Sonntag, 1. Dezember 2013

Why not Epistocracy! - Eine provokante Antwort auf David Estlunds "Why not Epistocracy?"

Diese Text versteht sich als Antwort auf einen Aufsatz mit dem Titel „Why Not Epistocracy?“ von David Estlund1, in dem er, anders als der Titel vermuten lässt, die scholastokratische Idee vor allem John Stuart Mills kritisiert. Dieser Beitrag soll nun die Kritik Estlunds an epistokratischen und scholastokratischen Theorien entkräften und aufzeigen, dass diese vielmehr andere demokratische Ideen (parlamentarische wie basisdemokratische) treffen muss. Weiterhin soll, ausgehend von der Kritik, sich einer Skizze eines epistokratischen Modells genähert werden, welches die Kritikpunkte beheben kann und das als deliberative Epistokratie bezeichnet werden soll. Dabei bildet dieser Aufsatz insgesamt nur eine erste Skizze und muss unvollständig bleiben. Er ist also mehr der Stein des Anstoßes denn der Stein der Weisen.

Bevor es zum eigentlichen Thema kommt, sind allerdings noch einige Anmerkungen zu der Diskussion selbst vonnöten, die die Vorbedingungen des jeweils Lesenden in den Blick rücken sollen.
Kritik an demokratischen Ideen zu üben ist eine heikle Angelegenheit. Zum Einen liegt dies an der anscheinend so intuitiv logisch erscheinenden Richtigkeit dieser Gesellschaftsform, die sich aus der Sozialisation in den entsprechenden Deutungs- und damit auch Taburahmen ergibt und andererseits an der daran gekoppelten politischen Unerwünschtheit einer solchen Kritik. Sofern die Kritik sich noch innerhalb anerkannter Demokratiemodelle bewegt, wie die Diskussion zwischen repräsentativer und basisdemokratischer, jüngst auch wieder deliberativer Demokratie, ist diese noch unproblematisch. Wird diese Bereich verlassen und findet Kritik außerhalb vorakzeptierter Modelle oder gar außerhalb demokratischer Modelle an sich statt, wird es kritisch. Dabei werden nun u.a. zweierlei Dinge übersehen, die ich kurz an-, allerdings nicht ausführen möchte.
Der erste Punkt betrifft den intuitiven Zugang. Dieser ergibt sich ganz selbstverständlich aus der politischen und gesellschaftlichen Sozialisation. Das System erscheint uns selbstverständlich, weil es das aus unserer Lebenswelt und unserer Einsozialisierung in sie heraus auch ist. Solche Gewissheiten kritisch zu hinterfragen ist und sollte zu jeder Zeit notwendig sein, nicht zuletzt im akademischen Rahmen. In diesem Sinne sei an folgenden Auszug in Mills Werk erinnert: „Sie glauben, daß die Universität die Jugend für eine erfolgreiche Laufbahn in der Gesellschaft vorzubereiten hat; ich glaube, daß ihre einzige Aufgabe die ist, ihr den männlichen Charakter zu geben, der es ihr möglich machen soll, den Einflüssen der Gesellschaft zu widerstehen.“ Ein Zitat, dass im Laufe dieser Arbeit noch einmal zu Wort kommen wird und das dafür eintreten soll, auch die Intuitionen und Gewissheiten zu hinterfragen, die das Politische betreffen, denn vor einer unkritischen Haltung sind auch Akademiker nicht gefeit. Ein kurzes Innehalten und Bewusstwerden über diesen Punkt soll vor allem verhindern, demokratiekritische Argumente allzu leichtfertig und aus einer intuitiven Haltung heraus abzuurteilen.
Es sollte also vorher geklärt sein, ob sich etwaige Ablehnung, ebenso wie auch Zustimmung, aus angeeigneten Konventionen, individuellen Intuitionen oder reflektierter Meinung speist.
Der zweite Punkt betrifft die Legitimation der Demokratie und was von politischer Seite gern aus ihr gemacht wird. Das „große Heil“ der Demokratie besteht darin, dass sie sich nicht als dogmatische Setzung, die sich auf Mythen beruft versteht, sondern als sich ständig veränderndes System, dass sich beständig im Diskurs selbst rechtfertigt. Dies ist allerdings nur möglich, wenn Argumente nicht von vornherein tabuisiert werden. Eine Kritik außerhalb der Demokratie kann epistemisch weitaus wertvoller sein, als eine Kritik innerhalb dieses Systems. Dies alles verlangt bei derartigen Diskussionen auch von politischer Seite Beachtung, die ihrerseits Offenheit voraussetzt anstelle einer latenten Feindlichkeit, wie sie sich auch bei Mill ausgedrückt findet:
„Aber die Gewohnheit über diese Übel hinwegzugehen, als wären sie unheilbar, ist so eingewurzelt, daß viele Personen fast die Fähigkeit eingebüßt zu haben scheinen, sie als etwas zu betrachten, dem sie gern abhelfen möchten, wenn sie nur können. Von der Verzweiflung an der Herstellung ist allzu oft nur noch ein Schritt zu der Wegläugnung der Krankheit, und diese hat zur natürlichen Folge, daß jeder Vorschlag eines Heilmittels auf große Abneigung stößt, gleich als ob der Vorschlagende ein Uebel schüfe, anstatt sich zur Beseitigung eines solchen zu erbieten. Die Leute sind an diese Uebel so gewöhnt, daß es ihnen unvernünftig oder geradezu unrecht scheint, sich über sie zu beklagen.“2

I. Estlunds Kritik

Die Kritik an der Epistokratie als solches fällt bei Estlund recht kurz aus und besteht im Kern an der Problematisierung des Begriffs der „Weisheit“, der die Legitimationsbasis darstellt. Im Gegenzug zu Platon gibt Mill laut Estlund eine scheinbar bessere, greifbarere Basis an, nämlich die der formalen Bildung. Dabei ist allerdings auch Estlund klar, dass dies ebenfalls ein Problem darstellt, da der Begriff der Bildung letztlich ebenso streitbar ist, ein Punkt, der zu einem späteren Zeitpunkt noch wichtig werden wird.
Estlunds Aufsatz richtet sich im Folgenden vor allem gegen Mills Idee des Mehrstimmenwahlrechts für Gebildete. Damit vertritt Mill keine klassische epistokratische Idee, bei der nur die „Weisen“ herrschen sollen. Vielmehr geht es hier innerhalb eines demokratischen Systems darum, ein ungleiches Wahlrecht zu etablieren, dass das quantitative Ungleichgewicht aus Gebildeten und Ungebildeten aufwiegen soll.
Der Grundgedanke dahinter besteht darin, einer höheren Bildung auch eine weisere Herrschaft zuzugestehen. Bildung wird damit ein politischer Wert zuerkannt. Streitpunkt ist dabei, ob dies nur bei der Gesamtbildung einer Gesellschaft im Vergleich zu einer anderen gilt und zu Konsequenzen führt oder auch innerhalb dieser gelten muss und damit zu einer Bevorzugung gebildeter Schichten und/oder Personen führen kann.
Estlunds Ansinnen ist es nun, diese Idee ungleichen Wahlrechts, das sich aus der größeren Weisheit der Gebildeten heraus ergibt und diese bevorzugt, zurückzuweisen, indem er zu zeigen versucht, dass sich der epistemische Wert, der sich aus dieser besseren Bildung vermeintlich ergibt, gegen verschiedene negative Aspekte eines solchen ungleichen Wahlrechts aufrechnet. Eine weitere Basis für die Ablehnung bildet eine in Anlehnung an Rawls und auch von Mill implizit eingeführte Hürde für die Einführung von Prinzipien, die besagt, es sollen nur solche Regeln ausgewählt werden, die vernünftigerweise allgemein akzeptiert werden können.
Hierbei wird anscheinend erneut klar, dass Bildung als Legitimationsbasis für das Argument besser geeignet sei als Weisheit, da formale Bildung fassbarer zu sein scheint und vermeintlich in einer allgemein anerkannten Basis definiert ist. Damit erfüllt Bildung scheinbar die Voraussetzung der Akzeptanz.
Estlund stell nun die Frage, wie es sein kann, dass einerseits Bildung ein politischer Wert zuerkannt wird, denn augenscheinlich scheint es sowohl theoretisch als auch praktisch gegeben, dass in einer Demokratie Bildung gefördert wird und sie dieser Grundlage bedarf, um überhaupt arbeiten zu können, andererseits eine Herrschaft der Gebildeten abgelehnt wird.
Dabei versucht er zu zeigen, dass es eine Trennung zwischen den folgenden Aussagen gibt. Die erste lautet:

„A well-educated population will, other things equal, tend to rule more wisely.“

Die zweite lautet folgendermaßen:

„Where some are well-educated and others are not, the polity could be better ruled by giving the well-educated more votes.

Dabei gründet sich die zweite Aussage maßgeblich auf der Idee Mills, dass es Unsinn ist, ohne Evaluation der Fähigkeiten einer Person, – und man könnte hier weiter gehen und sagen, ohne Bewertung des Prozesses unter dem diese Person zu ihrer Meinung gekommen ist – ihrer Stimme das gleiche Gewicht beizumessen, wie einer anderen.
Estlund meint nun, dass die erste Prämisse die Hürde der allgemeinen Akzeptanz durchaus meistern kann, die zweite jedoch nicht und dies ohne dass sich daraus die logische Ablehnung auch der ersten ergibt. Ablehnung muss dabei freilich auf vernünftigen Gründen basieren. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass erstens eine Trennung der beiden Aussagen nicht so einfach möglich ist und zweitens, dass die angeführten Gründe der Ablehnung ebenfalls unzutreffend sind.

