztere hier betrachtet werden sollen.3
Erstere hingegen wurden jüngst durch Nussbaum deklassiert (Nussbaum
2010).
Die
Grundlage diskursiver Ethik, die Teilnahme aller betroffenen und
sprach- und handlungsfähigen Subjekte (meist als Personen
kategorisiert), führt nun zu einigen Problemen. Diese ergeben sich
aus zwei oberflächlichen Gleichsetzungen. Die erste umfasst die
Begriffe „Mensch“ und „diskursfähig“. Dabei ergeben sich
unterschiedliche Konsequenzen, je nachdem, was als Grundlage der
Diskursfähigkeit vorhanden sein muss. Ist dies Sprachfähigkeit im
Sinne der Fähigkeit sich mittels menschlicher Zeichensysteme
auszudrücken (was bereits zu kritisieren wäre) müsste eine
Erweiterung vorgenommen werden, die auch Affen, die sich mit
Zeichensprache verständigen können, in den Diskurs aufnimmt und
Menschen mit bestimmten Beeinträchtigungen ausschließt.
Einige
Menschen sind genauso wenig sprach- und handlungsfähig wie viele
Tiere, bzw. einige Tiere sind genauso sprach- und handlungsfähig
wie viele Menschen.
Allerdings
bemerkt selbst Habermas, dass Kommunikation mehr als Sprache umfasst
(Habermas 1991, S. 223). Für abstrakte Diskussionen um moralische
Normen ist eine abstrakte Sprache zwar unablässig, für die im
Diskurs zu äußernde Forderung nach Anerkennung und der
„Formulierung“ von Interessen jedoch nicht. Nonverbale
Kommunikation ist weitaus umfangreicher und universaler (man denke
nur an den Bereich der Emotionsexpressionen, die wichtiger Teil der
Bedürfniskommunikation sind).
Weiterhin
wird der Diskurs auch nicht von allen im engeren Sinne
„Sprachfähigen“ geführt. Der Zwang des besten Arguments
diskursiver Ethik führt dazu, dass die moralischen Regeln von
Wenigen bestimmt werden, da mehr als Sprache für „vernünftige“
Argumente nötig ist (Habermas 1991, S. 154). Ein Mindestmaß an
Reflektions- und Abstraktionsvermögen, sowie Intelligenzformen sind
nötig, um sinnvoll am Begründungsdiskurs teilzunehmen. Oder anders:
nur Wesen, die innerhalb der moralischen und kognitiven Entwicklung
weit genug sind, (hier sei auf die Diskussion zur stufenweise
Ontogenese der Moral verwiesen), nehmen aktiv am Diskurs teil.4
Nicht
alle Menschen sind also Teil des Diskurses und noch weniger nehmen
über die bloße Formulierung ihrer Interessen hinaus Anteil.
Die
zweite Gleichsetzung besteht nun darin, auch die Menge der
Diskursteilnehmer mit jener der Betroffenen gleichzusetzen. Dies ist
offensichtlich falsch, da nicht alle Betroffenen am Diskurs
teilnehmen. Habermas selbst schreibt: „Der praktische Diskurs
erfordert die Einbeziehung aller jeweils berührten Interessen [...]“
(Habermas, 1991, S. 25) Wenn nun aber alle betroffenen Interessen
einbezogen werden sollen, dann auch die Interessen und Bedürfnisse
von Nichtdiskursteilnehmern. (Vgl. Habermas 1991, S. 42f) Eine
Variante dies zu beheben ist die Übernahme der Verantwortung durch
Vertreter (moralische Advokaten) wie sie Weisshaupt vorsieht (Vgl.
Weisshaupt 1991, S. 81) Allerdings ist eine Ausdehnung auch auf Tiere
möglich, denn auch diese haben den Status von Betroffenen.
Es ist
also nicht möglich Reziprozität als moralisch relevantes Merkmal
aufzufassen, dass als Grund gelten kann, das Nichtessensollen von
Menschen und das Essendürfen von Tieren zu begründen. Ein weiteres
Kriterium muss her.
Als
solches könnte Potentialität oder aber das, was als normale
Eigenschaften der Spezies bezeichnet werden kann, gelten.
