Samstag, 14. November 2015

Paris am 13.11. und der ganz "normale" Wahnsinn der sozialen Positionierung

Schreckliche Ereignisse in Paris. Wohl über hundert Tote. Neben den vielen Berichten um den Ablauf, die Zahl der Toten und Verletzten, beherrscht eine Frage die Nachrichten: "Kann es hier auch passieren?", also "uns" und nicht den "Anderen", den "Deutschen" und nicht den "Franzosen". Die Antwort ist, es IST bei "uns" passiert, es IST "uns" passiert und nicht in einem politisch zu instrumentalisierenden Sinn von "uns" als "Westen" oder "Europa" sondern "uns" als der Welt, auf der es letztlich beständig geschieht! Es fühlt sich surreal an...distopisch....wirr....unendlich traurig...abscheulich und es wird noch abscheulicher, wenn man an die Schändung der Toten für politische Programmatik und Identitätskonstruktionen in den kommenden Wochen denkt, die bereits jetzt einsetzen und von allerhand anderen sozialen Positionierungen begleitet ist, ganz zu schweigen von der Instrumentalisierung in der Flüchtlingsdebatte.

Daneben stört mich aber ein Punkt besonders, den ich nicht nur deswegen ansprechen will, sondern weil er eine soziale Positionierung enthält, die sich nicht als solche zu begreifen scheint, die sich selbst verschleiert und deswegen genauso gefährlich ist. Was mich stört, ist der Kampf gegen bestimmte Trauerbekundungen inkl. der Abwertung von spezifischen Bewältigungsmechanismen oder anders: Soll man nun für die Opfer beten oder nicht? Ich selbst, als einer jenen, der "Pray for Paris" ebenso sozial geteilt hat, kann mich da freilich rausreden, in einer eloquent-prätentiösen Weise, zu der ich schlicht fähig bin. Ich könnte darauf verweisen, dass ich ein umfassenderes Verständnis von "Gebet" aus dessen allgemeiner Funktion heraus habe, es also nicht als zwangsweise religiöse Handlung im herkömmlichen Sinne sehe, sondern als eine Form eines bewussten tiefen Gedenkens, in dem das eigene Empfinden darüber zum Ausdruck gebracht und akut kanalisiert wird und das diese für "religiöse" wie für "nichtreligiöse" Menschen eine der wenigen akuten Bewältigungsmechanismen ist, die spontan greifbar sind, um das "unfassbare" irgendwie psychisch anzupacken. Ich könnte ebenso erneut darauf hinweisen, dass auch atheistische Weltdeutungen im Kern analog zu Religionen funktionieren. Es sind dabei auch Religionen selbst nicht das vermeintliche Problem, sondern deren Auslegung, übrigens und das ist der Punkt, ebenso wie bei nichtreligiösen Wirklichkeiten und Weltdeutungen, wie z.B. bei auf dem Konstrukt "Biologie" basierenden Abscheulichkeiten wie Sexismus, Rassismus oder Speziesismus. Nicht die Biologie als weltdeutungsangebotsanbietende Disziplin und Referenzbereich ist dabei das Problem, sondern deren spezifische Auslegung.
Demgegenüber liefern religiöse Handlungen, wie erwähnt, psychische Bewältigungsmittel, die die Leute aktuell zur Verfügung haben. Und auch hierbei kommt es auf die Auslegung an! Denn freilich kann der Aufruf zum Gebet wieder eine Trennung konstruieren oder abbilden, mit Hilfe von Religion: "die Christen", zu denen wir in dem Moment alle konstruiert werden, gegen "die Moslems" oder "Terroristen", mit all der Scheisse, die damit zusammenhängt. Deswegen ist es natürlich mehr als wichtig auf dieses Problem hinzuweisen und ich bin froh, dass es Leute gibt, die den Mut haben dies zu tun. Aber und dies wird übersehen, diese Dichotomisierung wird durch andere Dichotomisierungen und damit soziale Positionierungen und Identitätsmuster ersetzt, die nicht weniger problematisch, homogenisierend und überheblich sind. So passiert ähnliches is dem Missbrauch der Opfer für die Systemlegitimierung in Form eines inszenierten Systemkampfes von "wir die Demokraten" vs. "die Anderen, die Fundamentalisten". Dabei wären die Anschläge auch passiert, wenn Frankreich ein Vorzeigefaschismus, eine Monarchie, eine Theokratie oder sonstein anderes Systemmodell wäre, dies ist eben nicht der Grund.
Aber was bleibt? Freilich gibt es auch andere und vielleicht inklusivere Bewältigungsmittel und freilich sind die Grundprobleme auch hier Bildung (verstanden als kritisches Denken), die Möglichkeiten von Anerkennung und Wertigkeit, sowie die Verteilung von Ressourcen, deren Ungerechtigkeit Religionen, in einer abscheulichen Deutungsweise mit solchen Handlungen bewältigen, wollen, indem sie der Ohnmacht, die die eigentliche Ursache ist, Handlungsmöglichkeiten entgegensetzt, die zugleich als emotionale Transformationsmittel des permanenten "Unangenehmen" dienen. Damit ist es aber eben nicht die Religion selbst, die "Schuld" ist, sondern sie wird zum Mittel, zum Kanalisationspunkt, weil es eben keine ausreichenden anderen Mittel gibt, die für die Individuen aktuell denkbar, erlernbar, vollziehbar wären. Und dies gilt auch für das Gebet. Auch dieses funktioniert auf diese Weise, es spendet Trost über Sinn (wenn religiös genutzt) und bietet irgendeine greifbare Handlung an, einen peformativen Akt, der die Starre der Ohnmacht wenigstens kurz bewältigt. Solange wie also die Ursache nicht effektiv bekämpfen wollen, fokussieren wir auch die Religion, nicht zuletzt um uns selbst zu feiern, in unserer überlegenen Moral, die nichts weiter ist als ein Mehr und ein Anderes als Bewältigungsmittel. Solange wir nicht fähig sind, die Ursachen zu bekämpfen, sollten wir uns hüten die Religion zu verdammen, sondern nur die Taten selbst aber immer wohlbewusst, dass die Verzweiflung Motor auf beiden Seiten ist und jede Form der Weltdeutung dazu treiben kann. legitimiert durch eine spezifische Auslegung dieser und alle zu abscheulichen Mördern zu machen, und wenn nur aus Unterlassung für alle die Flüchtlinge, die der Pöbel nun lieber ersaufen lassen würde als in die Mitte zu lassen, mit der Begründung eine Angst, die nichts anderes ist als eine perfide Deutung einer angeblichen Vernunft, die sie und ihre Handlungen legitimieren soll, denn man sieht ja was alles passieren kann.
Wir sollten also den Leuten vorerst selbst überlassen wie sie ihr Leid verarbeiten, so lange nicht neue Keile dadurch getrieben werden aber diese finden sich nahezu überall...mit anderen Worten: Wir die Demokraten, Wir die Vernünftigen oder Wir die Atheisten ist nicht besser als Wir die Christen....

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