1. Der politische Wert von Bildung als Kernaussage

Ein Problem an Estlunds Argumentation ist, dass sich die erste Aussage und die zweite nicht derart getrennt bewerten lassen. Um dies zu zeigen, muss die erste Aussage genauer betrachtet werden und zwar in Bezug darauf, wie sich denn eine gebildetere Gesellschaft von einer weniger gebildeteren unterscheidet. Es gibt dafür drei Möglichkeiten. Wichtig ist dabei, dass es sich hierbei um einen Durchschnitt handelt, so dass es auch weiterhin unterschiedliche Bildungsniveaus innerhalb der Gesellschaft gibt.
Die erste Möglichkeit ist nun, dass die ohnehin Gebildeten noch gebildeter werden. Dies hätte nun aber nach Estlunds Argumentation keinen Effekt, da sich ihr Stimmengewicht dadurch nicht erhöht. Die zweite Möglichkeit besteht darin, dass es weniger Ungebildete gibt oder, dass der Mindestlevel angehoben wird. Der Effekt könnte hier nun sein, dass das Bildungsniveau für bestimmte Handlungsgründe zu hoch ist, so dass beispielsweise primitiver Rassismus abgelehnt wird. Diesen Effekt gesteht Estlund zu, allerdings auch nur insoweit dieses neue Bildungsniveau in der Mehrheit vorhanden ist. Die dritte Möglichkeit ist eine Kombination aus beidem, hat aber nur in dem Sinne des zweiten Punkts einen Effekt.
Dabei ist zu beachten, dass die höhere Qualität der gebildeteren Gesellschaft sich immer aus gebildeteren Individuen ergibt. Die Meinung der Individuen ist dabei besser und höherwertig als die des gleichen Individuums vor der Erhöhung seiner Bildung. Wieso dies also als gut angesehen wird, solang dies auf das gleiche Individuum beschränkt ist aber nicht mehr gelten soll im Vergleich der Individuen untereinander, bleibt fraglich, wenn das höher gebildet sein doch einen positiven Effekt auslöst.
Es bleibt in diesem Zusammenhang fraglich, warum es einerseits gut ist, wenn ein bestimmtes Niveau erreicht wird, also Handlungsgründe mehrheitlich ausgeschlossen werden, es aber nicht gut ist, solang die Mehrheit dies nicht aus sich selbst heraus begründen und akzeptieren kann. In diesem vereinfachten Beispiel, dass sich an Estlunds vereinfachtes Beispiel anlehnt, könnte sowohl bei eins, als auch bei drei mehr erreicht werden, als bei Punkt zwei, zumal das Szenario aus Punkt zwei sich irgendwann an das Ideal von eins und drei angleichen würde, da ja davon ausgegangen wird, dass die Bildung diese positiven Effekte hervorruft. Es handelt sich dabei letztlich nur um eine Zeitverzögerung, die ihre Ursache in einer Opferung der Qualität vor der Quantität findet.
Dies gilt umso mehr, als das eine höhere Bildung politisch mehr bedeutet, als eine Abschaffung bestimmter Handlungsgründe, nämlich auch bessere Argumente im Diskurs um die verbleibenden Handlungsalternativen. Wieso dabei nun nur die Argumente berücksichtigt werden sollen, die real(!) und aus qualitativ schwächeren Perspektiven heraus mehrheitsfähig sind, bleibt unverständlich, nicht zuletzt in konsequentialistischer Sicht auf die etwaigen Opfer dieser Verzögerung.
Was vielmehr zählen sollte, ist die Qualität, denn diese ist es, die durch Bildung befördert werden soll und wenn dieser politischer Wert zukommt, so muss ihr durch diese Hierarchisierung auch mehr Gewicht gegeben werden können.
So ist es nicht nur höchst intuitiv zu fragen, warum die Meinung desjenigen, der sich intensiv mit einem Thema auseinandergesetzt hat, genauso viel zählen und damit wert sein soll, wie die desjenigen, der dies nicht hat, um zwei Extreme zu konstruieren. Es untergräbt auch den Wert der Bildung, es negiert ihn sogar in politischer Hinsicht. Wenn beide Meinungen gleich viel wert sind und diesen erhalten sie durch die letztendliche Bestimmung der Entscheidung durch gleiches Wahlrecht in quantitativen Legitimationsprinzipien, dann ist es aus politischer Sicht heraus nicht begründbar, warum sich jemand mit einem Thema beschäftigen sollte, denn diese Beschäftigung hat politisch keinen Effekt. Es ist fraglich, wieso Bildung politisch gesehen dann überhaupt gefördert werden sollte, denn es erhöht nicht den politischen Wert einer Meinung.
Auf diese Art sind beide Argumente über ihre Grundlage, dem positiven Effekt der Bildung, der ein positiver politischer Wert zugesprochen wird, aneinander gebunden.
Wenn Bildung zu fundierteren Meinungen führt, dann müssen diese als solche gewichtet werden, ob sie nun aus Individuum oder aus Gruppen, aus einer Minderheit oder Mehrheit hervorgehen, ist für die Qualität des Arguments an sich völlig unbedeutend und muss dies sein, will man den qualitativen Vorteil nicht implizit wieder aufgeben. Dieser Punkt spricht für sich genommen jedoch nicht zwangsläufig für eine Epistokratie oder Scholastokratie, da nicht das Individuum höher gewichtet wird, sondern die Effekte durch dessen höhere Bildung, seine Argumente. Auch eine Demokratie kann also die positiven Effekte der Bildung nutzen und logisch konsistent auch den Mehrwert berücksichtigen. Dies führt lediglich weg von quantitativen Legitimationsprinzipien hin zu qualitativen, wie sie beispielsweise in deliberativen oder soziokratischen Modellen Anwendung finden. Auf diese Art wird die zweite Aussage nicht in ihrer Ursprungsform, sondern erst einmal abgewandelt übernommen. Die Regierung geht nicht absolut in die Hände gebildeterer Personen über, sondern nur relativ insofern, dass die besseren Argumente, die aus dem Mehr an Bildung resultieren auch in ihrem Mehrwert berücksichtigt werden. Bis hierhin lautet die zweite Aussage somit: Wenn es in einer Gesellschaft Personen gibt, die gebildeter sind, dann ist die Politik eine weisere, wenn den besseren Argumenten mehr Gewicht zugebilligt wird. Dies bedeutet nur noch indirekt Gebildeteren mehr Stimmgewicht zuzuerkennen.

2. „latent features“

Die weitere Frage ist nun, wie verhält es sich mit der ursprünglichen Aussage und der Ablehnung dieser. Auch wenn Argumente mehr Gewicht bekommen, so stellt sich immer noch die Frage nach der Besetzung von Ämtern, zumal nicht immer die Möglichkeit eines Diskurses gegeben ist. Die Frage ist nun, warum sollten Regierungsämter nicht vor allem durch die angesprochenen „Eliten“ besetzt werden. In den beiden folgenden Teilkapiteln sollen nun die von Estlund angeführten, möglichen Gründe der Ablehnung der zweiten Aussage genauer betrachtet werden.
Einer dieser Gründe ist laut Estlund, dass Gebildete oft zu bestimmten, exklusiven sozialen Gruppen gehören, die über strukturelle Ausgrenzungsprozesse diese Exklusivität erhalten und dies führt dazu, dass diese Gruppen nun politisch bevorteilt würden, woraus sich Probleme ergeben. Als Gruppe hätten diese nämlich lediglich ihre eigene, durch ihre jeweiligen schichtspezifischen Lebenswelten vorgeprägte Perspektive, in die nicht zuletzt auch schicht-, bzw. lebensweltspezifische Vorurteile übernommen werden. Aus diesem Umstand ergeben sich vermeintliche gruppenspezifische Interessen, die automatisch bevorteilt würden.
Dabei gehen sowohl Mill, als auch Estlund, in ihren Argumenten von privaten, eigennützigen Interessen der jeweiligen Individuen aus, die sich, aufgrund ihrer gleichen Herkunft, Sozialisation, usw. als homogene Gruppeninteressen abbilden lassen. Diese eigennützigen Interessen, die letztlich im Sinne der Argumentation immer die eigene Lebensform und deren Werte durchgesetzt wissen wollen und sich somit normativ über die Lebensformen anderer setzen, sollen nicht übermächtig werden können.
Das Problem liegt für Estlund also in dem Zusatz „other things equal“ der ersten Prämisse, der laut ihm in der zweiten Prämisse nicht mehr gegeben ist.
Estlund nennt dies „The Demographic Objection“, die er wie folgt beschreibt:

The Demographic Objection: the educated portion of the populace
may disproportionately have epistemically damaging features that
countervail the admitted epistemic benefits of education.“

