Mittwoch, 20. Mai 2015

Flüchtige Momentaufnahmen, Provokationen und Gedankenspiele VIII

Letztlich sind "Rassen", "Geschlechter" und "Spezies" ziemlich genau wie Einhörner, nur viel hässlicher. Sie existieren als eine Vorstellung an der wir uns aus unterschiedlichsten Gründen festhalten und nur solange wie wir an sie glauben. Nur wo wir diese quasi magischen (oder sagen wir "heiligen" im Sinne Durckheims) Dinge als gegeben konstruieren, können Sie unsere Welt bestimmen. Wir alle brauchen Dinge an denen wir uns festhalten und die uns Orientierung bieten aber so wenig wie dies Einhörner sein müssen, so wenig gibt es einen Zwang zu einer Aufteilung in die oben erwähnten Begriffe. Und so wenig es sinnvoll erscheinen mag, sich wegen Einhörnern die Rübe einzuhauen, so wenig sinnvoll ist es auch im Bereich von "Geschlechtern", "Rassen" und "Spezies". Identitäten und Welten funktionieren auch sehr ohne diese vier Dinge. Nur bei den Einhörnern bin ich mir da nicht ganz sicher...

Warum handeln wir wie wir handeln? Weil wir gelernt haben so zu handeln. Warum bleiben wir bei diesem Handeln? Weil wir emotional daran gebunden sind, weil wir fühlen wie wir handeln sollen. Das Fühlen selbst ist jedoch kulturell bedingt, erlernt, ein Konstrukt. Und so offenbart sich eines der größten Schwierigkeiten einer Ethik. Wir brauchen eine abstrakte Ethik basierend auf universeller Begründbarkeit als Rechtfertigungsinstanz um dem Relativismus zu entkommen aber diese hat selbst keine motivationale Kraft. Das Fühlen muss die Basis für das Handeln, seine Stütze sein, zugleich darf es aber nicht dessen Begründung bleiben.

Die Angst vor dem Tod ist letztlich nur der Wunsch die Gegenwart zu erhalten und weiterhin Erfahrungen zu machen.
Der Wert bezieht sich dabei auf das gegenwärtige Erfahren oder anders, das Erfahren der Gegenwart, den Erhalt des Bewusstseinstroms, des Zeitfensters, in dem sich Gegenwart vollzieht und dafür ist kein intellektualisiertes Todesverständnis nötig.
Dies ist der Grund, warum auch allen Tieren ohne Zukunftsbewusstsein ein Lebensrecht zugesprochen werden muss. Wenn gegenwärtige Erfahrungen, die nie einen punktuellen Moment markieren, sondern vielmehr immer schon zeitlich ausgedehnt sind, als das eigentlich Wertvolle bezeichnet werden müssen, dann sind sie es für alle, die dazu fähig, die Subjekte eines Lebens sind und dann sind alle Wesen, die zu Erfahrungen fähig sind, alle diese Subjekte des Lebens dem grundsätzlichen moralischen Recht auf Leben teilhaftig.

