Mittwoch, 11. Dezember 2013

Gefühlsräume und gefühlte Räume – räumlich strukturiertes Fühlen und seine Funktion in der Frühen Neuzeit

Dier kurze Text, stellt eine einführende Skizze meiner momentan Forschung dar und ist als solche zu lesen. Weder beanspruche ich hier Vollständigkeit, noch ist das als endgültiges Ergebnis anzusehen. Es ist vielmehr ein prozesshafter Ausschnitt, eine erste, einführende Bestandsaufnahme. Zitieren ist wie immer erlaubt, alles andere Bedarf meiner ausdrücklichen Zustimmung.
edit: Ich habe das alte paper rausgeworden und durch ne andere Version ersetzt, die nun viel allgemeiner eine meiner Forschungen beschreibt.

Gefühlsräume und gefühlte Räume – räumlich strukturiertes Fühlen und seine Funktion in der Frühen Neuzeit

Emotionen und Räume sind in der Geschichtswissenschaft als Themen mittlerweile akzeptiert und etabliert. Zunehmend geraten diese aber nicht nur als Einzelthemen, sondern als Wechselbeziehung, in ihrer gemeinsamen Bedingt- und Verbundenheit und in ihrem konstruierten und wirklichkeitskonstruierenden Charakter in den Blick. Dies soll auch den Rahmen dieser Arbeit vorgeben.

Fühlen wird sozial erlernt und sozial abgesichert.1 Im gemeinsamen Fühlen bestätigt sich eine Gesellschaft als solche, wie auch ihre Werte und Weltkonstruktion. Fühlen schafft und erhält die je spezifische Wirklichkeit. Der Lern- und Kontrollprozess von Gefühlen findet zugleich nicht im „leeren Raum“ statt, sondern ist auch räumlich strukturiert. In und zu unterschiedlichen Räumen2 wird unterschiedlich Fühlen und dies kommunizieren erlernt, um die Räume in ihrer Bedeutung und Handlungsanweisung zu schaffen und zu bestätigen. Die Lebenswelt ist somit emotional kartografiert. Die Kontrolle dieser Prozesse ist dabei zugleich Machtinstrument und Ordnungsinstanz.
Wie das Fühlen sind auch Räume sozial erlernt. Diese sollen verstanden werden als Wahrnehmungs-, Handlungs- und damit Ordnungsstrukturen, die im engen Zusammenhang zu Emotionen, bzw. mit zu Gefühlen konzeptionalisierten Emotionen stehen. Der Raum ist hierbei sowohl raumanalytisch im Sinne Löws zu betrachten, also als relationale (An)Ordnung verschiedenster zentraler und peripherer Elemente, die einzeln und als Gesamtensemble mit Bedeutung versehen sind, als auch als Herum des Selbst, als „Container“ innerhalb der lebensweltlichen Wahrnehmung, die Denk-, Handlungs- aber auch Fühlmuster anzeigen. Sowohl die unbewusste Konstruktion, als auch der als bedeutungshaftes Ganzes wahrgenommene Raum müssen betrachtet werden, um das Gesamtphänomen erfassen zu können.

Emotionen und Gefühle sind räumlich bezogen und bedingt. Ebenso sind Räume durch Emotionen und Gefühle bedingt. Diese sind Teil des Raumes, an dessen Entstehung und Reproduktion beteiligt und Teil seiner Bedeutung innerhalb einer Gesellschaft und ihrer Teile, die sie anzeigen. Aus dieser Bedingtheit ergibt sich nach ersten Überlegungen ein gegenseitig bezogenes Erlernen von Räumen und Gefühlen. Diese können somit als eine gemeinsame Struktur der Lebenswelt, der jeweiligen Wirklichkeit gedacht werden. Inwieweit dies zutreffend ist und es sich an konkreten Beispielen zeigt, gilt es im Zuge dieser Arbeit herauszufinden.

Ausgehend von der theoretischen Erarbeitung des Zusammenhangs von Raum und Emotion, nicht nur als jeweils eigenständige Strukturen der Wirklichkeit(en), sondern als gemeinsame, bezügliche Struktur, soll im Anschluss der Zusammenhang exemplarisch in seiner Funktion und Bedingtheit (und damit auch Nutzung) untersucht werden. Dafür sollen ausgewählte Räume, „alltägliche“, wie „außeralltägliche“ in ihrer Konstitution und Wahrnehmung, sowie vor allem in Bezug auf ihre emotionale Strukturierung, Schaffung und Bereitstellung von emotionalen Mustern, wie auch ihre Rolle in Bezug auf den Lernprozess von Gefühlen betrachtet werden. Ziel ist es, die Lebenswelt als emotional kartografiert, den gegenseitig bedingten Aneignungsprozess und die Funktion dieser Verbindung, vor allem im Sinne der Sozialdisziplinierung (in einem weiten Sinne) aber auch Devianz, spezifisch zu beleuchten. Zentrale Räume, bzw. Raumkomplexe sind dabei beispielhaft „die“ Schule, „der“ Kerker, „die“ Straße, zu denen im Laufe der Untersuchung weitere hinzukommen können.
Welche Modelle des Fühlens werden zur Bewältigung alltäglicher und außeralltäglicher räumlicher Situationen bereit gestellt, kultiviert und in Bezug auf diese erlernt und wie schaffen diese die Räume mit? Gibt es dabei situations-, milieu- oder schichtspezifische, konkurrierende Konzepte und Normen und damit eventuell zusammenhängende Identitäten. Mit anderen Worten, folgt aus der spezifischen emotionalen Bewältigung und Aneignung räumlicher Situationen, bzw. dem Erlernen unterschiedlicher emotionaler Konzepte in und zu Räumen eine spezifische Rolle oder gar Wirklichkeit, die nicht nur unterschiedliche Räume und Gefühle, sondern auch unterschiedliche Zusammenhänge produziert? Oder umgekehrt, bieten spezifische Rollen spezifische (emotionale) Wirklichkeiten und emotionale Muster an, die zur Bewältigung angeeignet werden können? Was bedeutet das raumbezogene Erlernen von Gefühlen für beide Strukturen? Wird und wenn ja, wie, dieser Zusammenhang aktiv genutzt?
Erste Anzeichen für eine aktive Aneignung von Rollen in Form und durch spezifische räumlich-emotionale Muster liefert die Betrachtung „des“ Kerkers, in welchem mit zugeschriebener, bzw. normativ verlangter Gefühle verbundene Wirklichkeiten mit anderen, aus der räumlichen Situation sich ergebenen, vor allem auch emotionalen Rollen konterkariert werden (können), die in Bezug auf den Raum normiert und erlernt und in seinem Erleben angewendet und je unterschiedlich spezifisch angeeignet werden. Auf diese Weise existiert nicht eine emotional kartografierte Welt, sondern spezifische Welten in und mit Hilfe verschiedener Identitäten.