Das Argument zielt zuerst darauf ab, die strukturelle Bevorteilung einiger Schichten (beliebtes Beispiel sind „weiße Männer der Oberschicht“) gegen den epistemischen Vorteil anzuführen. Das Argument bleibt laut Estlund selbst dann noch intakt, wenn es zu Angleichungen kommt, so dass auch andere Großgruppen Zugang bekommen und damit die bisher benachteiligten Schichten ausreichend Gebildete hervorbringen können. Es verbleiben laut Estlund dabei aber noch Religion, sexuelle Orientierung und weitere denkbare Unterschiede zwischen den Gebildeten und Ungebildeten. Diese müssen laut Estlund nicht einmal empirisch nachweisbar sein, als guter Grund einer Ablehnung reiche, die latente Gefahr. Estlund gibt nun an, nicht zu wissen, auf welcher vernünftigen Grundlage man diese Sorge zurückweisen sollte, da diese Sorge keinesfalls verrückt oder abwegig sei, wie die Geschichte gezeigt habe.
Er übersieht hier allerdings einen zentralen Punkt in Mills Argumentation. Estlund bezieht diese Probleme, die ja den epistemischen Vorteil relativieren sollen, nur auf die Gebildeten und deren angebliche spezifische Gruppeninteressen, während Mill das Extrawahlrecht einführt, um die Perspektive und die spezifischen Gruppeninteressen der quantitativen Mehrheit der Ungebildeten zu relativieren, die man in gleich grober Weise wie Estlund ebenso in bestimmte Schichten einordnen könnte.
Wichtig ist dabei, dass Estlund in diesem Zusammenhang ebenso unterschlägt, dass Mill nur eine Übergangslösung bezeichnet, da das Ideal eine ausreichende Bildung, wie auch immer die gemeint sein mag, für alle vorsieht und damit letztlich ein gleiches Wahlrecht. Bis dahin soll ein Opfern der Vielfalt und der Qualität durch Quantität verhindert werden. Zu diesem Zweck wird den Gebildeten ein Extrawahlrecht zuerkannt, um gegen die s.g. ungebildeten Schichten und ihre egozentrischen und egoistischen Interessen bestehen zu können. Das Ideal der allgemeinen Bildung soll erreicht, bis dahin aber keine Gleichgewichtung postuliert, sondern der Realität Rechnung getragen werden.
Zurück zu Estlund, ließe sich Mithilfe seiner eigenen Rechnung auch das Extrawahlrecht rechtfertigen. Da die Ungebildeten über ihre strukturelle Benachteiligung vermeintliche Vorurteile bilden, würden sie als numerische Mehrheit die Minderheit der Gebildeten benachteiligen, da die Gesetze, die sie erlassen, folgt man Estlunds Argumentation, allein durch deren Perspektive, Interessen und Lebenswelt geprägt sein würden. Ein Patt, der dafür spräche, immer auf eine Ausgewogenheit an Bildung und Unbildung zu achten, sofern man die sich vermeintlich aus diesen Großperspektiven bildenden Interessen gleich gewichtet.
Damit greift auch Estlunds Argument nicht, man könne die Angst vor solchen Benachteiligungen nicht vernünftig zurückweisen, so dass sie als Argument gelten müsse. Wäre dies so, dann muss die mögliche selbe Angst der Gebildeten vor den Ungebildeten ebenso zählen und bildet ein gleichgewichtiges Argument gegen die quantitative Mehrheit der Ungebildeten und damit gegen ein gleiches Wahlrecht. Nur die bloße quantitative Verteilung als Grundlage zu nehmen, um das gleiche Wahlrecht vor diesem Argument doch noch zu bewahren, also die Benachteiligung mit der normativen Mehrheit bestimmter Interessen und Perspektiven zu rechtfertigen, liefe letztlich auf einen Fehlschluss hinaus, der darin besteht, einen willkürlich gewählten Istzustand als normative Grundlage misszuverstehen.
Weitergedacht ist es im Sinne der bisherigen Argumente sogar so, dass in der vermeintlichen Pattsituation die Gebildeten noch einen Pluspunkt erhalten würden, denn hier, bei aller Einseitigkeit, würde zumindest diese noch durch die epistemischen Vorteile aufgehoben werden, die andererseits nicht bestehen und die auch Estlund ja nicht negiert. Zwar könnten diese auch in anderen, vermeintlich den Ungebildeten zugeordnete Gruppen, er führt das Beispiel der Bauern an, gefunden werden, jedoch bewegt man sich argumentativ dann eher im Rahmen technokratischer Überlegungen, auf die hier vorerst nicht näher eingegangen werden soll. Der Vorteil der Bildung soll gerade in einem umfassend größeren Wissen bestehen. (Auf die Probleme des Bildungsbegriff wird später eingegangen.)
Es lässt sich festhalten, dass es Mills Ansinnen ist, eine Tyrannei der ungebildeten Massen, bzw. generell jeder herrschenden Klasse und dazu zählt auch die demokratische, numerische Mehrheit, zu verhindern.3 Er versucht damit nichts weiter, als das auf einer Seite auszugleichen, was Estlund in anderer Weise für sich postuliert.
Die Sorge, eine Gruppe könnte bevorteilt sein, ist latent immer und in jedem politischen System vorhanden, sobald sich Mehrheiten bilden und sobald es die Möglichkeit gibt, Sozialkapital in irgendeiner Form anzuhäufen. Diese Sorge ist es sicherlich wert, über dieses allgemeine Problem nachzudenken, es trifft aber keinesfalls epistokratische und noch weniger scholastokratische Ideen, wobei der Vorwurf gegen letztere im Sinne Mills unzutreffend ist, da dieser genau die Behebung dieses Problems im Sinn hatte.
Ebenso besteht Mills großer Vorteil in dieser Erkenntnis, da er nicht, wie gemeinhin in politischer Diskussion, Legitimationsgrundlagen als gegeben postuliert, sondern trotz des Ideals die Realität und hier besonders in Bezug auf das Problem der Mündigkeit, nicht ignoriert.
Mill kann damit für eine ungleiche Behandlung im Stimmrecht vernünftige Argumente liefern, während Estlund dies bis hierher nicht vermag und gegen Ende seines Essays in willkürlicher Inkonsequenz endet, in dem er gewillt ist, mit den vorherrschenden politischen Konventionen übereinstimmend, bestimmten Personen, wie z.B. gewählten Vertretern oder Richtern ein höheres Stimmgewicht zuzugestehen, dafür aber nichts als seine Intuition angeben kann.

3. „conjectural features“

Estlund geht in seiner Argumentation noch einen Schritt weiter, indem er den Grund des Problems implizit umdreht. Nun ist es nicht mehr so, dass die Gebildeten aus bestimmen Schichten kommen, die sie determinieren, sondern dass die Bildung selbst zu Vorurteilen führt, so dass vermeintlich Ungebildete unterdrückt werden, bzw. die Bedürfnisse der Gebildeten bevorzugt, die der Ungebildeten benachteiligt. Es ist nun nicht mehr die vorgängige Lebenswelt Schuld an den Problemen, sondern die genuine Lebenswelt der Gebildeten.
So könnten laut Estlund Gebildete sexuell frustrierter sein und daher puritanische Gesetze erlassen. Unbemerkt scheint hier, wie mehrmals während des Aufsatzes, der Gegner zu wechseln. Das Argument richtet sich in der Form mehr gegen die Epistokratie, da nur hier überhaupt davon ausgegangen wird, dass die Gebildeten zwangsläufig die Regierung und die absolute Stimmenmehrheit stellen.
Nimmt man das Argument als Grund zur Ablehnung nun in der Weise ernst, wie Estlund es tut, dann ergeben sich eine Reihe von Problemen und Konsequenzen.
Das erste Problem besteht darin, dass man konsequenterweise gezwungen wäre, das Bildungsideal aufzugeben, da sich, auch wenn man nur ein gleiches Wahlrecht hat, die Gebildeten irgendwann in der Mehrheit befinden würden. Spätestens dann müsste es innerhalb Estlunds Argumentation sowieso zu diesen Bevorteilungen kommen, so dass man auch hier gezwungen wäre, immer für ein Gleichgewicht an Gebildeten und Ungebildeten sorgen zu müssen, um die Vorherrschaft einer Perspektive zu verhindern.
Das Problem des „other things equal“ lässt sich nun nicht auf die zweite Prämisse einengen, sondern gilt letztlich auch für die erste. Auch eine insgesamt gebildetere Gesellschaft kann über „latent“ oder „conjenctural features“ verfügen, zumal diese, wie bereits bemerkt, die individuellen Bildungsniveaus betreffend immer noch inhomogen zusammengesetzt ist.
Die Perspektivenverengung funktioniert als Argument zudem nur mit einer ganzen Reihe an Vorannahmen, die leicht zurückgewiesen werden können.
So baut die Argumentation bei Estlund vor allem auf Vermutungen auf, die die Gruppenbesonderheiten äußerst negativ konnotieren und vor allem diese Gruppen in für ihn wichtigen Punkten homogen konstruiert. Denkbar wäre durch die Überbetonung der Bedürfnisse der Gebildeten und deren Perspektive auch ein positiver Effekt, wie die stärkere Fixierung auf Bildung und aufklärerische Ideale, eine Beförderung der Mündigkeit, ganz so, wie Mill dies vorstellt. Dies ist nicht abwegig, werden doch besonders Kinder akademischer Familien durch diese gefördert (ob die Art und Weise wie dies geschieht immer sinnvoll ist, ist eine andere Frage).
Weiterhin ist es ebenso wenig abwegig, dass der höhere Bildungsgrad zu einer höheren Reflektionsebene führt, so dass es zur Korrektur vermeintlicher Bedürfnisse kommt, die von den weniger gebildeten scheinbar empfunden werden.
So könnten dadurch längerfristigere Projekte gefördert werden, statt kurzfristige. Um die Gruppen in ähnlicher Weise zu semantisieren wie Estlund das tut, könnte man davon ausgehen, dass die Ungebildeten aus unteren Schichten stammend eher, sich direkt aus dem Bildungs- und Reflektionsmangel ergebende, hedonistische und auf eine Lebensspanne bezogene Interessen verfolgen, die ihrer Lebenswelt nah sind und die Gebildeten zudem utilitaristische oder allgemein längerfristig orientierte.
Auf diese Reihe an Problemen wird später noch einzugehen sein, wenn es um die epistemischen Vorteile epistokratischer Systeme geht.
Neben den von Estlund vermuteten negativen Eigenschaften existieren demnach ebenso vermutliche positive, die in seiner Rechnung gleichfalls Beachtung finden müssten.
Nicht vergessen werden darf dabei auch, dass Estlunds Argument der verschiedenen „features“ nicht nur theoretisch auch auf andere Systeme anwendbar ist, sondern auch an dem Umstand vorbei geht, dass auch ganz real in der existierenden Demokratie privilegierte Gruppen einen eben solchen Zugang zu politischen Ämtern haben. Dies beeinflusst zwar nicht die Wahl in dem Sinne, das diese mehr Stimmen hätten, jedoch ist es für bestimmte Milieus einfacher, sich selbst zur Wahl zu stellen, politische Ämter zu besetzen und zu partizipieren. Der Zugang zur Partizipation ist wie auch jener zu Bildung und Einkommen real durch die lebensweltlichen Bedingungen determiniert. Die Probleme, die er anspricht, treffen also theoretisch und praktisch eine Vielzahl an Systemen und können daher nicht allein gegen Epistokratie oder Scholastokratie angeführt werden. Sieht man sich dies genauer an, so muss sich aus Estlunds Argumentation sogar ein Vorteil für Scholastokratien ergeben, da hier zumindest epistemische Vorteile erkennbar sind. Um eben diese wird es im folgenden Kapitel gehen, ebenso wie um einige der Zugaben, die Estlund für die Stärkung seiner Argumente gebraucht hat.