Neben vielen anderen Möglichkeiten wird auch das Zeitbewusstsein als legitimierende Unterscheidung zwischen Mensch und Tier, bei genauerem Hinsehen müsste man jedoch zwischen Person und Nichtperson, sagen, genutzt. Zeitbewusstsein in seiner Ausprägung als Bewusstsein von einem Selbst in der Zeit und damit der Selbstentwurf in der Zukunft wird als Grenze für (schmerz-, bzw. leidlose) Tötung angenommen. Aber welchen Sinn hat diese Grenze? Letztlich ist der Entwurf des Selbst in der Zukunft ursächlich durch den Wunsch das Unvermeidbare zu vermeiden geprägt und paradoxerweise von einer Überbetonung der Gegenwart. Wenn von einem säkularen, allein im Diesseits gelegenen Leben auszugehen ist, so sind sowohl das Selbst, das maßgeblich eine Ansammlung von Erlebnissen, deren Verarbeitung und entsprechenden Dispositionen ist (um es sehr zu vereinfachen), als auch dessen Entwurf in der Zukunft insofern unsinnig, als die Löschung dieser Erinnerung unvermeidbar ist. Ob ein Individuum eine oder tausende Erfahrungen macht ist, retrospektiv betrachtet, aus subjektiver Sicht immer belanglos. Der hinter der Idee stehende Wunsch ist zudem vielmehr auf die Gegenwart gerichtet und entspringt einem "Weiterleben-wollen", das notwendig die Gegenwart betonen muss, da, um sinngemäß Alatriste im gleichnamigen Film wiederzugeben, wir in der Zukunft alle tot sind.
Es ist nun also so, dass die auf das Subjekt bezogene Konzeption des Zeitbewusstseins wenig Sinn macht, vielmehr ist ihr Kern die aktuelle emotional verkettete Wollensfähigkeit, die die Grundlage einer ethischen Beurteilung eines Tötungsverbots stellen könnte. Dies gilt umso mehr, als dass auch völlig in der Gegenwart existierende, bewusste Lebewesen ein Stück in die Zukunft weisen. Dieser Umstand wird durch ein falsches Verständnis des Terminus Gegenwart verschleiert, denn auch diese bezeichnet einen sich in der Zeit, sowohl in Zukunft, als auch Vergangenheit, erstreckenden Bereich, der nicht auf einen Moment reduzierbar ist.
Aus diesen Gründen sollte ein Tötungsverbot bei der Wollensfähigkeit ansetzen, die sich zudem nicht auf einen Zukunftsentwurf in die fernere Zukunft erstrecken muss.
Dies schliesst nun auch explizit menschliche Nichtpersonen in den Schutz ein, sowie nichtmenschliche Nichtpersonen und nichtmenschliche Personen (die allerdings genau genommen auch vorher schon inkludiert werden müssen, was allerdings kulturell unhinterfragt verleugnet wird, da die Grenzen sich eben doch an Äußerlichkeiten als unreflektierte Refrenzpunkte orientieren).
Für eine sinnvolle Moral müssen zwar nun Prinzipien wie Gerechtigkeit, Fürsorge und Bedürfnisse integriert werden und können graduelle Unterschiede bewirken, einen kategorischen jedoch nicht.

Es gibt Theorien, die nichtmenschlichen Tieren aufgrund des Fehlens von Repräsentationen Kultur absprechen. Diese seien nötig für die Konstitution gesellschaftlicher institutioneller Tatsachen und die semantischen Bedeutungsnetzwerke, für die wiederum Sprache notwendige Bedingung sei.
Ich hingegen glaube, dass dies eine Verengung des Blickfeldes auf die menschliche Sprache bedeutet als Ursprung aller Kultur ist. Befreit man sich von dieser Vorannahme, lassen sich sowohl Repräsentionen, als auch Bedeutungsnetzwerke denken, die ohne abstrakte Sprache auskommen. Ein solches Bedeutungsnetzwerk könnte sich ebenso aus Geräuschen, Handlungen, Gesten, Bildern und nicht zuletzt Emotionen konstituieren.
Dass diese Annahme Plausibilität besitzt, lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, dass auch menschliche Wesen sich solch "primitiver" Bedeutungsnetzwerke bedienen. So ist der Gedanke an Orte (und vor allem die an ihnen verorteten Räume), geliebte Personen und selbst an institutionelle Tatsachen wie Geld auch gänzlich ohne Sprache möglich. Statt eines Komplexes bestehend auch weiterer mit diesen verbundender sprachlich repräsentierter abstrakter Vorstellungen, ergibt sich so ein Komplex aus einfachen, bildlichen, handlungsbezogenen und emotionalen Knotenpunkten verbunden zu einem solchen Bedeutungsnetzwerk. In dieser Hinsicht muss auch das benutzte Werkzeug mancher Spezies nicht sprachlich repräsentiert sein, um als Kulturgut zu gelten. Die Vorstellung dieses, die sich in der durch kollektive Intentionalität zugewiesenen Funktion findet, kann sich auch im Bild dieser Handlung erschöpfen und es kann diese sein, die im Rahmen kultureller Repdroduktion weitergegeben wird.
Es gibt damit zumindest keinen Grund aufgrund fehlender Sprache die Möglichkeit tierlicher Kultur a priori auszuschließen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen