Dienstag, 4. August 2015

Das anachronistische Gefühl und „Der gefühlte Krieg“ – Rezension zur Ausstellung im Museum Europäischer Kulturen

Das anachronistische Gefühl und „Der gefühlte Krieg“ – Rezension zur Ausstellung im Museum Europäischer Kulturen

Es ist ein zweischneidiges Schwert, dieser Bericht über die Ausstellung „Der gefühlte Krieg“, denn, so einfach die Bewertung in der Überschrift aufscheint, ist es eben doch nicht. Nicht, weil die Ausstellung dann vielleicht doch vieles „richtig“ macht, sondern vielmehr weil bei aller Kritik etwas auf dem Spiel zu stehen scheint, das sehr wichtig in der Museumslandschaft ist: der Mut Neues zu wagen. Genau das ist es auch, was diese Ausstellung in gewisser Hinsicht auszeichnet, im Positiven, wie im Negativen.
In den letzten Jahrzehnten hat sich in der Geschichtswissenschaft viel getan, zumindest theoretisch oder besser, zumindest theoretisch in der Theorie. Alte Geschichtsphilosophien, die aus den Vergangenheiten als Geschehenem die Geschichten „Großer Weißer Männer (und ihrer Kriege um auf das Thema zu verweisen)“ machten, wurden abgelöst von Geschichten der Strukturen und schließlich von den Geschichten des Sinns und der Wechselwirkungen von sinn(re)produzierenden Akteuren und sinndeterminierenden Strukturen. Damit wandelte sich der Blick auf das, was als „wirkmächtig“ und „geschichtsträchtig“ erachtet wurde und löste eine ganze Reihe an Perspektivwechseln (genannt „turns“) aus, die der Komplexität menschlichen Handelns und menschlicher Vergangenheit Rechnung tragen sollten. Dabei wurden zugleich „liebgewonnene“ und als allgemeingültig erachtete „Gewissheiten“ hinterfragt, dekonstruiert, zerstört und damit zugleich der Weg bereitet für „neue“ Geschichten. Zu diesen vermeintlichen Gewissheiten gehört auch der Glaube an Gefühle als unveränderbar, als letztlich ahistorisch, als immer gleich. Die Geschichte, die dies hinterfragt, ist die Emotionsgeschichte, die zugleich Pate für diese Ausstellung gestanden haben dürfte. Dass sich ein Museum mit einer Ausstellung diesen „neuen“ und in vielen Teilen kritischeren Geschichten zuwendet, die zudem aufgrund ihres konstruktivistischen Untertons zugleich mehr bieten als bloße Wissensbestände, sondern das Potential haben zu kritischem als welt- und selbstreflexivem Denken anzuregen, indem eben gerade Gewissheiten hinterfragt und das Gegebene als Gewordenes erkannt werden kann, ist leider immer noch nicht selbstverständlich, sondern ein mutiger Schritt. Ein mutiger Schitt leider immer noch entgegen nicht zu unterschätzender Widerstände seitens sich hartnäckig am Leben erhaltender älterer geschichtswissenschaftlicher Strömungen und vor allem auch entgegen der Art und Weise von historischen Erzählungen wie sie im geschichtskundlichen Schulunterricht und in weiten Teilen populärer Geschichtskultur bestimmend bleiben. Dieser Mut gehört gewürdigt, zumal diese Ausstellung in zweierlei Hinsicht etwas „richtig“ macht. Erstens, sie greift ein höchst aktuelles Thema auf, die Emotionsgeschichte, die, das muss man zugeben, freilich qualitativ sehr unterschiedlich betrieben wird, nicht zuletzt weil jeder gern auf „neue“ Züge aufspringt, immerhin geht es um Förder- und Forschungsgelder. Zweitens, die Ausstellung kehrt auch dem Krieg der „Großen Weißen Männer“ den Rücken und sucht „Geschichte von unten“ zu betrachten, nicht normative Vorgaben und formulierte Ideale einer „Elite“ sind geschichtsmächtig, sondern der einzelne Akteur auch jenseits dieser „Eliten“ in seinem alltäglichen Handeln. Insbesondere dieser kommt im wahrsten Sinne „zu Wort“, ihm wird eine „Authentizität“ zugesprochen, die über jene der „Großen“ hinaus geht und genau hier liegt eines der großen Probleme der Ausstellung, auf das noch eingegangen werden muss.
Das Hauptproblem jedoch besteht darin, die Grundkategorie der eigenen Geschichte die man in der Ausstellung konstruiert letztlich durch einen unzureichend reflektierten und thematisierten Anachronismus scheitern zu lassen und damit die Chance auf eine „wirkliche“ Geschichte von Gefühlen und Krieg zu vereiteln, die in mehr bestehen kann als einer Geschichte der Gefühle des Krieges des Besuchers, die sich selbst verschleiert. Aber der Reihe nach.
„Kein Krieg ohne gesteigerte Emotionen“ lautet das Postulat am Beginn der Ausstellung, das diese zugleich legitimiert. Es gehe um die Rolle von Gefühlen im Krieg. Dieser emotionsgeschichtliche Blick soll dabei anregen, Krieg neu zu denken, neu über ihn zu reflektieren. Unterstützt wird dieses Vorhaben durch künstlerischer Installationen und Arbeiten, die das emotionale (Er)Leben im und zum Ersten Weltkrieg spiegeln und fassbarer machen soll. Ein solches Vorhaben scheint vielversprechend, eine Geschichte des Krieges durch die „Brille“ der Gefühle der Teilhabenden, in der zugleich eine Geschichte des Fühlens überhaupt erscheint, ja erscheinen muss! Aber genau dies ist der elementare Fehler der Ausstellung. Es ist eben keine Geschichte des Fühlens, die letztlich die Voraussetzung sein muss, um das Fühlen im Ersten Weltkrieg erfassbar zu machen, es ist eine Geschichte des Fühlens der Besucher, des Anachronismus des Fühlens.