II Ein politisch wertvolles und epistemisch relevantes Konzept von Bildung

Ein großes Problem und gleichzeitig Grund so vieler Spekulationen um die Folgen, sind die Begriffe „Weisheit“ und „Bildung“. Um eine Skizzierung dieser Begriffe im politisch relevanten Sinne soll es in diesem Abschnitt gehen.
Dies ist auch dahingehend wichtig, um die von Estlund vorgebrachten Probleme angehen zu können, die zwar nicht gegen epistokratische Ideen allein geltend gemacht werden aber doch in einem unfassenderen Sinne latent vorhanden sind.
Gemeint ist die Bevorteilung bestimmter, sich aus der Lebenswelt ergebender Perspektiven durch die Gruppe der Gebildeten. Estlund führt vor allem Rassismus und Sexismus und später weitere, schwächere Formen von Diskriminierungen an, die vor allem auf bestimmte Vorlieben verweisen (sexuell, religiös, ästhetisch).
Bezeichnend ist dabei, dass eine der nachwievor gravierendsten Unterdrückungsbereiche nicht erwähnt wird, der Speziesismus. Zumindest offiziell gelten in den meisten westlichen Ländern Rassismus und Sexismus innerhalb der gesellschaftlichen Konventionen als überwunden (ich will dabei jetzt nicht auf die Probleme von normativer Setzung und Realität eingehen, sondern der Einfachheit halber sei dieses Problem übergangen). Unbestreitbar ist hingegen, dass die speziesistische Weltdeutungen und damit Unterdrückungen noch lange nicht in den gesellschaftlichen Konventionen aufgebrochen wurden. Zwar scheint es so, als bewege sich die Gesellschaft langsam darauf hin, jedoch verbreitete sich die Erkenntnis von der unrechtmäßigen Unterdrückung basierend auf sozial konstruierten Speziesgrenzen anfangs vor allem innerhalb von Schichten erweiterter Bildung, Intellektualität und emotionaler Intelligenz, lange bevor dies mehrheitsfähig ist. Ähnliches ist letztlich historisch auch für den auf Rassismus bezogenen Abolitionismus erkennbar. Die soziale Unsichtbarkeit, um mit Honneth zu sprechen, ist damit sowohl weiterhin ein weit verbreitetes Problem und Phänomen.4
Moralischer Fortschritt und die hier relevante Vorstufe, der Aufbruch sozialer Unsichtbarkeit, die Erweiterung um neue Perspektiven, benötigen in der Regel Zeit, um konsensfähig zu werden. Dies würde nun (mindestens aus Sicht der Opfer, aus der Perspektive der Übersehenen) ausdrücklich für scholastokratische und/oder epistokratische Ideen sprechen, sofern den gebildeteren Schichten ein zumindest graduell größeres soziales Sichtfeld zuerkannt werden kann.
Dies ergibt, dass es einerseits empirisch erwiesen scheint, dass die Gefahr existiert, dass die Herrschenden die Bedürfnisse der Beherrschten gern übersehen oder ihre eigenen höher bewerten.
Die Herrschenden sind, bezogen auf den Speziesismus, wie auch auf andere -ismen aber letztlich immer die Gesellschaft, die sich selbst diesen „Anderen“ vorenthält und nicht die Regierung innerhalb dieser. Innerhalb dieser Gesellschaft existiert aber ein diese Konventionen durchbrechender Kern, der, sieht man sich die Entwicklung der modernen Tierrechtsbewegung seit der Frühen Neuzeit an, zu einem wichtigen Teil aus gebildeten „Eliten“ besteht, was sich sicherlich auf die zum Teil ausgebildetere Fähigkeit zum Erkennen und Hinterfragen der Sollgeltung gesellschaftlicher Konventionen zurückzuführen ist, die sich aus der Ausbildung und dem Selbstverständnis als Motor ergibt.
Zur Behebung solcher Missstände müssen auch nicht alle Minderheiten in der Regierung vertreten sein oder auch nur zur Wahl zugelassen werden, zumal es, wie das Beispiel des Speziesismus zeigt, Minderheiten gibt, denen die Verteidigung der eigenen Bedürfnisse im politischen Rahmen immer verwehrt bleiben wird (ebenso Säuglinge, Kinder, geistig Behinderte).5
Auch und besonders eine Demokratie kann diese Probleme also nicht aus sich selbst heraus verhindern und wirkt sogar verzögernd, sofern sie der Quantität größere Bedeutung als der Qualität beimisst, da in diesem Fall erst die numerische Majorität überzeugt, „aufgeklärt“ werden muss.
Diese zeitliche Verzögerung lässt sich nun durch mehrere Punkte minimieren. Einer dieser Punkte trägt dem Umstand Rechnung, dass gerade bestimmte „Eliten“ zeitiger solche Unsichtbarkeiten und unhinterfragt Gegebenes durchschauen können, was anscheinend an speziellen Fähigkeiten und Eigenschaften dieser „Eliten“ zu liegen scheint. Zu diesen gehören, zumindest theoretisch, etwas, dass als „moralische Reife“ bezeichnet werden soll, sowie das Prinzip der „Selbstreflektion“.
Kern der moralischen Reife ist dabei das Hinterfragen gesellschaftlicher (sozialer und sittlicher) Konventionen, die Anwendung der kritischen Ebene des Denkens auf die intuitive Ebene gesellschaftlich-sittlichen Handelns, wie dies Hare in seinem Aufsatz zum Universellen Präskriptivismus ausführt.6 Dafür ist nun in der Tat formale Bildung nicht ausreichend, da diese in der Regel gesellschaftliche Konventionen eher übernimmt statt sie zu hinterfragen.7
Vielmehr sind die zwei genannten Punkte wichtig, die zunehmend in Wechselwirkung zueinander treten: die moralische Entwicklung und die Ausbildung der (Selbst-)Reflektion und damit die Entwicklung hin zur Mündigkeit oder besser zu zwei der wichtigsten Grundlagen dieser. Beides, eine möglichst hohe moralische Stufe, die sich an den reflektierten Begründungen orientiert und sich von Autoritäten (ohne einem primitivem Anti-Autoritarismus zu verfallen) und gesellschaftlichen Konventionen als dogmatische Begründung löst8, das scheinbare natürlich Seiende der Gesellschaft nicht zugleich zum Sollenden macht9, wie auch ein möglichst hoher Grad an (Selbst-)Reflektion werden in der Regel nur durch eine profunde Ausbildung und Förderung dieser Fähigkeiten erreicht, die selbst Universitäten bisher nur recht spärlich bieten (können). Beides setzt voraus, sowohl den eigenen Willen erkennen und sich weitestgehend von den Determinanten zu lösen (sowohl sozial-strukturelle, als auch praktische und sich aus dem eigenen Selbstentwurf ergebende), als auch sich selbst im Denken so weit es geht außerhalb der Gesellschaft und ihrer, sowie der eigenen, gewachsenen Gewissheiten zu setzen.10
Letzteres ist etwas, dass sich passend in dem bereits angeführten Zitat aus Mills Werk formuliert findet: „Sie glauben, daß die Universität die Jugend für eine erfolgreiche Laufbahn in der Gesellschaft vorzubereiten hat; ich glaube, daß ihre einzige Aufgabe die ist, ihr den männlichen Charakter zu geben, der es ihr möglich machen soll, den Einflüssen der Gesellschaft zu widerstehen.“11
Darauf aufbauend muss aber die Universität, auch um die Gefahr einer sich selbst genügenden „Elfenbeinturmmentalität“ zu verhindern, dazu befähigen ihre eigenen Institution und Wissensorganisation, ihre eigenen Regeln, Konventionen und Gewissheiten zu hinterfragen befähigen.12 Ebenso und dies scheint mir ein reales Problem, muss die Reflektion der akademischen Welt dazu führen können, die teilweise auftretende Probleme einer in sozialen Angelegenheiten unterentwickelten akademischen Elite, die sich aus der Notwendigkeit starker Egos in der Art der gegenwärtigen Organisation der Wissenschaft ergibt, zu überwinden.

Es ist also nicht die Bildung selbst, die „wertvollere“ Meinungen, im Sinne reflektiertere hervorbringt, sondern etwas, dass in ihrem Zuge dazu führen kann. Um erneut mit Adorno zu sprechen, benötigt es „Intellektuelle statt bloße Fachmenschen“13 und damit eine Erziehung zum Zwecke der „Herstellung eines richtigen Bewusstseins“.14
Selbstreflektion, so wie sie hier verstanden werden soll, ist nun gewiss kein Synonym für Weisheit, jedoch eines ihrer Bestandteile. Erst durch sie wird auch Bildung besonders relevant, da formales Wissen nun nicht mehr unreflektiert angeeignet und gebraucht wird. Somit ist ein epistemischer Mehrwert durch eine solche Ausbildung und Förderung klar erkennbar, zumal automatisch die aufgerechneten negativen Aspekte abgeschwächt werden. Die Erkenntnisse die produziert werden sind somit „wahrer“15, befreiter und die eines mündigeren16 Geistes, da sie weniger verzerrenden Beschränkungen unterworfen sind. Den Fragen, denen so Rechnung getragen werden soll, sind auch solche nach Willensfreiheit und Determination. Wenn sich in diesen Bereichen durch die Ausbildung der genannten Fähigkeit Vorteile ergeben, so haben diese Auswirkungen auf den epistemischen Wert der gewonnenen Aussagen und damit auch auf deren politischen Wert.
Bildung in dem hier skizzierten Sinn ist also gerade fähig, die von Estlund vorgebrachten Probleme abzuschwächen, da diese sich aus einer an die jeweilige Lebenswelt gebundene Perspektive ergeben. Bildung in einem richtigen Sinne soll, in Anlehnung an Adorno aber gerade dazu verhelfen, aus der lebensweltlich eingeschränkten Perspektive auszubrechen.
Dabei kommt formaler Bildung im Anschluss ebenso eine wichtige Funktion zu. Ohne gewisse Wissensbestandteile, je nach Fragestellung detaillierter, ist in vielen Fragen überhaupt kein sinnvoller Standpunkt, keine Meinung möglich. Dabei steigt zudem die Gefährlichkeit unzureichender Bildung, je weniger das Individuum über Selbstreflektion verfügt, da Halbwissen Gewissheiten produziert und diese verteidigen lässt.17
Dabei ist auch hier zu beachten, dass Mill nur von einem Übergang spricht. Das Ideal bleibt die möglichst hohe Bildung aller und, um es zu erweitern, eine Ausbildung von moralischer Reife und Selbstreflektion.
Sofern dieser Zustand aber nicht erreicht ist, kann ein möglichst hohes Maß an Bildung mit dazu gehöriger Reflektion und moralischer Reife theoretisch ein zeitlich begrenztes, ungleiches Wahlrecht begründen, um den sozialen Unsichtbarkeiten und unreflektiert herrschenden gesellschaftlichen Konventionen auch numerisch etwas entgegenzusetzen und so, ganz im Sinne Mills, Vorherrschaft der exklusiven Gesellschaft zu unterbinden.
Differenziert werden sollte dabei allerdings auch nach der Art der Wahl um die es geht, wie beispielsweise die Wahl eines Repräsentanten, um Grundsätze einer Gesellschaft oder um konkrete Handlungen oder Projekte. Je nachdem, um was es sich handelt, bekommt Bildung einen anderen Stellenwert. So kann bei konkreten Projekten vor allem detailliertes Fachwissen gefragt sein. Besonders in diesem Bereich scheint es unsinnig Stimmen gleich zu gewichten, so dass Fachleuten mehr Stimmen zugedacht werden könnten, insofern ein Diskurs nur eingeschränkt möglich ist. Da von Frage zu Frage die Fachleute wechseln, wäre theoretisch ein relationales Wahlrecht sinnvoll, das Fachleuten in ihren jeweiligen Gebieten mehr Stimmen zugesteht. Dabei sind aber gerade bei alleinigem Fachwissen die negativen Features latent. Noch sinnvoller scheint daher eine generelle Abkehr von quantitativen Wahlen hin zu qualitativen Modellen wie dem Diskurs, über den im nächsten Abschnitt noch gesprochen werden wird und der nicht mehr die Stimmen zählt, sondern die Argumente gewichtet.
Ähnlich wie bei der konkreten Projektfrage sieht es aber auch bei den Repräsentanten, den „Herrschern“ und deren Beamten selbst aus.
An praktisch alle Fachleute in der Gesellschaft werden, freilich sehr unterschiedlich ausgeprägt, spezielle Anforderungen an ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten und teils an ihr sittliches Verhalten gestellt, mit Blick auf gewählte Vertreter gibt es solche Richtlinien aber kaum, allenfalls vage. Besonders in diesem Bereich könnte Mill argumentieren. So scheint es prima facie sinvoll nur solche Personen zur Wahl zuzulassen, die über bestimmte Fähigkeiten verfügen.18
Misst man Bildung, Selbstreflektion und moralischer Reife, oder, um es in Mills Worten auszudrücken „geistiger, moralischer und tätiger Kraft“, politische Bedeutung zu, so muss man dies konsequenterweise auch bei denen, die gewählt werden können, nicht nur bei der Wahl selbst, um den epistemischen Mehrwert nicht wieder zu verlieren:
„Die Regierung besteht aus Handlungen, welche von Menschen verrichtet werden und wenn die Handelnden, oder die, welche sie wählen, oder die, denen sie verantwortlich sind, oder endlich die Zuschauer, deren Meinung alle diese Personen beeinflussen und in Ordnung halten sollte, bloße Massen von Unwissenheit, Beschränktheit und jämmerlichem Vorurtheil sind, so wird jedes Unternehmen der Regierung einen schlechten Ausgang nehmen, während in demselben Maße, als die Menschen sich über diesen Zustand erheben, auch die Regierung immer besser wird und schließlich jenen Punct der Vortrefflichkeit erreichen kann, wenn sie ihn auch noch nirgends erreicht hat, wo ihre Beamten, selbst ausgezeichnet durch überlegene Tugend und Einsicht, von der Atmosphäre einer tugendhaften und aufgeklärten öffentlichen Meinung umgeben sind.“19
Besonders von der Regierung selbst muss also erwartet werden können, die kommunizierten Bedürfnisse zu relativieren und die Argumente zu verstehen, wie auch die gesellschaftlichen Konventionen zu hinterfragen, also über die intellektuellen und moralischen Fähigkeiten zu verfügen. Um eine Gesellschaft führen zu können, muss sie soweit es geht durchschaut werden können, ihre Mechanismen müssen den Regierenden bekannt und durch diese nachvollziehbar sein. In diesem Sinne wären also Sozialwissenschaftler sicherlich geeignetere Kandidaten als Juristen. Dies soll jedoch nur einen ersten Gedanken darstellen, der hier nicht weiter verfolgt werden soll, da es sich bei den notwendigen Voraussetzungen für Regierungsämter um ein eigenes Thema handelt, dass allerdings dringend eingehender Beschäftigung bedarf.