Auch
ersteres hilft aber wieder nicht weiter, denn einige Menschen sind
auch nicht potentiell zur Reziprozität fähig, z.B. bei bestimmten
geistigen Beeinträchtigungen.
Zudem
wird bei beidem übersehen, dass bei der Beurteilung gerade die
gegenwärtige Lage entscheidend ist. Einem Rollstuhlfahrer ist wenig
mit dem Verweis geholfen, er wäre potentiell fähig zu laufen oder
es gehöre zur normalen Ausstattung seiner Spezies laufen zu können.
Er kann es nicht und dies ist der Grund warum die Gesellschaft den
Bau von Rollstühlen und Rampen befürwortet, weil seine momentane
Situation ihm anders eine Teilhabe nicht gestattet, weil sie nicht
durch „Normalität“ (ohnehin zu kritisieren) im erwähnten Sinne
geprägt ist.5
Es
funktioniert also nicht Berücksichtigung der Interessen und des
Wohls für Säuglinge einzufordern, weil sie einmal Erwachsene sein
werden, für Demente, weil sie dies einmal waren und für schwer
geistig Behinderte, weil sie es in einem Paralleluniversum nicht sein
müssten. Ihre Beachtung wird aus ihrer gegenwärtigen Perspektive
heraus mit Blick auf ihre jeweiligen Bedürfnisse gefordert.
Ein
anderer Grund Menschen nicht zu essen (Tiere aber schon) könnte nun
der Verweis auf die Nähe sein, bzw. eine innerspeziesale
Verbundenheit.
So
nimmt beispielsweise Norbert Hoerster eine natürliche
Mindestverbundenheit der menschlichen Spezies zueinander an, die
stärker als zu Tieren ist (Vgl. Hoerster 2004, S. 53f).
Allerdings
ist diese empirisch nicht umfassend nachweisbar, um als quasi
natürliche Autorität herhalten zu können.
So ist
empfindet ein Rassist oder Sklavenhalter beispielsweise nicht
unbedingt ein stärkeres Mitleid zu einer andersrassigen Frau denn zu
einem Tier. Die „Natur“ des Rassismus kann bewirken, dass dem
Rassisten das Leben und Wohlergehen seines Hundes wertvoller ist, als
das von Andersrassigen. Grundlage für eine solche Verbundenheit wäre
eine positive emotionale Bindung, bei der es sich jedoch um je
spezifische, (sub-)kulturell konstruierte Emotionsnormen statt um
natürliche Gegebenheiten handelt.
Sozialität
und emotionale Bindungen kommen empirisch inklusiver und exklusiver
vor. Eine Verbundenheit kann sich auf Einzelne, auf Gruppen, schlicht
auf alles beziehen. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass alle
zur Sozialität fähigen Tiere auch über Speziesgrenzen hinaus
instinktive und/oder emotionale Bindungen eingehen können.
Eine
natürliche Verbundenheit gegenüber der eigenen Spezies ist
grundsätzlich also nicht gegeben. Ganz im Gegenteil können
emotionale Bindungen statt an Speziesgrenzen gebunden zu sein, diese
sogar auflösen. Eine Einschränkung bedarf ob ihrer Konstruiertheit
selbst Begründung statt eine zu sein (Vgl. Wolf 2004, S. 114).
Natürlich
hat Hoerster insofern Recht, als es empirisch in der Tat so ist, dass
es eine (in gewissem Maße auch angeeignete) Norm gibt, nach der
Menschen eine besondere (emotionale) Bindung zu sich als Gruppe
aufgrund dieser Zugehörigkeit, die auf bestimmten zugeschriebenen
verallgemeinerten Eigenschaften basiert, haben, die sich der
Spezifika des Einzelnen gegenüber verstellt, bzw. verstellen soll
(zu Gruppen mit ihrer spezifischen Wirklichkeitskonstruktion durch
Emotionen siehe Gerhards 1988, S. 103-110). Gruppen arbeiten mit
Inklusion und Exklusion, es muss ein Außen geben, das sich auch
normativ absetzt. Diese Gruppenidentität und ihre Legitimität muss
allerdings in Frage gestellt werden, um ihre routinierte Bildung zu
verändern und so auch die Normativität neuer Erkenntnis anzupassen.