Um diesen Zusammenhang und seine Funktionen, bzw. Wirkungen zu untersuchen, ist es nötig, die Räume in ihrer Konstitution und ihrem Erleben zu untersuchen. Ebenso müssen die jeweiligen Gefühle, ihrer Norm nach aber auch in ihrem kommunizierten Erleben betrachtet werden. Welche Gefühle tauchen in und zu den jeweiligen Räumen auf, wie werden diese (raumbezüglich) erlernt, angeeignet, eingeübt und kommuniziert. Hängen diese mit spezifischen Rollen zusammen? Es gilt also sowohl normative Quellen im weitesten Sinne, also wissenschaftliche Literatur, Policeygesetzgebung, Ratgeber usw. zu analysieren, wie vor allem auch Selbstzeugnisse, die das Erleben in erlernten Bahnen spiegeln. Dabei sind in letzterem jedoch die kommunizierten Gefühle nicht (automatisch) als tatsächlich empfunden zu denken, sondern vor allem als Kommunikationsmittel zu betrachten, als Begründungen und Erklärungen für konformes oder nonkonformes Handeln oder als Mittel der Bedeutungsübertragung, bzw. Wirklichkeitsanpassung, sowie als Mittel der Durchsetzung der eigenen Sichtweise (so kann Mitleid erweckt werden, um die eigene Position bei den Lesern zu verändern, bzw. Eigen- und Fremdbild anzupassen oder den Wahrheitsanspruch zu unterstreichen).
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, die Gefühle vor allem in ihrer Wirkung auf das Denken und Handeln zu betrachten. Wo es nötig wird, ist zudem eine metasprachliche Untersuchung der Gefühle nötig, um besonders in Fällen gleicher oder ähnlicher Vokabeln nicht gegenwärtige Bedeutungen, Inhalte und Handlungskonsequenzen in diese hinein zu transportieren und so das Ergebnis zu verfälschen, bzw. zu „verunzeitigen“. Gleiches gilt für die jeweiligen Räume, die trotz gleichem oder ähnlichem Namen anders konstituiert sein können. Dies gilt in beiden Fällen auch für zeitgenössisch verschiedene Ausprägungen, die durch verschiedene Milieus bestimmt sind.
Zur Beschränkung des Umfangs soll die Arbeit auf schriftliche Zeugnisse fokussieren und allenfalls ergänzend bildliche Quellen hinzu ziehen. Eine dezidierte Analyse von Bildquellen muss zum jetzigen Standpunkt weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben.
Auf diese Weise soll sich ein freilich unvollständiges Bild der emotional kartografierten Lebenswelt ergeben, der historischen Zusammenhänge von Raum und Gefühl in der gemeinsamen Aneignung und der diesem Prozess zugewiesenen Funktion und lebensweltlichen Wirkung, basierend auf den theoretischen Vorüberlegungen, die selbstredend aktuelle Forschungen rezipieren müssen.
Die Arbeit geht damit einen doppelten Weg. Zum Einen soll anhand neuester Forschung der Zusammenhang von Emotion und Raum als gemeinsames strukturbildendes Merkmal untersucht werden und zum Anderen soll anhand der sich daraus ergebenden Frage, dem sich ergebenden „Brennglas“, die frühneuzeitliche Welt in Bezug auf die konkrete Ausprägung und konkrete Zusammenhänge betrachtet werden.
Die Arbeit will einen Beitrag zum Verstehen des Zusammenhangs von Emotion und Raum beitragen, sowie die emotionale Kartografierung, so und wie sie sich fassen lässt, in ersten Zügen beispielhaft erfassen.
1Vgl. dazu u.a. Jutta Stalfort, Die Erfindung der Gefühle. Eine Studie über den historischen Wandel menschlicher Emotionalität (1750-1850) (Bielefeld: transcript, 2013), insbesondere 106f, sowie generell Christian von Scheve, Emotionen und soziale Strukturen. Die affektiven Grundlagen sozialer Ordnung (Frankfurt am Main/New York: Campus 2009). Beide Arbeiten sind für diese Untersuchung von großem Wert.
2Das hier vertretene Raumkonzept basiert zum großen Teil aus Weiterführungen von raumsoziologischen Ansätzen wie jenen Martina Löws, als auch phänomenologischen. In dieser Hinsicht ist die Ebene der Konstruktion von Räumen, die weitgehend unbewusst abläuft, von jenen der Raumerfahrung in der alltäglichen Lebenswelt zu unterscheiden und muss für die Untersuchung grundsätzlich beachtet werden. Prinzipiell sind Räume als soziale Ordnungssysteme und Handlungsmuster zu verstehen, die nur in der Wahrnehmung als Ganzes und Gegebenes (bzw. fraglos Gegebenes) erscheinen, in der Konstitution aber aus verschiedenen Elemente zusammengesetzt sind und die jeweils einzeln als auch als Ganzes mit Sinn und Handlungsanweisungen belegt sind. Vgl. dazu Martina Löw, Raumsoziologie (Franfurt am Main: Suhrkamp, 2001), sowie Sebastian Ernst, „Inueni portam spes et fortuna valete!“. Der Hafen als kulturelles Konstrukt in der Frühen Neuzeit (Potsdam: unveröffentlichte Magisterarbeit an der Universität Potsdam), 11ff.

1 Kommentar:

  1. Hallo Herr Ernst, vielen Dank für diesen interessanten Überblick. Mir kamen beim Lesen beispielhafte Situationen in den Sinn, bei denen Räume und Gefühle Einfluss auf eine Gruppe von Menschen und deren Sozialverhalten haben. Und inwieweit es sinnvoll ist, sozial erlernte und abgesicherte Gefühlsräume zu durchbrechen. z.B. in Unterrichtssituationen hat jeder Teilnehmer nach sehr kurzer Zeit seinen "Stammplatz" im Raum. ist es nun sinnvoll bei dieser erlernten Raumaufteilung zu bleiben, oder diese aufzubrechen... ich werde das mal in meinen eigenen Unterrichtssituationen ausprobieren. Sozusagen als Feldstudie ohne akademischen Anspruch ;-) Liebe Grüße aus Frankfurt am Main, julia

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