III Der Diskurs als scholastokratisches Element und epistokratisches Argument

Wie bereits angedeutet, gibt es mehrere Möglichkeiten Bevorteilungen, bzw. Benachteiligungen zu verhindern. Zwei dieser Möglichkeiten sollen hier erläutert werden. Einerseits handelt es sich um den Diskurs, der sowohl den „wahren“ Vorteil der Demokratie, als auch den Vorteil der Epistokratie vereinen kann. Andererseits benötigt auch dieser zwei weitere Grundsätze, nämlich die Erweiterung um Advokaten und die Erweiterung um ein weitergehendes Gleichheitspinzip. Zum Verständnis und zur Einordnung sei noch angemerkt, dass sich der zu erweiternde Diskurs in dieser Arbeit an Habermas' Modell orientiert.

Zuerst gilt es festzuhalten, dass auch Mill einen Diskurs als Mittel anspricht, sowohl die Vorteile einer für ihren Zweck besonders (aus)gebildeten Regierungselite, als auch die Vorteile einer qualitativen Rechtfertigung vor der Öffentlichkeit, zu sichern. Die Repräsentativregierung im Sinne Mills überwacht die von den Experten ausgearbeiteten Gesetze und stellt eine für alle zugängliche Öffentlichkeit her, in der sich jedes der Gesetze rechtfertigen muss. Mill bleibt dabei aber inkonsequent, in dem der Diskurs auch der tatsächlich vorhandenen Mehrheit Gewicht beimessen soll und so seinen eigentlichen Vorteil teilweise wieder aufgibt.20
Allerdings führt Mill ebenso aus, dass zwar das Stimmgewicht von Gebildeten und Ungebildeten auch innerhalb des Parlaments gleich sein soll, die größere Weisheit aber zu einem großen Einfluss in der Diskussion führen müsse, dem sich die Majorität, so Mill implizit wird beugen müssen.21 Die „Volksmeinung“ soll so in den „Schranken der Vernunft und Gerechtigkeit“ gehalten werden. Grundsätzlich spricht er sich damit, trotz Einschränkung, für eine qualitative Ausrichtung aus, wenn diese auch letztlich mehr auf Hoffnung auf Einsicht zu basieren scheint.
Auch Estlund erwähnt den Diskurs. Im Gegensatz zu Mill versteht er ihn im Sinne eines deliberativen Elements, dass zur Stärkung epistokratischer Ideen gebraucht wird, denen Mill ablehnend gegenüber steht.22 Estlund begegnet mit dem Verweis auf den Diskurs dem Einwand, dass epistokratische Systeme allein auf die Herrschenden und deren Perspektive beschränkt sein müssen. Im Diskurs kommt es zu einer Beratung mit allen anderen und zu einer Einbeziehung von deren Perspektiven, so dass es daher nicht wie bei Mill und anderen vermutet, zu einem Rückgang an Mitbestimmung und Interesse führen muss, da eine Beteiligung und Einflussnahme über diesen auf die regierende Schicht durchaus möglich ist.
Dabei wird sowohl von Estlund, als auch von Mill anscheinend übersehen, dass der Diskurs, so er wirklich durchgeführt wird, von seinem Wesen her letztlich selbst epistokratischer und/oder technokratischer Natur ist, da es in diesem nicht zu einer quantitativen Problemlösung kommt, sondern zu einer qualitativen.
Im Diskurs „gewinnt“ laut theoretischem Konzept das beste Argument, wodurch besonders gebildete und „weise“ Personen automatisch bevorzugt werden. Gleichzeitig werden aber die Perspektiven der „Anderen“ nicht ausgegrenzt, wie dies Estlund richtig annimmt. Diese und hier liegt ein Vorteil, können jedoch in einem qualitativen Diskurs nicht einfach eine Position durch bloße Quantität kippen. Gleichzeitig und trotzdem können sie sich aber mit ihren Bedürfnissen und Interessen qualitativ einbringen, in dem sie diese kommunizieren und, da der Diskurs alle Betroffenen beachten muss, erfahren somit automatisch Berücksichtigung.
Im Gegensatz zu quantitativen Entscheidungsprozessen besteht im Diskurs nun aufgrund der qualitativen Ausrichtung die Möglichkeit auch bei mangelndem Verständnis der Umstände und mangelnder Selbstreflektion der Vorbringenden, die Bedürfnisse zu korrigieren und gegen andere abzuwägen. Viel wichtiger ist dabei noch, dass diesen Mängeln durch einen angeregten Perspektivwechsel, der theoretisch ein wichtiger Bestandteil der diskursiven Einigung ist, abgeholfen werden soll und kann. Ein weiterer Vorteil liegt darin, dass gerade die Verbindlichkeit des besseren Arguments dazu animieren kann, dass sich der Einzelne intensiver mit dem Thema beschäftigt, bei dem er mitreden möchte, statt sich damit zufrieden geben zu können, seine etwaigen bloßen Vorurteile von vornherein mit Stimmrecht und Bedeutung ausgestattet zu sehen. Der Diskurs kann also mit seinen qualitativen Bedingungen einer Partizipation dazu führen, Mündigkeit zu stärken.
Der Diskurs und damit der zwingende Austausch, ist ebenso ein Mittel, um gebildete Schichten und vor allem die s.g. akademische Elite vor sich selbst zu bewahren, in der bereits angesprochenen Hinsicht, in dem der Diskurs sich der teilweise zu starken Egozentrierung entgegenstellt und Fähigkeiten der sozialen Interaktion fordert und fördert.