Diese Erkenntnis und dies ist ein Verdienst Singers Argumentation,
besteht darin, dass die zur Gruppenidentität verallgemeinerten
Fähigkeiten und Eigenschaften (wie die der Empfindungsfähigkeit),
die die Legitimation bilden eben nicht exklusiv sind, wie im Sinne
der Absetzung der Gruppe behaupten wird.
Das
Postulieren einer Verbundenheit der Spezies Mensch untereinander, die
noch dazu ihre Historizität und Entwicklung verschleiert und
fälschlicherweise naturalisiert, zur anthropologischen Konstante
erklärt wird, ist schlicht falsch. Nimmt
man Verbundenheit, emotionale Nähe als Grundlage das Essen von
Menschen zu verhindern, kann dies zur Norm geronnen das zwar leisten,
jedoch fehlen moralisch relevante Kriterien, die dies für alle
Menschen gewähren, Tiere jedoch ausgrenzen. Aufgrund des
Vorkommens spezifischer Vorstellungen von emotionalen Beziehungen in
verschiedenen Gesellschaften kann zudem eine Vielzahl an
Ausgrenzungen gerechtfertigt werden.
Allerdings
kommt die emotionale Nähe dem eigentlichen Kern sehr nah. Sie kann
dazu führen, das Gegenüber als Individuum wahrzunehmen, bzw.
anzuerkennen und es als mit Würde ausgestattet zu verstehen.
Im
Zentrum steht die Anerkennung eines Wesens als Subjekt seiner Selbst,
als Subjekt mit eigenem Wohl, als Individuum das in der Welt
existiert, diese empfindet und mit Empfindungen auf sie reagiert. Die
Fähigkeiten zu Empfindungen, zu Emotionen verschiedener Komplexität,
zu Interessen und Bedürfnissen, nach einem aus der Perspektive des
jeweiligen Wesens guten Leben, sowie das dies bei Missachtung
subjektiv empfundenes Leid verursacht, stellt im Zusammenhang mit dem
Zufügen von Leid und der Tötung als prima facie schlecht6
die Grundlage der Berücksichtigung dar. Es ist weder die
Zuneigung, noch die soziale oder kulturelle Nähe, noch das
persönliche Zugestehen oder Zusprechen von Intelligenzidealen. Dies
sind nur Konstrukte, die oberflächlich gesehen den Menschen oder
Teile der Menschheit in traditionellen Deutungsrahmen ihren Platz
sichern.
Wenn
nun aber die Eigenschaft – ein individuelles Wohl zu haben, das auf
Empfindungs- bzw. Emotionsfähigkeit basiert und das es zu Achten
gilt – den eigentlichen Grund darstellt, Menschen nicht zu essen
und es ist in der Tat das Kriterium das als moralisch relevant gelten
muss, da es die Grundbedingung darstellt, unter deren Annahme die
Frage überhaupt Sinn ergibt, dann können wir auch hier letzten
Endes nicht beim Menschen stehen bleiben.
Denn
das auch eine Reihe nichtmenschlicher Wesen, vor allem jene, die zu
Nahrungszwecken verbraucht werden, als empfindungsfähige, bzw.
emotionsfähige Wesen anzusehen sind, die über komplexe Fähigkeiten
verfügen, die zu Empfindungen von Freude und Leid und somit zu
entsprechenden Dispositionen führen, hat eine Vielzahl an Studien
gezeigt (Vgl. Balcombe 2010, Balluch 2005, Bekoff 2008). Dabei ist
nicht nur die absolute Sicherheit (sofern es eine solche geben kann)
über die Fähigkeiten dieser Tiere entscheidend, sondern bereits
ausreichende Hinweise, wie der Verhaltensforscher Marc Berkoff
treffend begründet:
„Wenn
ich davon ausgehe, dass Tiere subjektive Gefühle von Schmerz, Angst,
Hunger, usw. verspüren und ich damit falsch liege, dann habe ich
niemandem geschadet; doch wenn ich vom Gegenteil ausgehe, Tiere
jedoch tatsächlich solche Gefühle haben, dann öffne ich
grenzenlosen Grausamkeiten damit Tür und Tor...Es muss heißen: Im
Zweifel für die Tiere – wenn denn überhaupt noch irgendwelche
Zweifel bestehen.“ (Bekoff 2008, S. 44)
Diese
Haltung, die in der menschlichen Interaktion bestimmend ist, wird
hiermit lediglich auch auf Tiere ausgedehnt, um eine vorgängige
Ungleichbehandlung auszuschließen.
