Rezension zur Ausstellung „Hieronymus
Bosch: Visions Alive“
Den Kunstgenuss möglichst authentisch gestalten wollen viele und scheitern. Ein wichtiger Grund dafür liegt bereits in der mangelnden Reflektion dessen, was sie denn sei, diese authentische Rezeption. Wie ist eine solche authentische Betrachtung denn zu verstehen? Als die Setzung des Gemäldes an seinem ursprünglichen Ort, als die historisch korrekte Beleuchtung oder als das passende räumliche Ensemble, die Nachbildung des Herums des Kunstobjektes? All diese Antworten übersehen den Kern des Problems, dem sich die multimedialen Ausstellung „Visions Alive“ zum niederländischen Maler Hieronymus Bosch nicht nur stellen kann, sondern vielleicht zum ersten Mal eine brauchbare Lösung anbietet.
Den Kunstgenuss möglichst authentisch gestalten wollen viele und scheitern. Ein wichtiger Grund dafür liegt bereits in der mangelnden Reflektion dessen, was sie denn sei, diese authentische Rezeption. Wie ist eine solche authentische Betrachtung denn zu verstehen? Als die Setzung des Gemäldes an seinem ursprünglichen Ort, als die historisch korrekte Beleuchtung oder als das passende räumliche Ensemble, die Nachbildung des Herums des Kunstobjektes? All diese Antworten übersehen den Kern des Problems, dem sich die multimedialen Ausstellung „Visions Alive“ zum niederländischen Maler Hieronymus Bosch nicht nur stellen kann, sondern vielleicht zum ersten Mal eine brauchbare Lösung anbietet.
Denn die Ausstellung geht gerade nicht
den Weg, die Gemälde in ein historisches Setting zu überführen, es
werden nicht einmal die Originale ausgestellt. Und doch ist alles auf
das Werk abgestimmt. Allein der Ausstellungsort der Alten Münze, zu
erreichen über einen wenig prunkvollen Innenhof bereitet auf den
Bruch des klassischen Kunstgenusses vor. Die Räume der Ausstellung
sind düster, im ersten Raum prangen vor allem die sieben Todsünden
als Worte an der Wand, begleitet durch entsprechende Bibelzitate. Das
eigentliche Highlight aber befindet sich in den folgenden Räumen.
Stehend oder sitzend auf Bänken und Sitzkissen wird der Betrachter
hier im Dunkel umringt von Leinwänden, auf denen Boschs Werk,
untermalt durch eine entsprechende Geräuschkulisse, lebendig wird.
Das Gemälde transformiert zum Kino. Die immersive Kraft, die diese
Multimedialität und Darstellungsweise entfaltet ist enorm, der Sog
hinein in die Gemälde Boschs unwiderruflich und unwiderstehlich.
Statt des Erstarrten des Bildes, befindet sich Teile des Gemäldes im
Fluss, die einzelnen Kreaturen werden lebendig und tanzen ihren
Reigen um den Zuschauer herum.
Damit wird kein historisches Setting
rekonstruiert, das in seiner Authentizität scheitern muss, weil es
die Entwicklung der Sehgewohnheiten ignoriert, die Andersartigkeit
des von multimedialen Angeboten geprägten Besuchers vergisst.
Vielmehr wird das Betrachten dem modernen Sehen angepasst und kann
damit zwar immer noch nicht die historische Rezeption wiedererwecken,
denn das ist niemals möglich aber es wird eine Intensität der
Betrachtung möglich, die als solche viel eher dem historischen
Akteur gerecht werden kann. Zugleich schafft die Ausstellung damit
die Dekonstruktion des klassischen Kunstgenusses, der sich
unreflektiert seiner eigenen Bedingungen verschließt, in dem es
Sehgewohnheiten in ihrer Historizität mittels dieses Erprobens von
Möglichkeiten anzeigt und einem Neuen Tür und Tor öffnet, das
hoffentlich Schule machen wird. Dies wäre wünschenswert, nicht nur,
um eben auch Schüler und viele andere zu erreichen, denen das
vermeintlich leblose Betrachten als Ödnis durch die moderne
Medialität mitgegeben worden ist, sondern generell um eine
Reflektion zu erreichen, die überhaupt erst einem viel zu oft
formulierte, Anspruch von Kultureller Bildung gerecht werden kann, in
dem sie Bedingungen des Sehens, des Wahrnehmens zu thematisieren
vermag.
Bei allem Lob bleibt jedoch Raum für
Kritik. Dazu gehört, dass auch hier der ästhetische Genuss allein
im Vordergrund steht und damit die Kunst als Selbstzweck statt als
Bildung. So kann eine gewissen Historizität von Sehgewohnheiten zwar
erfahren werden, eine dezidierte Beschäftigung damit bleibt im
Rahmen der Ausstellung aber aus. Hier wäre Nachholbedarf. Zugleich
wäre eine Einordnung in die Kultur der Zeit wünschenswert, die über
einen ereignishaften Zeitstrahl hinausgeht, der sich viel zu sehr der
veralteten Formen der „Geschichte der großen weißen Männer“
und retrospektiv „wichtiger“ Ereignisse verhaftet sieht.
Stattdessen wäre gerade bei dieser Thematik ein Blick auf die
Historizität beispielsweise des Fühlens lohnenswert, nicht zuletzt,
weil jene Todsünden zugleich Konzepte des Fühlens
beschreiben.
Trotz dessen kommt dieser Ausstellung mit ihrer Aufarbeitung von Kunst in einer Art und Weise, die Sehgewohnheiten in ihrem Wandel ernst nimmt, eine Vorreiterrolle zu, so dass „Visions Alive“ mit einer gewissen Berechtigung die erste historische Kunstausstellung genannt werden kann.
Trotz dessen kommt dieser Ausstellung mit ihrer Aufarbeitung von Kunst in einer Art und Weise, die Sehgewohnheiten in ihrem Wandel ernst nimmt, eine Vorreiterrolle zu, so dass „Visions Alive“ mit einer gewissen Berechtigung die erste historische Kunstausstellung genannt werden kann.