Neben den bisher genannten Vorteilen verfügt der Diskurs allerdings noch über Schwächen, die es zu beheben gilt, so dass im Folgenden am Beispiel der moralischen Urteilsfindung und der sozialen Unsichtbarkeit anderer Spezies noch etwas genauer auf diesen eingegangen werden muss.
Eines der Probleme an Habermas' Modell sind zwei implizite Gleichsetzungen, die es aufzuheben gilt. Die erste ist die Gleichsetzung der Begriffe „Mensch“ und „Person“. An der Genese23 und Überprüfung moralischer Normen innerhalb seiner Diskursethik sollen alle sprach- und handlungsfähigen Subjekte teilnehmen.24 Dies umfasst aber eben gerade nicht alle Individuen der menschlichen Spezies.
Einige davon sind in Habermas' Sinne genauso wenig sprach- und handlungsfähig wie viele Tiere oder anders ausgedrückt, viele Tiere sind genauso sprach- und handlungsfähig wie einige Menschen. Gleiches gilt für den für Habermas so wichtigen Begriff der Reziprozität. Konsequenterweise müssten nun also entweder Menschen mit bestimmten geistigen Behinderungen, Komatöse, Demente, Säuglinge, usw. aus dem Diskurs ausscheiden oder viele Tiere aufgenommen werden. Der Begriff „Sprachfähigkeit“ ist einfach zu ungenau definiert.
Werden alle im engen Sinne sprachfähigen Subjekte in den Diskurs integriert, fällt zwar nicht gleich der anthroprozentrische Anspruch aber eine Erweiterung über die Spezies hinaus muss bereits vorgenommen werden. Schimpansen wie Washoe, die sich zumindest rudimentär über Zeichensprache verständigen zu können scheinen, müssten teilnehmen dürfen. Aber auch das wäre nicht die letzte Konsequenz.
Habermas selbst bemerkt nämlich richtig, dass Kommunikation mehr als Sprache umfasst.25 Für abstrakte Diskussionen ist eine komplexe Sprache zwar unablässig, für die Forderung nach Anerkennung von Interessen jedoch nicht. Der Bereich der nonverbalen Kommunikation ist weitaus umfangreicher und universaler. Auch im menschlichen Umgang müssen wir uns auf diesen beschränken, wo wir die Sprache des anderen nicht verstehen. Ebenso darf nicht vergessen werden, dass ein Großteil der wichtigsten, vor allem auch lebenswichtigen Interessen nonverbal kommuniziert werden kann und wird. In dieser Hinsicht sind sich Menschen und viele Tiere sehr ähnlich, sie auszuschließen und das Erlernen nur menschlicher Sprachen zu akzeptieren, liefe auf speziesistische Grundannahmen hinaus. Wenn Sprachfähigkeit oder Kommunikation als Grundlage gilt, dann muss sie umfassend gelten und Kommunikation ist bis zu einem gewissen Grad mit jedem Lebewesen möglich. Ein Tier, dass sich gegen Schmerz wehrt, kommuniziert ebenso, wie dies ein Mensch in einer solchen Situation tut. Beide bekunden in verschiedenen und gleichen „Sprachen“, auf verschiedenem und gleichem Wege ihr Interesse an der Beendigung dieses Zustandes.
Damit allerdings noch nicht genug, wird der Diskurs letztlich nicht mal von allen Personen geführt. Das beste Argument soll „gewinnen“.26 Dies bedeutet aber implizit, dass die moralischen Regeln von einer Minderheit bestimmt werden, da mehr als Sprach- und Handlungsfähigkeit oder „praktische Vernunft“ von Nöten ist, um vernünftige, bzw. konsistente und konsequente Argumente zu bilden. Ein recht hohes Mindestmaß an Reflektions- und Abstraktionsvermögen, sowie Intelligenz (auch emotionaler) sind nötig, um sinnvoll zumindest an dem Begründungsdiskurs von Normen teilzunehmen. Mit anderen Worten ausgedrückt: nur Personen, die auch innerhalb der moralischen und kognitiven Entwicklung weit genug sind, nehmen faktisch aktiv am Diskurs teil.27
Der Rest muss sich praktisch auf die Formulierung seiner Interessen beschränken, die noch dazu unreflektiert bleiben. Diese Beschränkung muss allerdings nicht zwangsweise negativ gewertet werden. Theoretisch entscheidet hier die Qualität und damit mit gewisser Wahrscheinlichkeit gut durchdachte Konzepte und moralische Fortschrittlichkeit.

Es ist also festzustellen, dass nicht alle Menschen Teil des Diskurses sind und noch weniger über die bloße Formulierung ihrer Interessen hinaus gehen. Bei der Genese und Überprüfung von Normen ist dies, wie bereits erwähnt, nicht zwangsweise negativ und kann über die starke Bedeutung der Begründung und der Reflektion sogar äußerst positiv. Die eigentliche Problematik tritt erst auf, wenn die zweite Gleichsetzung Habermas' ins Spiel kommt.
Diese besteht darin, die Menge derer, die am Diskurs teilnehmen, mit der Menge derer, die von Moral und Normen betroffen sind, gleichzusetzen. Dies ist offensichtlich falsch. Nicht alle Menschen nehmen im Sinne Habermas' am Diskurs teil. Aber diese sind, genau wie Tiere, von Moral und Normen betroffen. Sie sind keine moralischen Subjekte aber doch Objekte. Habermas selbst schreibt: „Der praktische Diskurs erfordert die Einbeziehung aller jeweils berührten Interessen und erstreckt sich sogar auf eine kritische Prüfung der Interpretationen, unter denen wir bestimmte Bedürfnisse als eigene Interessen allererst erkennen.“28 Wenn nun aber alle betroffenen Interessen und Bedürfnisse einbezogen werden sollen, dann auch jene der moralischen Objekte, nicht nur der moralischen Subjekte, zumal Folgen und auch Nebenwirkungen beachtet werden sollen und zumindest in letzterem müssen sich die berührten Interessen von Nichtdiskursteilnehmern finden.29 Um auch solche, wenn auch vorerst nur menschliche, in den Diskurs aufzunehmen, spricht sich Weisshaupt für die Übernahme der Verantwortung durch Vertreter aus: „Ist aber Reziprozität faktisch nicht herstellbar und auch nicht denkbar, wie dies bei schwer geistig Behinderten und in gewisser Weise auch bei betroffenen aber nicht diskursfähigen Embryonen der Fall ist, so ist Verantwortung stellvertretend zu übernehmen. Die Stimme der Abwesenden, das ist die Stimme aller zum Diskurs aus prinzipiellen Gründen nicht Fähigen, ist stellvertretend stark zu machen und in den Diskurs einzubeziehen.“30
Anstatt also den Kommunikationsbegriff zu erweitern, sollen Advokaten die Interessen aller nicht am Diskurs beteiligten vertreten. Dies gilt für Föten, Säuglinge, geistig Behinderte, usw., allerdings gibt es dann keinen Grund, warum nicht auch für Tiere, denn auch diese sind Betroffene. Diese advokatorische Alternative birgt aber Gefahren. Sie macht die Gruppen von den Advokaten abhängig. Nur die Gruppe, die über einen verfügt, wird gehört, nur die, die einen guten hat auch berücksichtigt.

Um Sicherheit und Gerechtigkeit zu gewährleisten könnte ein zweiter Zusatz aufgenommen werden. Bei diesem handelt es sich um das durch Singer geprägte Prinzip der gleichen Interessenabwägung, dass in den Diskurs integriert auf alle ausgedehnt werden muss, die Interessen haben.31 Dies behebt die Probleme des Diskurses mit all jenen, die Interessen haben aber in der Mehrfachbedeutung von „sprechen“ dies eben nicht können. All jene die über Interessen verfügen, sind durch Moralvorstellungen und Handlungen betroffen, also müssen alle jene auch berücksichtigt werden.
Habermas unternimmt zwar einen Versuch, auch Tiere und Ökologie und damit wohl auch allen nichtpersonellen Menschen Schutz zu gewähren, schafft dies aber schlicht nicht. Es reiche, eine moral-analoge Haltung einzunehmen, da wir Tieren ähnlich Personen gegenübertreten und auch sie in einer Gemeinschaft mit uns und somit in einem Netz aus reziproken Verletzbarkeiten und exponierten Schutzbedürftigkeiten leben und deswegen geschützt werden müssen.32 Praktisch bleibt er inkonsequent, denn Haustiere werden qua ihres Zweckes für und ihrer Nähe zu uns bevorzugt, Nutztiere, die aber ebenfalls eine Art Gemeinschaft mit uns bilden, bleibt dies aber versagt, sowie allen Tieren, denen „[...] Menschen in ihrer Rolle als Angehörige einer Spezies […] als Exemplaren einer anderen Spezies gegenübertreten.“33
Habermas bleibt eine Erklärung schuldig, warum die Spezieszugehörigkeit hier ein Tötungsrecht implizieren sollte oder den generellen Ausschluss aus moralischen Betrachtungen und wann genau dies der Fall sein sollte.

Der so erweiterte Diskurs bietet nun Schutz gegen einige der anti-epistokratischen oder anti-schloastokratischen Einwände. Sein Vorteil ist die Einbeziehung aller Interessen und aller möglichen Argumente, sowie die Beförderung von Perspektivwechseln bei der gleichzeitigen qualitativen Abwägung, so dass die Masse an Vorurteilen verhindert werden kann. Selbst die auch von Estlund so selbstverständlich übersehene Bevorteilung der eigenen Spezies kann so überwunden werden.
Dabei ist der Diskurs als Begründungs- und Legitimationsinstanz selbst, je nach Sichtweise, epistokratisch, technokratisch oder auch nur scholastokratisch ausgerichtet.

Aus dem Bisherigen heraus gilt es nun Folgendes zu bedenken: Quantitative Abstimmungen einer immer notwendig exklusiven Gruppe mit gleichem Stimmgewicht ohne Bewertung der Grundlagen muss notwendig davon ausgehen, dass die egoistischen Interessen dieser exklusiven Mehrheit, die insgesamt eine Minderheit der Betroffenen bildet, gleichzeitig das Beste für alle sind, um sich überhaupt legitimieren zu können. Gerade weil die Partizipierenden immer eine Minderheit sind, nie die Gesamtheit abbilden können, handelt es sich in dieser Hinsicht bei einem ungleichen Stimmrecht oder höheren Bedingungen für Wählbarkeit nur um eine graduelle Veränderung statt, wie oft gemeint, um eine kategorische. Kategorisch ändert sich jedoch die Nutzung der Potentiale, die Beachtung der tatsächlichen Gegebenheiten, die sich in einer stärkeren Bändigung des Egoismus und der von Estlund angesprochenen Probleme äußern kann. Dies wird nicht zuletzt durch eine Aufwertung der qualitativen Argumente, wie sie beispielsweise im erweiterten Diskurs stattfindet, erreicht und die somit den Hintergrund, wie auch die Meinung selbst kritisch reflektiert. Es ist somit nichts mehr, als der Versuch, aus dieser partizipierenden Minderheit die Mehrheit der rein egoistischen und unreflektierten Interessen herauszufiltern, um so erst wirklich einen Versuch zu unternehmen, des Despotismus einer Minderheit zu brechen.