Nun
können zwar auch emotionale Bindungen und die Zugehörigkeit zu
kategorischen sozialen Verbänden wie Familie oder Gesellschaft
moralisch relevant sein7,
schließlich erfüllen sie gewisse Funktionen. Allerdings betrifft
dies eher positive Pflichten, solche der Fürsorge. So kann ich weit
stärker meinem Kind verpflichtet sein als einem fremden. Ein Mangel
an positiven Pflichten bedeutet keine Aufhebung negativer. Der
moralisch relevante Grund der elementaren negativen Pflichten (des
Unterlassens) kann nur an das Vorhandensein elementarer Bedürfnisse
gekoppelt mit der Fähigkeit der Empfindung sein. Einem Wesen das
leiden kann, darf ich also prima facie kein Leid zufügen. Ob ein
Wesen leiden kann oder nicht, ist demnach das Schlüsselkriterium bei
Fragen, ob ich leidverursachende Praktiken anwenden darf.
Nun
sind zwar (nur theoretisch) Praktiken denkbar, die ohne direktes Leid
töten, ein gern angeführter Einwand, jedoch greifen hier die bisher
ausgeklammerten Einwände im Bereich Gesundheit, Ökologie und
Verteilungsgerechtigkeit. Ebenso muss die Begründung des
menschlichen Entwurfs seiner Selbst in die Zukunft aufgrund der
Empirie fallen. So ist Zukunftsfähigkeit auch bei diversen Tieren
anzunehmen. Weiterhin sind viele der zu Nahrungsmitteln verbrauchten
Tiere soziale Wesen, so dass Leid Dritter entsteht.
Auch
ist zu fragen, welchen Sinn diese Grenze macht. Letztlich ist der
Entwurf des Selbst in der Zukunft ursächlich durch den Wunsch das
Unvermeidbare zu vermeiden geprägt und von einer Betonung der
Gegenwart.
Wenn
von einem säkularen, allein im Diesseits gelegenen Leben auszugehen
ist, so sind sowohl das Selbst, das maßgeblich eine Ansammlung von
Erlebnissen, deren Verarbeitung und entsprechenden Dispositionen ist
(um es sehr zu vereinfachen), als auch dessen Entwurf in der Zukunft
insofern unsinnig, als die Löschung dieser Erinnerung unvermeidbar
ist. Der hinter der Idee stehende Wunsch ist auf die Gegenwart
gerichtet und entspringt einem „Weiterleben-wollen“, das
notwendig die Gegenwart betonen muss, da, um sinngemäß Alatriste im
gleichnamigen Film wiederzugeben, wir in der Zukunft alle tot sind.
Es ist
nun also so, dass die auf das Subjekt bezogene Konzeption des
Zeitbewusstseins wenig Sinn macht, vielmehr ist ihr Kern die aktuelle
Wollensfähigkeit8,
das akute Weiterleben wollen, das auch bei vielen Tieren vorhanden
ist. Dies gilt umso mehr, als das auch völlig in der Gegenwart
existierende, bewusste Lebewesen ein Stück in die Zukunft weisen.
Dieser Umstand wird durch ein falsches Verständnis des Terminus
Gegenwart verschleiert, denn auch diese bezeichnet einen sich in der
Zeit sowohl in Zukunft, als auch Vergangenheit erstreckenden Bereich,
der nicht auf einen Moment reduzierbar ist.
Dürfen
wir nun also Tiere essen? Ein Teil der Antwort muss lauten, dass die
Frage falsch gestellt ist. Sie droht die Antwort durch die implizite
Vorannahme einer anders seienden und zugleich homogenen Gruppe, die
einer weiteren, „besonderen“ Gruppe gegenübersteht zu lenken.
Dies,
sowie das bis hierher Gedachte berücksichtigend, muss der zweite
Teil der Antwort lauten: Viele von Ihnen und dieses „Viele“
schließt vor allem jene ein, die zur Zeit davon betroffen sind,
nicht, sofern wir moralisches Handeln als Grundlage anerkennen.