Fühlen hat eine Geschichte, Gefühle haben eine Geschichte, Krieg hat eine Geschichte. Auf all dies wird jedoch nicht eingegangen. Was bedeutet eigentlich „Angst“ für den „einfachen Soldaten“ um 1916, was für seine daheimgebliebene Frau? Was bedeutet „Vaterlandsliebe“, wie wurde diese gelebt abseits der in Ausstellungsstücken präsentierten Propaganda? All dies sind Fragen, den sich praktisch nicht gestellt wird, die aber zentraler Kern eines „Gefühlten Krieges“ sein müssen. Begriffe wie „Angst“ und „Vaterlandsliebe“, sowie generell Emotionsbegrifflichkeiten unterliegen einem historischen Wandel: „Angst“ ist eben nicht gleich „Angst“. Gleiche Vokabeln verschleiern dies und gerade deshalb wäre es nötig gewesen, als allererstes das Thema „Gefühl“ überhaupt in seiner Historizität zu thematisieren. Stattdessen erscheinen in allen präsentierten Quellen die Gefühle oder besser das Verständnis der jeweiligen konkreten Gefühle, der Besucher auf. Die „Angst“ im „Krieg“, die „Liebe zum Vaterland“, die „Ehre“ und „Sehnsucht“ sind die Gefühle der Besucher, nicht diejenigen der durch die Quellen Sprechenden. Daran ändern auch einzelnen Ausstellungsteile nicht, die zeitgenössische Angstbewältigungsmechanismen präsentieren, diese können so nur als „skuril“ erscheinen, denn die Gefühle zu denen diese Praktiken gehören sind eben andere. Unterstützt wird dieser Anachronismus dabei noch durch die Bearbeitung durch zeitgenössische Künstler, die eben nicht das historische Gefühl verarbeiten, sondern ihre eigene Interpretation einer „Angst“ in ihrer Interpretation von „Krieg“, die zwar durchaus auf einer geschichtswissenschaftlichen Erzählung von „Krieg“ fußen kann (der übrigens in seiner Historizität auch dringend thematisiert werden müsste, ebenso wie der Zusammenhang „gesteigerter“ Emotionen und „Krieg“) aber auf diese Weise das Thema nur noch mehr verwirrt, denn es sind nun nicht mehr die „modernen“ Gefühle zur modernen Vorstellung von „Krieg“, sondern „moderne“ Gefühle zu einer historischen Erzählung von „Krieg“.
Die durchgehend sehr sparsame Beschriftung und Erklärung der Exponate trägt freilich ihr Übriges zu einer „modernen“ alltagsweltlichen Interpretation des Fühlens im Ersten Weltkrieg bei. Dies ist umso drastischer, als dass auch den Schreibenden Akteuren bspw. der Briefe und Postkarten von der „Front“ eine große Authentizität zugestanden wird, allein bereits dadurch, dass ihr Schreiben als Teil eines Diskurses von „Frontbriefen“ nicht thematisiert wird. Mit anderen Worten wäre allererst zu fragen, welchen Diskursen sie folgen wenn sie schreiben, welche Regeln existieren, welche Begründungen für spezifische Stile. Nicht zuletzt wäre ein wichtiges Thema die Frage danach, inwiefern das Schreiben oder generell Ausdrücken eine Gefühls dieses Gefühl ist, dem Erleben folgt, es erst hervorruft oder gar ohne es auskommt. Das Schreiben vom „eigenen“ Fühlen ist wie das Fühlen selbst historisch, sozial, kulturell und biographisch bedingt, es steht im Austausch mit einem „tatsächlichen“ Fühlen ohne es zu sein und es erfüllt Funktionen, hat Bedeutungen auch im Krieg aber auch diese trägt es eben nicht „offen“ zu Schau, sondern muss erst erschlossen werden und kann daher in einer Ausstellung nicht für sich selbst stehen ohne mindestens anachronistische Interpretationen zu provozieren.
Was bleibt also? Die Ausstellung ist ein Versuch neue Themen zu erschließen und daher wichtig. Sie bietet interessante Ausstellungsstücke zum Ersten Weltkrieg und eine wichtige Perspektive „von unten“, die es vermag zumindest eine Geschichte der „Großen Weißen Männer“ zu umgehen und vielleicht zu hinterfragen. Was fehlt ist eine Thematisierung des Fühlens und seiner Historizität selbst, der Normen und Diskurse des Fühlens, des Redens, Schreibens oder anderweitigen Ausdrückens des Fühlens. So wichtig die Zuwendung zu solchen Themen ist, nicht zuletzt weil sie es mehr als andere Geschichten schaffen könnten zu bilden statt nur wissensbulimisch vermeintliche Fakten zu vermitteln, so sehr kann sie auch fehlgehen, wenn dem einzelnen Soldaten in seinem Ausdruck per se „Authentizität“ zugesprochen und sein Fühlen dabei klammheimlich durch anachronistische Deutungen modernisiert wird. Was bleibt ist dann nur das Fühlen des Besuchers, eine eigene spannende Geschichte wert aber nicht zum Preis des Fühlens des historischen „Anderen“.

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