IV Epistokratie und Rawls Prinzip der allgemeinen Akzeptanz – einige Gedanken

Zumindest auf den ersten Blick scheint theoretisch das Konzept einer deliberativen Epistokratie auch die Rawlssche Hürde der rationalen Zustimmbarkeit erfüllen zu können, da sich der epistemische Mehrwert auf diese Weise nicht vollständig gegen die von Estlund vorgebrachten features aufrechnen würde. Das eine letzte Gefahr in dem Sinne bleibt, dass die „Gebildeten“ aus ihrer Bildung selbst heraus Vorurteile entwickeln, lässt sich nicht völlig abstellen, jedoch ist weder klar, ob dies negative Auswirkungen hat und zum Anderen ist dies der Preis, den man zahlen muss, sofern man Bildung als politisches Ziel überhaupt formuliert.
Hinzu kommt, dass es bei allem vorbestimmt intuitiven Widerstand bei näherer Betrachtung nicht so ist, dass paternalistisch anmutende, Mündigkeit relativierende Ideen etwas besonderes in der Gesellschaft sind. Sie werden fortwährend angewandt, nicht zuletzt in der Erziehung von Kindern und hier zeigt sich der Kern des Widerstandes gegen solche Ideen. Aus Sicht des Erwachsenen, nehmen wir ihn einmal als mündig an, müssen dem Kind bestimmte Grenzen gesetzt, sein vermeintliches Wollen unbedingt gehört, beachtet aber doch relativiert, es zur Selbstreflektion erst einmal angetrieben werden, um sich dann im Zuge dieses Prozesses selbst bestimmen zu können. Das Kind jedoch begehrt dagegen auf. Und es lassen sich vernünftige Argumente für die Förderung dieses Aufbegehren als Triebkraft zur Mündigkeit finden, zugleich jedoch lässt sich das Ziel dieses Aufbegehrens vernünftig vorenthalten und wird dies völlig selbstverständlich in der Gesellschaft auch in akzeptierter Weise zumindest zeitlich bis zu einem gewissen Punkt. Dabei wäre auch hier nicht nur formale Bildung vonnöten, sondern vielmehr das bereits Angesprochene. Sobald nun jedoch eine historisch gewachsene aber letztlich willkürlich gesetzte Anzahl an Lebensjahren überschritten wird, das Individuum einmal mündig erklärt ist, sollen die gleichen Argumente nicht mehr gelten dürfen, ganz so, als ob die Erreichung einer bestimmten Anzahl an Jahren unwideruflich einen Hebel umgelegt hätte, der eine Person kategorisch vom vorher unmündig erklärten Kind trennt, alles bis dahin Erreichte, ohne Ansehung der Qualität als ausreichend deklariert, um kein Intellekt mehr über ihm dulden zu müssen und zu können.34 Hierin findet sich der eigentliche Widerspruch: die Anerkennung von höherer Weisheit als etwas allgemein akzeptiertes, solang sie die Person nicht selbst betrifft. Über diesen Punkt und die zugrunde liegenden Mechanismen gilt es besonders nachzudenken, bevor über die allgemeine Akzeptanz epistokratischer Ideen praktisch entschieden werden kann. Dabei wäre, das Gesagte zusammengefasst, vielleicht die generelle Notwendigkeit eines Begriffs von relationaler Mündigkeit gegeben, der hier aber nicht ausgeführt werden kann und soll.
Die Ablehnung einer höheren Einsicht als gleichzeitig mit höherem politischen Gewicht, liegt sicherlich nicht zuletzt auch in dem in dem Postulat der Mündigkeit notwendig enthaltenen Postulat des freien Willens und einer Überbetonung dessen, die aus Gründen des Selbstverständnisses nicht zuletzt zu einer latenten Feindlichkeit gegenüber allen deterministischen Theorien und sinnvollen Folgerungen aus diesen geführt hat. So wird die absolute Willensfreiheit bis aufs Messer gegen jeden Relativismus verteidigt. Dieses verdinglichte Bewusstsein, dass sich selbst als natürlich und als natürlich legitimiert, nicht als geworden sieht35, gilt es zu überwinden statt mit dessen Grundlage politische Theorien zurückzuweisen. Reflektierte, vernünftige Anerkennung ist die Grundlage das Rawlssche Prinzips, nicht reale Unvernunft.

Fazit

Anhand der bisherigen Argumente sieht es nun so aus, als ob der epistemische Wert einer Epistokratie oder der schwächeren Form der Scholastokratie, gesichert werden kann, wenn als deliberatives und legitimierendes Element der Diskurs hinzukommt, zumal Estlunds Einwände, wie bereits gezeigt wurde, nicht zutreffend, bzw. nicht als Gegenargumente verwertbar sind.
Ergebnis einer solchen Sicherung könnte damit ein Modell einer deliberativen Epistokratie sein. Diese besteht in ihrer moderaten Form vor allem in klareren Anforderungen an die Fähigkeiten von Repräsentanten, einem relativen Mehrstimmrecht in bestimmten Bereichen bei Nichtdurchfürhbarkeit eines Diskurses (insbesondere ein relationales Stimmrecht für Fachkräfte in konkreten Fragen), sowie einer Fokussierung auf qualitativen Legitimationsprinzipien statt quantitativen.
Auf diese Weisen ließen sich die einzelnen Fähigkeiten und das Wissen in einer Gesellschaft optimaler nutzen, ohne die Bedürfnisse anderer zu übergehen. Wichtig bleibt dabei, das Konzept der Gesellschaft ähnlich dem Diskurs zu erweitern.
Damit könnte sowohl die Gefahr des Opferns der Qualität vor der Quantität verringert werden, als auch die egoistische und totale Herrschaft einer sozial konstruierten Gruppe über die „Anderen“. Die Bedürfniskommunikation über Advokaten und einen erweiterten Grundsatz könnte so eine „soziale Unsichtbarkeit“ leichter verhüten. Dies gilt umso mehr, als das das Mehrstimmrecht vor allem die Fähigkeit zur Hinterfragung gesellschaftlicher Konventionen und damit auch von Inklusion und Exklusion als Grundlagen beinhalten sollte.
Das grundsätzliche Ideal bleibt dabei das gleiche wie bei Mill, die „Mündigmachung“ und dafür die Bildung der Gesamtgesellschaft, die zudem nicht auf formale Bildung beschränkt sein darf, sondern Selbstreflektion, Erziehung zur moralischen Reife und nicht zuletzt auch die hier explizit ausgesparte, implizit in der moralischen Reife aber schon angelegte, emotionale Intelligenz und Reflektion36 beinhalten muss.
Verwirklichte Demokratie kann nur als Gesellschaft von Mündigen funktionieren, um mit Adorno zu sprechen. Wo diese aber nicht gegeben ist, kann zu dem Ideal hingewirkt werden aber ohne dabei die Situation zu verkennen und das Mögliche oder Gewollte mit dem Nötigen zu verwechseln. Den Bürger ernst zu nehmen, muss eben auch heißen, ihn in seinen Beschränkungen, uns alle in unseren Beschränkungen ernst zu nehmen. Statt der fortwährenden Postulierung von Mündigkeit, um das System zu legitimieren, muss Mündigkeit endlich ernsthaft als zu erreichendes Ziel ins Auge fassen werden. Wird es weiterhin postuliert, findet keine Reflektion, keine Arbeit hin auf dieses Ideal statt, denn es wird, Realität ignorierend, bereits als erreicht vorausgesetzt und dies ist gefährlich.
Zudem begeht ein gleiches Wahlrecht ohne eine reale Mündigkeit, ohne ein stetiges Hinterfragen der gesellschaftlichen und eigenen Konventionen, wie es sich zur Zeit darstellt, das, was Hare den „deskriptivistischen Fehlschluss“ nennt, eine zutiefst relativistische und moralisch fragwürdige Fehlinterpretation des unreflektierten Seins zum Sollen. Dieser Fehlschluss wird auf diese Weise letztlich immer begangen, selbst dann, wenn der quantitative Mehrheitsentscheid in der Konsequenz mit der Reflektion auf der kritischen Ebene des Denkens übereinstimmt. Auf diese Art befindet sich eine Gesellschaft praktisch immer im moralischen und politischen Konservatismus, der sich fortwährend selbst reproduziert und sich allenfalls extrem langsam oder nur unter großen Schrecken überlebt. Adorno führt ebenso völlig zu Recht aus, dass Ausschwitz auch weiterhin möglich ist, solange das Level an realer Mündigkeit gering ist und dieser Umstand keine Beachtung erfährt. Dabei muss dies nicht auf gleicher Ebene geschehen und ist eher unwahrscheinlich, solange wie das Konkrete noch nachwirkt. Betrachtet man die Gesellschaft aber unter dem Aspekt des Speziesismus, so ist man genötigt Adorno noch weitaus mehr Recht zu geben, als er dies selbst geahnt zu haben scheint.
Dabei gilt es, zusammen mit Mill, das Ideal einer mündigen Gesellschaft zu erhalten und zu fördern, jedoch gilt auch folgendes zu beachten: „Diejenigen indessen, welche sich einer solchen Aufgabe unterziehen, müssen sich nicht nur der Wohlthaten jener Institution, welche sie empfehlen, sondern auch der moralischen, geistigen und thätigen Fähigkeiten, welche ihre Benutzung erfordert, in vollem Maße bewußt sein, damit sie es womöglich vermeiden, ein Wollen anzuregen, das dem Können zu weit voraus eilt.“37
Inwieweit die hier skizzierten Gedanken praktisch umsetzbar sind, wie und ab wann genau jemand ausreichend gebildet im Sinne dieser Arbeit ist und noch gravierender, wie und wie oft dies messbar sein muss, wie ein derart festes, ja schon verselbstständigtes bürokratisches System verändert werden kann, sind andere Fragen, die hier nicht beantwortet werden können, die sich aber besonders im Hinblick auf die willkürliche Setzung von Mündigkeit, auf die hier nur sehr kurz eingegangen werden konnte, stellen müssen. Ebenso suggerieren die hier aus Gründen der Verdeutlichung verwendeten Kategorien „Gebildete“ und „Ungebildete“ eine einfache und eindeutige Trennung und Zuordnung, eine Homogenität in sich, die letztlich realitätsfern bleiben und sich ebenso eher einem relationalen Verhältnis beugen muss.
All dies sind Probleme, große Probleme, jedoch sollte darüber nicht vergessen werden, dass es trotzdem lohnenswert erscheint über die zu ihnen führenden Fragen nachzudenken und das aus einem unperfekten, bestehendem Standpunkt heraus nicht Perfektion gefordert werden muss, sondern eine weniger unperfekte Unperfektion immer schon einen zu begrüßenden Fortschritt darstellt.