Literatur:
Balcombe,
Jonathan: Second nature. The inner lives of animals, New York 2010.
Balluch,
Martin: Die Kontinuität von Bewusstsein, Wien 2005.
Bekoff,
Marc: Das Gefühlsleben der Tiere, Ein führender Wissenschaftler
untersucht Freude, Kummer und Empathie bei Tieren, Bernau 2008.
Gerhards,
Jürgen: Soziologie der Emotionen, Weinheim und München, 1988.
Habermas,
Jürgen: Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt am Main 1991.
Hare,
Richard Mervyn: Moralisches Denken: seine Ebene, seine Methode, sein
Witz, Frankfurt am Main 1992.
Hare,
Richard Mervyn: Zur Einführung: Universeller Präskriptivismus, in:
Fehige, Ch, Meggle, G.: Zum moralischen Denken, 2 Bde, Frankfurt am
Main 1992, S. 31-54.
Hoerster,
Norbert: Haben Tiere eine Würde? Grundfragen der Tierethik, München
2004.
Landweer,
Hilge: Scham und Macht. Phänomenologische Untersuchung zur
Sozialität eines Gefühls, Tübingen 1999.
Lyotard,
Jean-Francois: Memorandum über die Legitimität, in: Engelmann,
Peter (Hrsg.): Postmoderne und Dekonstruktion, Stuttgart 1990, S.
54-75.
Nussbaum,
Martha C.: Die Grenzen der Gerechtigkeit, Berlin 2010.
Scheve,
Christian: Emotionen und soziale Strukturen, Frankfurt/Main 2009.
Schwickert,
Eva-Maria: Feminismus und Gerechtigkeit: über eine Ethik von
Verantwortung und
Diskurs,
Berlin 2000.
Singer,
Peter: Praktische Ethik, Stuttgart 1994.
Weisshaupt,
Brigitte: Ethik und die Technologie am Lebendigen, in: Konnertz,
Ursula: Grenzen der Moral. Ansätze feministischer Vernunftkritik,
Tübingen 1991, S. 75-92.
Wolf,
Ursula: Das Tier in der Moral, Frankfurt am Main 2004.
Wolf,
Ursula (Hrsg.): Texte zur Tierethik, Stuttgart 2008.
1Dabei
sollen vorerst Argumente aus den Bereichen Ökologie und
Verteilungsgerechtigkeit ausgeklammert werden, zumal diese sich
vornehmlich auf Quantität des Verbrauchs tierlicher Lebewesen
auswirken.
2Also
der fundamentalen Grundlage vieler Ethiken, die sicherlich eine
Erweiterung um Ebenen der Fürsorge enthalten sollten um sie zu
komplettieren, die diese erste Ebene jedoch unterstützen statt zu
negieren.
3Die
Betrachtung bezieht sich im Folgenden insbesondere auf Habermas.
4Eine
Übersicht und Bearbeitung dazu bietet Schwickert.
5Das
deckt sich auch mit Nussbaums Orientierung an aktuellen
Bedürfnissen.
6Insoweit
Leid von Dritten (moralischen Akteuren) zugefügt wird. Dabei sind
Leid und Tod im Kontext des Lebens zu betrachten, also nie völlig
vermeidbar. Stattdessen sollen bei weitestgehender
Selbstverwirklichung die Anerkennung der gleichen Ansprüche und
Bedürfnisse anderer gewahrt bleiben. Elementares Leid soll trotz
Selbstverwirklichung vermieden werden und möglichst ein insgesamt
positives Leben anderer nicht behindert.
7Dabei
wird hier ausgeklammert, dass dies auch relevant für das Verhältnis
zu Tieren ist. So ergeben sich Unterschiede in der Behandlung zu
Wildtieren (eher negative Pflichten) und zu Tieren in der
menschlichen Gesellschaft (auch positive Pflichten). Menschen und
Tiere bilden letztlich eine multispeziesale Gemeinschaft, die bisher
noch auf Unterdrückung basiert, dies aber nicht länger sollte.
8Die
auch Ursula Wolf als ein Grundbedingung moralischer Berücksichtigung
konzeptionalisiert.
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