Diese Arbeit soll abschließend nicht als Werbung für eine Epistokratie missverstanden werden. Sie sollte zeigen, dass einerseits nicht gegen epistokratische Ideen mit Hilfe erkenntnistheoretischer Überlegungen vorgegangen werden kann, ohne auch andere demokratische Theorien zu treffen oder einseitig auf negative Aspekte zu fokussieren. Andererseits muss es möglich sein gerade in Demokratien über das Ergebnis politischer Systeme nachdenken zu können, statt sich zirkulär im durch Tabus bestimmten Rahmen zu bewegen. Um nun die Probleme, die sich letztlich auch für die Demokratie ergeben, anzugehen, muss keine Epistokratie und dies wäre praktisch wohl auch nicht durchsetzbar, proklamiert werden. Vielmehr kann mit ihrer Hilfe als Gegenmodell überhaupt über Lösungen nachgedacht werden und mithin kann eine Epistokratisierung bisheriger Demokratien Abhilfe schaffen. Dies letztlich zu Entscheiden war aber ebenfalls nicht Ziel dieser Auseinandersetzung, vielmehr besteht ihr Anspruch in dieser Hinsicht darin, die Diskussion jenseits des Rahmens aus Tabus zu eröffnen.


Literatur:

Comperz, Theodor (Hrsg.): John Stuart Mill's Gesammelte Werke, Achter Band, Betrachtungen über Repräsentativ-Regierung, Leipzig 1873.

Estlund, David: „Why Not Epistocracy?“, in: Reshotko, Naomi (Hrsg.): Desire, Identity and Existence: Essays in honor of T.M. Penner, Toronto 2003, S. 53-69.

Habermas, Jürgen: Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt am Main 1991.

Habermas, Jürgen: Gerechtigkeit und Solidarität, in: Edelstein, Wolfgang; Nunner-Winkler, Gertrud (Hrsg.): Zur Bestimmung der Moral, Frankfurt 1986, S. 219-303.

Hare, Richard Mervyn: Zur Einführung: Universeller Präskriptivismus, in: Fehige, Ch, Meggle, G.: Zum moralischen Denken, 2 Bde, Frankfurt am Main 1992, S. 31-54.

Honneth, Axel: Unsichtbarkeit. Über die moralische Epistemologie von Anerkennung, in: Unsichtbarkeit. Stationen einer Theorie der Intersubjektivität, Frankfurt am Main 2003, S. 10-27.

Kohlberg, Lawrence; Dwirght, R.Boyd, Levine, Charles: Die Wiederkehr der sechsten Stufe. Gerechtigkeit, Wohlwollen und der Standpunkt der Moral, in: Edelstein, Wolfgang; Nunner-Winkler, Gertrud (Hrsg.): Zur Bestimmung der Moral, Frankfurt 1986.

Nussbaum, Martha: Die Grenzen der Gerechtigkeit, Berlin 2010.

Schwickert, Eva-Maria: Feminismus und Gerechtigkeit. Über eine Ethik von Verantwortung und Diskurs, Berlin 2000.

Singer, Peter: Praktische Ethik, Stuttgart 1994.

Weisshaupt, Brigitte: Ethik und die Technologie am Lebendigen, in: Konnertz, Ursula: Grenzen der Moral. Ansätze feministischer Vernunftkritik, Tübingen 1991, S. 75-92.
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1Estlund, David: „Why Not Epistocracy?“, in: Reshotko, Naomi (Hrsg.): Desire, Identity and Existence: Essays in honor of T.M. Penner, Toronto 2003, S. 53-69.
2Comperz, Theodor (Hrsg.): John Stuart Mill's Gesammelte Werke, Achter Band, Betrachtungen über Repräsentativ-Regierung, Leipzig 1873, S. 99.
3Mill, Repräsentativ-Regierung, u.a. S. 93.
4Siehe dazu: Honneth, Axel: Unsichtbarkeit. Über die moralische Epistemologie von Anerkennung, in: Unsichtbarkeit. Stationen einer Theorie der Intersubjektivität, Frankfurt am Main 2003, S. 10-27.
5Die bisherigen Vertragstheorien, die die Grundlage der meisten gegenwärtigen politischen Ideen bilden, können solche Probleme gerade nicht lösen, da sie von gleichberechtigten, vernünftigen und zur Reziprozität fähigen Personen ausgehen. Dies entspricht einem Misbild der realen Verhältnisse und, weitaus schlimmer, führt zu falschen (Wunsch-)Vorstellungen von einer notwendigen Teilhabe vermeintlich aller gleichermaßen an der politischen Partizipation. Dies ist aber weder möglich, noch nötig, noch erscheint selbstredend sinnvoll. Vielmehr gilt es sich an realen Fähigkeiten auch in der Politik zu orientieren. Zu diesem Zweck sind Konzepte von „Mündigkeit“ und Aspekte von Partizipationsfähigkeit neu zu überdenken und alte Dogmen aufzubrechen. Zu Problem und Überarbeitung von Vertragstheorien siehe Nussbaum, Martha: Die Grenzen der Gerechtigkeit, Berlin 2010.
6Hare, Richard Mervyn: Zur Einführung: Universeller Präskriptivismus, in: Fehige, Ch, Meggle, G.: Zum moralischen Denken, 2 Bde, Frankfurt am Main 1992, S. 31-54.
7Ein Problem, auf das Mehrfach hingewiesen wurde, u.a. auch von Adorno in seiner „Erziehung zur Mündigkeit“.
8Zur Mehrstufigkeit der Moralentwicklung siehe Kohlberg, Lawrence; Dwirght, R.Boyd, Levine, Charles: Die Wiederkehr der sechsten Stufe. Gerechtigkeit, Wohlwollen und der Standpunkt der Moral. In: Zur Bestimmung der Moral. Hrsg. v. G. Edelstein, Nunner-Winkler. Frankfurt 1986; sowie Habermas, Jürgen: Gerechtigkeit und Solidarität. In: Zur Bestimmung der Moral. A.a.O. 219-303. Ebenso Schwickert, Eva-Maria: Feminismus und Gerechtigkeit. Über eine Ethik von Verantwortung und Diskurs, Berlin 2000.
Das beste Modell bietet hierbei zugleich die jüngste Bearbeitung in Form des 8-stufigen Ansatzes Schwickerts. Kritisch sei hier allerdings noch angemerkt, dass in diesem Aufsatz davon ausgegangen werden muss, dass mit der höheren Begründung, also der theoretischen Ebene, auch eine höhere Handlungsbereitschaft einher geht, sowie eine größere Wahrhaftigkeit. Allerdings plädiere ich für eine Trennung in moralische Begründung, bzw. moralischen Standpunkt, die die Frage klären, auf welcher moralischen Reflektionsebene eine Person steht und in moralisches Leben, dass die unter den theoretischen Gesichtspunkten ausgewerteten Handlungen hierarchisch benennt, aber in dem Subjekt selbst eine „niedere“ moralische Reflektionsebene annehmen kann. Für die Einfachheit des Arguments soll hierbei aber ein positiver Zusammenhang zwischen Reflektionsebene und Handlungsebene angenommen werden, zumal die höhere Reflektionsebene bessere Argumente für den moralischen Diskurs produziert und daher einen Vorteil genießt.
9Vgl. Adorno, Theodor W.: Erziehung zur Mündigkeit, Frankfurt am Main 1971, S. 141. Eine unreflektierte Übernahme gesellschaftlicher Konventionen in den Bereich des Sollens würde sich des „deskriptivistischen Fehlschlusses“ schuldig machen, wie Hare ihn definiert.
10Siehe dazu auch das Problem des verdinglichten Bewusstseins bei Adorno, S. 99.
11Comperz, Theodor (Hrsg.): John Stuart Mill's Gesammelte Werke, Zehnter Band, Vermischte Schriften I, Leipzig 1874, S. 28f.
12Adorno, S. 43ff.
13Adorno, S. 32.
14Adorno, S. 107.
15Dabei bedeutet „wahrer“ in diesem Zusammenhang zumindest interperspektivischer, bzw. unperspektivischer, sowie weniger grob sozialisatorischen, kulturellen und auch psychologischen Determinanten aufgesessen und insgesamt wohl fundierter. Dies bedeutet wiederum, dass die Erkenntnisse und die daraus resultierenden handlungsanleitenden Ergebnisse eher auf Argumenten fussen, statt auf lebensweltlich vorakzeptierten Gründen.
16Davon ausgehend das Mündigkeit nichts absolutes oder gar erreichbares wäre, sondern als relationales Prinzip konzeptualisiert werden muss.
17Dabei ist jedoch Wissen generell nie vollständig vorhanden, sondern immer beschränkt zugänglich. Der Grad der Zugänglichkeit kann jedoch erhöht, die Basis verbreitert werden.
18Eine solche Position ist es auch, die Mill bevorzugt. Regierende müssen demnach über Eigenschaften und Fähigkeiten verfügen, die über das bloße „handwerkliche“ hinaus gehen. Vgl. Mill, Repräsentativ-Regierung, S. 23 und S. 69f.
19 Mill, Repräsentativ-Regierung, S. 22.
20Vgl. Mill, Repräsentativ-Regierung, u.a. S. 72f, S. 75, S. 84.
21Vgl. Mill, Repräsentativ-Regierung, S. 110.
22Vgl. Estlund, S. 56f.
23Diese ist bei Habermas nur hypothetisch. Vgl. Habermas, Jürgen: Erläuterungen zur Diskursethik, Frankfurt am Main 1991, S. 34.
24Vgl. Habermas, S. 18.
25Vgl. Habermas, S. 223.
26Vgl. Habermas, S. 154.
27Ausdrücklich dazu Habermas, S. 27.
28Habermas, S. 25.
29Vgl. Habermas, S 42f.
30Weisshaupt, Brigitte: Ethik und die Technologie am Lebendigen, S. 81, in: Konnertz, Ursula: Grenzen der Moral. Ansätze feministischer Vernunftkritik, Tübingen 1991, S. 75-92.
31Vgl. Singer, Peter: Praktische Ethik, Stuttgart 1994, S. 27ff.
32Vgl. Habermas, S. 223ff.
33Habermas, S. 225.
34Dies gilt freilich eher in Bezug auf den staatsbürgerlichen Status, weniger für die Beziehung zwischen Eltern und Kind. Dieses Verhältnis wird viel länger durch eine relative Mündigkeit bestimmt.
35Vgl. Adorno, S. 99.
36Nicht zuletzt aufgrund des hohen Anteils von Emotion an Kognition ist dies wichtig, wie neuere Forschungen zeigen. Vgl. hierzu exemplarisch: Von Scheve, Christian: Emotionen und soziale Strukturen. Die affektiven Grundlagen sozialer Ordnung, Frankfurt am Main 2009.
37Mill, Repräsentativ-Regierung, S. 8.

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